Ein Museum für Boris Jelzin

In Jekaterinburg wird im kommenden Jahr das Boris-Jelzin-Präsidentenzentrum eröffnet. Foto: PhotoXPress

In Jekaterinburg wird im kommenden Jahr das Boris-Jelzin-Präsidentenzentrum eröffnet. Foto: PhotoXPress

Im Sommer 2014 wird in Russland ein Museumszentrum eröffnet, das Boris Jelzin, dem ersten frei gewählten Präsidenten Russlands gewidmet ist. Jelzins Biograf, der Schriftsteller Boris Minajew, erklärt die Hintergründe und Funktionen des Museums.

Unter der Adresse Jelzin-Straße 3, im Zentrum von Jekaterinburg, der größten Stadt des Urals, laufen die Bauarbeiten seit ungefähr einem Jahr auf Hochtouren. Die Einwohner sind bestens darüber informiert, dass auf dem Territorium eines ehemaligen Kaufhauskomplexes das Boris-Jelzin-Präsidentenzentrum errichtet wird. Es ist ihrem Landsmann gewidmet, der aus der Region stammt. Viele Menschen haben sich bereits am Aufbau der Ausstellung beteiligt. Sie haben dem zukünftigen Museum „Artefakte der Zeitgeschichte" gespendet. Zum Beispiel Lebensmittelmarken aus der Zeit der Warteschlangen und der Mangelwirtschaft, als man nur mit diesen grauen Papierschnipseln Lebensmittel kaufen konnte. Und auch nur die elementarsten: Brot, Zucker, Butter. Es werden alte Fotos, Zeitungen und Zeitschriften, Flugblätter und Plakate aus der Zeit zwischen 1991 und 1996 zur Verfügung gestellt – als der erste Präsident Russlands in seine Heimatstadt gereist ist.

 

Russisches Gesetz regelt Präsidenten-Andenken

Viele wissen, dass das Museum entstehen wird. Nicht allen ist aber bekannt, dass dies das Zentrum für das „historische Erbe des Präsidenten Russlands" werden soll. So ist das im Föderationsgesetz Nr. 68 vom 13. Mai 2008 definiert, das von der Staatsduma verabschiedet wurde. Jeder ehemalige Präsident bekommt seine eigene Präsidenten-Bibliothek oder „Präsidentenzentrum", wie es offiziell genannt wird. Hier kann sich jeder Interessierte mit dem vertraut machen können, was der entsprechende Politiker geleistet hat, welche Gesetze er unterzeichnete, mit wem er sich traf, in welcher Epoche er lebte.

Die ehemaligen Präsidenten oder ihre Nachkommen werden ihre offiziellen Geschenke, handschriftlichen Aufzeichnungen, wichtigen Dokumenten an diese Zentren übergeben. Auf der Grundlage dieser Zentren werden historische und wissenschaftliche Forschung durchgeführt und humanitäre Projekte realisiert. Aber das Entscheidende ist, dass diese Zentren auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Irgendwann einmal wird es mehrere solcher Zentren geben. Am Ende unseres Jahrhunderts werden es wohl bereits fast zwei Dutzend sein.

Das „Jelzin-Zentrum" in Jekaterinburg ist nicht einfach nur das erste in dieser Reihe. Boris Jelzin ist der erste aufgrund einer demokratischen Wahl gewählte Präsident Russlands. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte man die freie Wahl des Staatsoberhauptes in Russland nicht. Die 1990er-Jahre – die Epoche Jelzins – war die Zeit grundlegender Veränderungen, des Umbaus der gesamten Gesellschaft und Wirtschaft. Das Land musste politische und ökonomische Krisen überwinden und sich so seinen qualvollen Weg in die demokratische und marktwirtschaftliche Zukunft bahnen. Die Bewertung dieser Epoche ist bis heute äußerst umstritten.

 

Internationales Team baut Boris-Jelzin-Präsidentenzentrum

An der Gestaltung der Ausstellung wird das Unternehmen Ralph Appelbaums (New York) teilnehmen, das die öffentliche Ausschreibung gewonnen hat. Ralph Appelbaums hat bereits einige Präsidenten-Bibliotheken in den USA gebaut, unter anderem die Bill-Clinton-Bibliothek,

sowie das Jüdische Museum in Moskau. Das Unternehmen wird von einer Gruppe aus Architekten, Archivaren, Ingenieuren und Drehbuchautoren aus Russland unter der Leitung des berühmten Filmregisseurs Pawel Lungin unterstützt.

Die Aufgabe diese Teams besteht darin, eine Ausstellung zu schaffen, die weit mehr als die Regentschaft Jelzins abdeckt. Das Museum ist vielmehr dem Russland des 20. Jahrhunderts gewidmet – angefangen beim Ersten Weltkrieg bis hin zu den jüngsten Ereignissen der Gegenwart. Der vorgesehene Saal „Labyrinth der russischen Geschichte" ist gespickt mit erschütternden Dokumenten aus der Epoche des Großen Terrors in den Dreißigerjahren, Kriegsfilmen und -fotografien bis hin zu Plakaten, die die Menschen für die Großdemonstrationen der 1980er-Jahre anfertigten, um die Abschaffung des Kommunismus zu fordern. Der Ausstellungsteil „Sieben Tage" handelt von der Jelzin-Epoche, von seinem ersten rebellischen Auftritt im Kreml bei den Feierlichkeiten zum siebzigsten Jahrestag der Sowjetunion bis zu seinem Rücktritt am 31. Dezember 1999.

 

Die Jelzin-Epoche in einem modernen Museum der Begegnung und Diskussion

Eine eigene Sektion wird den neuen Freiheiten gewidmet sein, die die Jelzin-Epoche mit sich gebracht hat. Darin wird der ersten Verfassung, die in Russland durch demokratische Institutionen verabschiedet wurde gedacht, die allgemeine Wahlen, ein Parlament, Präsidialvollmachten, Meinungsfreiheit und Privateigentum festschrieb. In den Ausstellungsräumen erwarten uns viele Überraschungen. Neue museale Media-Technologien und originelle gestalterische Lösungen, dazu noch diverse Funde der Historiker aus dem Nachlass: Briefe, Notizen und Fragmente Boris Jelzins aus seiner Studentenzeit, historische Originaldokumente, zum Beispiel das erste Exemplar des Unionsvertrages, der am 20. August 1991 unterzeichnet werden sollte. Dieser wurde nie unterschrieben, am 19. August fand der Militärputsch statt und die UdSSR zerfiel.

Wie die Projektleiter mitteilten, wird im Präsidentenzentrum nicht nur das Museum für Zeitgeschichte untergebracht werden, sondern auch eine Ausstellung zu sehen sein, die der Person Boris Jelzins gewidmet ist sowie

temporäre Ausstellungen mit wechselnden Themen. So soll beispielsweise auch ein Zentrum für Kinderkunst sowie soziale Initiativen entstehen, Konzerte und öffentliche Vorträge, Debatten und Konferenzen zu Fragen des heutigen Russlands durchgeführt werden. Das Präsidentenzentrum hat eine recht komplexe Aufgabe: Es soll sich in das aktuelle Leben und Treiben der Großstadt und gleichzeitig in den Kontext der historischen Epoche einfügen.

Das Entscheidende dabei ist, dass das Jelzin-Zentrum vor allem für die junge Generation, als für diejenigen, die in 1990er-Jahren geboren wurden, gedacht ist. Über diese Zeit weiß diese Generation nämlich nur recht wenig, um nicht zu sagen – nichts. Sie bringen die historischen Daten und Namen dieser Zeit durcheinander, begnügen sich mit Mythen und Klischees, die sie von den Erwachsenen erzählt bekommen. Aber was in Wirklichkeit und vor allem wie und warum es passiert ist, kann in der Regel niemand der Teenager genau sagen. Das ist als Problem erkannt worden – dieses zu lösen, soll eine Aufgabe des Boris-Jelzin-Präsidentenzentrums sein.

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