Foto: Lori/Legion Media |
In der Familie der russischen Wodkasorten gibt es einen Sonderfall, der eigentlich gar kein Wodka ist, obwohl er die Bezeichnung trägt. Im Unterschied zu seinen Namensvettern, die aus Weizen oder Roggen destilliert und mit Quellwasser auf trinkbare Stärke verdünnt werden, ist der „Kisljarka" – ähnlich dem Grappa – eine hochprozentige Spirituose (45 Vol. %) aus Traubentrester.
Vom „Dienst"-Schnaps des russischen Heeres bis in die klassische russische Literatur
Wie diese südliche Schönheit in die Wodka-Familie der Nordlichter geriet, ist eine interessante Geschichte. Der Kisljarka hat seinen Namen von der dagestanischen Stadt Kisljar, einer Ansiedlung im Kaukasus mit einer jahrhundertealten Geschichte.
An einer günstig gelegenen Uferstelle des Terek, an der man über den Fluss übersetzte, ließen sich zuerst persische Kaufleute nieder. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tauchte eine Einheit der russischen Palastgarde auf, die die wichtige Handelsader bewachen sollte. Bereits hundert Jahre später bestand die Stadt aus acht verschiedenen ethnischen Stadtvierteln: Außer dem russischen und persischen gab es das armenische und das georgische Viertel, eine kleine Gemeinde getaufter Kaukasier, ein Viertel für die Tschetschenen-Akinzen, die der russischen Zarenkrone dienten, und die Viertel der Tataren und Tscherkessen.
Dieses Bevölkerungsgemisch, das sich hauptsächlich mit Handel und Armeedienst beschäftigte, verfügte über ähnliche Sitten und Bräuche. Insbesondere wurde gern gezecht, wobei die ansässigen Muslime den
Christen in nichts nachstanden. Die Weinherstellung war den Bewohnern des heutigen Dagestan von alters her bekannt und sie zeigten eine liberale Haltung den Gesetzen der Scharia gegenüber.
Im 19. Jahrhundert begann die Industrialisierung der bisher auf den Bauernhöfen in der Umgebung von Kisljar praktizierten privaten Weinherstellung. Französische Rebsorten wurden in einem für den Weinbau ideal geeigneten Tal angebaut. Aus den Abfallprodukten, die bei der Weinproduktion entstanden, brannte man massenhaft hochprozentigen Schnaps.
Er galt als firmeneigener Wodka der dort lebenden georgischen Fürstenfamilie Zizianow, die dem russischen Reich, welches das Branntweinmonopol besaß, eine spezielle Lizenz abgekauft hatte. Die Produktion, die bis heute läuft, ist jedoch dem Armenier David Saradschew zu verdanken, der in Westeuropa zum Doktor der Chemie und Handelsberater ausgebildet wurde und in ganz Südrussland als Wohltäter bekannt war.
An den von Saradschew eröffneten Produktionsorten wird der Kisljarka auch heute noch hergestellt, wiewohl die Produktion der lokalen Brennereien schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts einen wohlverdienten Bekanntheitsgrad erworben hatte. Da gab es den „Dienst"-Schnaps für das russische Heer, das den Kaukasus kolonisierte. Über den dort erworbenen Ruf gelangte der Kisljarka in die klassische russische Literatur. Er findet Erwähnung in den Werken von Lew Tolstoi und Nikolai Leskow.
Französische Winzer nutzen vermehrt kaukasische Qualitätsprodukte
Im Vergleich zu anderen Grappa-Sorten hat der Kisljarka einen sehr weichen, ausgewogenen Geschmack mit einer stark ausgeprägten Vanillenote, die der kaukasischen Bergeiche zu verdanken ist. In den aus
ihr hergestellten Eichenfässern lagert er zwischen sechs Monaten und einigen Jahren.
Der Kaukasus ist Russlands natürliche, exotische Orangerie: die einheimischen subtropischen Wälder und Bergalmen sind berühmt für ihre biologische Vielfalt. Hier wachsen einige Eichenarten, aber für die Eichenfassherstellung eignen sich vor allem zwei: die Traubeneiche und die Stieleiche. Wie gut ihr Holz für die Weinlagerung geeignet ist, kann man an zwei Fakten erkennen: Das einheimische Material für die Fässer wird immer häufiger von französischen Winzern aufgekauft, die Dauben aus Limousin-Eichenholz mit der kaukasischen Traubeneiche verflechten.
Außerdem ist die kaukasische Traubeneiche der nächste Verwandte der in England wachsenden walisischen Traubeneiche, die als Fassholz für die
Whiskeyherstellung verwendet wird und besonders für ihre Vanillenote berühmt ist. Exotik-Liebhaber brauchen allerdings nicht bis ins ferne nördliche Dagestan zu fahren, um diese Spirituose zu probieren, die sich Wodka nennt und in der sich die Qualitäten von Grappa und Single-Malt-Whiskey vereinen.
Der Kisljarka, hergestellt in der 1880 eröffneten Fabrik Saradschews, wird in vielen großen russischen Städten verkauft. Man kann ihn leicht an seiner kräftigen Goldfarbe und an seinem Etikett erkennen, das mit dem Porträt des berühmten russischen Heerführers aus der Zeit der napoleonischen Kriege geschmückt ist: dem Fürsten Pjotr Bagration, dessen Geschlecht ebenfalls mit dem Ort Kisljar verbunden ist.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!