Dmitri Medwedjew und Wladimir Putin in der Moskauer Bar "Schiguli". Foto: ITAR-TASS
Das beliebteste Bier Russlands war und ist nun schon für fast ein Jahrhundert das „Schiguljowskoje", das zum ersten Mal am Wolga-Fluss in der Stadt Samara gebraut wurde. Es ist ein Getränk, das, ungeachtet seiner Beliebtheit und des „sowjetischen" Images, ein direkter Verwandter der mexikanischen Sorten „Dos Equis" und „Negra Modelo" ist, die unter Clubgängern der ganzen Welt beliebt sind. Wie ist die Geschichte des edlen Gebräus?
Die „Schiguli"-Bierfabrik in Samara wurde 1880 von Alfred Josef Marie Ritter von Vacano, einem österreichischen Adligen gegründet. Von Vacano zeigte sich als hervorragender Bierbrauer und als genialer Geschäftsmann. Einige Jahre nachdem die kleine wenig erfolgreiche Bierfabrik in seine Hände gelangte, verwandelte sie sich in eine russische Vorzeigeproduktion, die den westlichen Großbrauereien in nichts nachstand. Sie hatte ein eigenes Elektrizitätswerk und für damalige Zeiten seltene strombetriebene Kühlschränke, eine Anbindung an das Eisenbahnnetz und den Schiffsverkehr sowie strikte Qualitäts- und Hygienevorschriften in der Herstellung.
Doch, wie es sich für einen Österreicher gehört, war der immigrierte Geschäftsmann bei allem Pragmatismus sentimental und romantisch: Er benannte seine Braukunst nach den Felsen von Schiguli, einem malerischen Ort an der Wolga, der mit Stepan Rasin, einem Robin Hood-ähnlichen, historischen russischen Volksheld verbunden war.
Die Fabrik stellte mehrere Biersorten her, aber besonderer Beliebtheit erfreute sich das Wiener Lagerbier, eine Biersorte, die in Europa heute schon fast vergessen ist. Das „Wiener Lager" ähnelt dem weitbekannten Pilsner Lager, einem Bier aus hellem Malz, das bei tiefen Temperaturen untergärig reift, aber es ist fester, hat eine stärkere Färbung, die bernsteinfarben bis rot sein kann und eine ausgeprägte bittere Hopfennote. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde von Vacanos Bier nicht nur in allen guten Restaurants der reichen Wolgaregion serviert, es wurde auch ins Ausland exportiert. Den hervorragenden Geschmack erhielt das Bier durch die exzellenten Rohstoffe und das berühmte Wolgawasser, das damals noch nicht verschmutzt war.
Aus Wiener Lager wurde Schiguljowskoje
So kam es sogar, dass die sowjetische Führung das Lebenswerk des Österreichers, der zur Jahrhundertwende die russische Staatsbürgerschaft erhielt, nicht zerstören konnte. Die Bolschewiken nahmen dem Ausländer zwar die Fabrik weg und schickten ihn zurück in die Heimat, wo er arm sterben sollte, aber die Produktionstechnik erhielten sie. Anfang der 1930er wurde die Schiguli-Fabrik von Anastas Mikojan, dem Minister für Lebensmittelindustrie unter Stalin, besucht. Er würdigte den Geschmack und die Wirkung des „Wieners", ordnete aber an, dass der bourgeoise Name gewechselt werden müsse. Die Entscheidung fiel schnell: Das Bier sollte nach der Fabrik benannt werden. So entstand die berühmte Marke „Schiguljowskoje", das Wiener Lager war Geschichte.
Foto: Lori/Legion Media
Bald wurde das Rezept des „Schiguljowskoje" zum Standard für das ganze Land. Das Bier mit diesem Namen wurde in der UdSSR an 700 Orten gebraut. Mehrere Hundert Produktionsstätten brauen es auch heute noch, und zwar auf dem ganzen Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Aber das echte „Schiguljowskoje" gibt es nur einmal, und zwar aus Samara aus der Schiguli-Fabrik. Über die Qualität dieses Getränks zeugen zwei Tatsachen: In Moskau kann man die Restaurants an den Händen abzählen, die es servieren und dort kostet es, auch wenn es ursprünglich eine billige und „demokratische" Sorte gewesen ist, soviel wie der importierte Gerstensaft aus England. Der Grund ist das kleine lokale Angebot. Einen Transport in Flaschen übersteht das „Schiguljowskoje" nicht, es ist ein frisches, nichtpasteurisiertes Bier.
Der Hopfen macht den Unterschied
Apropos, was hat denn eigentlich Mexiko mit der Geschichte zu tun? Zu der Zeit, als Vacano aus Russland zurück nach Österreich floh, machten sich dort mehrere Bierbrauer aus dem hungernden Europa nach Mexiko auf, wo sie die Herstellung der lokalen Sorten des Wiener-Lager in die Wege leiteten. Später wurden dort die Bierspezialitäten unter den Namen „Don Equis" und „Negra Modelo" bekannt. Traurig aber wahr: Im 20. Jahrhundert starb in Österreich diese Sorte aus. Sogar die Brauerei, die es erfunden hatte, braut heute Pilsner. So überlebte das Wiener Lager nur in Russland und Mexiko. Trotzdem finden die Russen, dass das „Schiguljowskoje" ein echteres Wiener Lager ist, als die mexikanischen Sorten, denn das „Schiguljowskoje" wird, wie es sich für seinen Vorläufer auch gehört, mit dem bitteren europäischen Hopfen gemacht und nicht mit dem süßeren amerikanischen.
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