Foto: Alexander Mokletsov / RIA-Novosti
Nach seinem Ausflug ins Weltall an Bord seines Raumschiffs „Wostok“ wurde Juri Gagarin oft gefragt, ob er Gott im Weltraum gesehen habe. „Viel hat nicht gefehlt“, antwortete er dann, „und es wäre beinahe zu einer Begegnung mit Gott gekommen“. Denn während des Flugs gab es mindestens zwei Situationen, die den ersten Menschen im All beinahe das Leben gekostet hätten, eine bei der Landung, die andere im Weltraum. Doch Gagarin zeigte Heldenmut: „Ich beschloss, es nicht an die Erde zu melden, um keine Panik auszulösen.“
Gagarin war sich des großen Risikos seiner Mission schon vorher bewusst gewesen. Vier Mal hatte man vor seinem Flug Testpuppen ins All geschickt, eine davon verbrannte. Hunde, die zuvor testweise ins All geschickt wurden, starben. Obwohl diese Informationen strengster Geheimhaltung unterlagen, wussten alle, dass die Reise ins All lebensgefährlich werden könnte. Bis zu jenem 12. April 1961 betrachteten selbst die beteiligten Wissenschaftler das Vorhaben als Kamikazeflug. Doch Gagarin ging das Wagnis ein. Er war ein Kind der Kriegszeit, ein ewiger Soldat, einer, der von Heldentaten und Selbstaufopferung träumte. Der Flug des Raumschiffs „Wostok“ dauerte nur 108 Minuten. Doch das war lange genug, um für Gagarin den Traum vom Heldentum zu verwirklichen.
Das Gesicht der Nation
Der Weg zur Legende war hart. Gagarin und neun weitere Helden-Anwärter trainierten im Sternenstädtchen „Swjosdny Gorodok“, wo sich das Ausbildungszentrum der Kosmonauten befindet. Gagarin war kein besonders herausragender Kandidat. Er war eher klein, aber sportlich und sehr beweglich, er hatte eine gute Koordination.
Eine ausgezeichnete körperliche Verfassung war eine der Grundvoraussetzungen. Gagarin erinnerte sich: „Die Ärzte klopften mit dem Hämmerchen jeden kleinsten Knochen ab und kontrollierten die Funktion aller Organe – vom Herzen bis zum Gleichgewichtsapparat.“ Dann wurden endlose Tests vorgenommen, währenddessen eine Stimme über Kopfhörer der Testperson absichtlich falsche Antworten eingab. So wurde ihnen beigebracht, sich in Extremsituationen nur auf sich selbst zu verlassen. Sie lernten, Einsamkeit, physische Entkräftung und Schmerz zu ertragen.
Eine Szene aus dem Dokumentarfilm über Jurij Gagarin "Die erste Fahrt zu den Sternen".
SputnikDie Tests beschränkten sich nicht nur auf die physische Vorbereitung. General Kamanin, den der Journalist Jaroslaw Golowanow als „überzeugten Stalinisten“ beschrieb, als einen Mann, „dem jegliches Gefühl für Humor abging“, verbachte viel Zeit mit den zukünftigen Kosmonauten. Und auch, wenn er dem ein oder anderen nicht gepasst haben sollte, man musste sich mit ihm arrangieren. Der Flug ins Weltall war eben auch eine ideologische Mission. Kamanin befasste sich so intensiv mit dem moralisch-politischen Auftreten der zukünftigen Weltraumeroberer, als ob sie die Außerirdischen für den Aufbau des Sozialismus begeistern sollten.
Der Mann, dem die Rolle des ersten Weltraumfahrers zufiel, wurde automatisch zu einer öffentlichen Figur, zum „Gesicht der Nation“. Gagarin galt als guter Flieger und trainierte hart. Jeden Morgen absolvierte er einen schweißtreibenden Geländelauf und machte stundenlang Krafttraining. Andererseits gab es Anfang der Sechziger Jahre viele gute Flieger und ehrgeizige Männer. Schwer zu sagen, warum die Wahl dann ausgerechnet auf Gagarin fiel. Dieser junge Mann aus der russischen Provinz wirkte wenig intellektuell, gar ein wenig einfältig, aber auch offen und in die eigene Stärke vertrauend. Ob Nikita Chruschtschow sich so das Gesicht der Sowjetunion vorgestellt hat, lässt sich nur vermuten.
Ein sinkender Stern
Nach seinem Ausflug ins All reiste Major Juri Gagarin als Botschafter des sowjetischen Lebensstils unermüdlich durch die Welt. Er wurde mit offenen Armen empfangen. Dabei soll es oft feucht-fröhlich zugegangen sein. Gagarin soll berühmte Schauspieler, Schriftsteller, Regierungschefs und sogar die englische Königin als Trinkgenossen gehabt haben. Nur gut, dass der Kosmonaut die Fähigkeit hatte, beinahe unbegrenzte Mengen Alkohol zu trinken, und über ein großes Talent für launige Trinksprüche verfügte. Doch der Alkohol sollte sein Verhängnis werden.
Irgendwann begann Gagarins Stern zu sinken und er fiel in ein tiefes Loch. Fortan war er in einer sehr schwierigen psychischen Verfassung: Er litt an Depressionen und Verwirrtheit sowie am Gefühl der eigenen Nutzlosigkeit. Das Privatfahrzeug, die luxuriöse Wohnung und andere Privilegien, die Gagarin vom Staat zur Verfügung gestellt wurden, konnten diese Gefühle nicht kompensieren, ihm fehlte die öffentliche Aufmerksamkeit. Eben noch von der ganzen Welt bewundert und nun auf dem Abstellgleis – vielleicht hätte ihm ein Antistress-Programm helfen können, doch so etwas gab es zu seiner Zeit noch nicht.
Gagarin fand keine Kraft, selbst aus der Depression herauszukommen, und begann regelmäßig zu trinken. Gerüchte über seine Alkoholexzesse kursierten im ganzen Land. Die bekannteste seiner Trink-Geschichten ereignete sich im Schwarzmeerkurort Foros. Damals stürzte er völlig betrunken von einem Balkon seines Sanatoriums. Dabei schlug sich Gagarin heftig Kopf und Gesicht auf und musste einen Monat im Krankenhaus verbringen. Über der linken Augenbraue blieb ihm eine Narbe. Daraufhin bekam das „Gesicht der Nation“ eine kosmetische Operation, die sich zu der damaligen Zeit nur Hollywood-Stars leisten konnten.
Auf Fotografien Mitte der Sechziger Jahre schien der erste Kosmonaut sehr schwermütig geworden, verschwunden war sein bezauberndes Lächeln, das die Welt aus den Tagen des historischen Flugs kannte. Er wurde zum Kommandeur der Kosmonautengruppe ernannt und im Juni 1966 beteiligte sich Gagarin am „Sojus“-Trainingsprogramm. Es schien, als ob ein zweiter Flug in greifbare Nähe gerückt war. Doch er konnte immer noch nicht zu sich finden, seine Psyche war auf einen neuen Ausflug in den Kosmos nicht vorbereitet. Er trank weiter, grämte sich und erzählte seinen Freunden, dass seine Karriere beendet sei.
Sein letzter Flug
Etwas Halt fand Gagarin noch in der Fliegerei. In seinen letzten Lebensjahren flog er pausenlos. Fast jeden Tag fuhr er zum Militärflugplatz Tschkalowski und setzte sich ins Cockpit einer MIG. Einer dieser Tage sollte sein letzter werden. Bei einem Übungsflug verunglückte Gagarin. Es gab Gerüchte, dass er nicht nüchtern war, als er sich ans Steuer setzte. Es gab auch andere Versionen, die von Mord oder Selbstmord berichten. In Ungarn erschien ein Buch, in dem behauptet wird, dass Gagarin gar nicht der erste Raumfahrer gewesen sei. Wegen dieser Lüge, so der Autor, habe sich Gagarin sein ganzes Leben lang gequält und schlussendlich beschlossen, sich das Leben zu nehmen. Die Wochenzeitung „Sowerschenno sekretno“ („Streng geheim“) berichtete von einer Version, nach der Gagarin angeblich gar nicht gestorben sei, sondern in einer psychiatrischen Anstalt festgehalten wurde, weil er gegen die Politik Breschnews aufbegehrt hatte. Schließlich verkündete die bulgarische Wahrsagerin Wanga, dass Gagarin nicht tot sei, sondern „in den Himmel gefahren“ sei. Was das übrigens genau heißen sollte, hat sie nicht erläutert. All diese Gerüchte und Versionen sind ein Anzeichen dafür, dass Gagarin wirklich eine legendäre Person war. Doch das brachte Gagarin auch kein Glück.
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