Die Schiwago-Affäre: Welche Rolle spielte die CIA?

Boris Pasternak. Foto: ITAR-TASS

Boris Pasternak. Foto: ITAR-TASS

Boris Pasternaks nobelpreisprämierter Roman „Doktor Schiwago“ ist nicht nur eine Liebesgeschichte, die die Welt bewegt hat, sondern liefert auch Stoff für eine packende Spionagegeschichte. Petra Couvée und Peter Finn beschreiben in einem spannenden Buch die Rolle des US-Geheimdienstes CIA bei der Veröffentlichung des Romans.

Die Journalisten und Wissenschaftler Petra Couvée und Peter Finn haben viele Jahre damit zugebracht, die Wahrheit über die erste Veröffentlichung von Boris Pasternaks Roman „Doktor Schiwago“ in russischer Sprache herauszufinden. Die Ergebnisse ihrer Recherchen stellen sie in ihrem vor Kurzem bei Pantheon veröffentlichten Buch „The Zhivago Affair“ vor.

Im Mai 1956 reiste der italienische Journalist Sergio D’Angelo in das Dorf Peredelkino. Dort wollte er Boris Pasternak überzeugen, ihm sein Manuskript zu „Doktor Schiwago“ auszuhändigen. Couvée und Finn trafen und interviewten D’Angelo, der sein eigenes Buch über den Fall Pasternak geschrieben hat („Il caso Pasternak“), und hörten eine Geschichte, die beinahe unglaublich scheint.

Ein Verbot schlägt Wellen

Pasternak hatte jahrzehntelang an seinem Werk gearbeitet. „Doktor Schiwago“ ist eine epische Geschichte über Liebe und Leiden zu Zeiten der Russischen Revolution. In der Sowjetunion kam diese Geschichte nicht gut an – dort bevorzugte man literarische Werke, in denen heldenhafte Arbeiter die Hauptrolle spielten und ideologische Botschaften auf muntere Weise verpackt wurden. Die sowjetische Obrigkeit lehnte eine Veröffentlichung von Pasternaks Roman folgerichtig ab, doch das Manuskript gelangte in die Hände von Sergio D’Angelo, der damals als Journalist in der Sowjetunion tätig war und das Manuskript schließlich nach Italien brachte. In Italien wurde es 1956 erstmals veröffentlicht, auf Italienisch – und erregte prompt die Aufmerksamkeit eines ganz speziellen Lesers: der CIA.

Der US-amerikanische Geheimdienst hatte großes Interesse an „Doktor Schiwago“, wie aus einer Mitteilung der CIA an die Abteilungsleiter des sowjetrussischen Bereichs des Geheimdienstes hervorgeht: „Dieses Buch hat einen hohen Propaganda-Wert“, heißt es da, „und zwar nicht nur wegen seiner wesentlichen Botschaft und des zum Nachdenken anregenden Charakters, sondern auch aufgrund der Umstände seiner Veröffentlichung“. Die Amerikaner witterten eine große Chance: „Wir haben die Gelegenheit, Sowjetbürger dazu zu bringen, dass sie sich fragen, was in ihrem Land falsch läuft. Wenn ein gutes literarisches Werk des Mannes, der als der bedeutendste lebende Schriftsteller Russlands gilt, nicht einmal in seinem eigenen Land erhältlich ist, kann das Fragen aufwerfen.“

Der US-Geheimdienst druckte kurzum die erste russische Ausgabe des Romans und brachte sie zur Weltausstellung in Brüssel im Jahr 1958 auf den Markt. Die Weltausstellung war eines der wenigen Ereignisse, das einer großen Anzahl an einfachen sowjetischen Bürgern die Möglichkeit zu einem Besuch im Westen gab. Belgien stellte damals rund 15 000 Visa für Besucher aus der UdSSR aus – eine hervorragende Gelegenheit für die CIA, den frisch gedruckten Roman zu verbreiten. Die Erstauflage im Jahr 1958 in Brüssel bildete den Anfang dieser Kampagne. Es folgte eine kleine Taschenbuchausgabe, die bei den 1959 in Wien stattfindenden „Weltfestspielen der Jugend und Studenten“ an sowjetische und osteuropäische Studenten verteilt wurde.

Geheimsache Dr. Schiwago

„Die Hintergründe zum Roman, von seinen Ursprüngen bis hin zur Kontroverse rund um Pasternaks Nobelpreis 1958, wären allein schon erzählenswert“, finden Petra Couvée, Dozentin an der Sankt Petersburger Universität, und Peter Finn, Redakteur im Ressort Nationale Sicherheit der „Washington Post“ und früherer Leiter des Moskauer Büros der Zeitung. Im Buch „The Zhivago Affair“ steht die Rolle der CIA und anderer westlicher Geheimnisse bei der Veröffentlichung von Pasternaks Roman im Vordergrund.

Finn schrieb erstmals 2007 über diese Geschichte. Zwei Jahre später nahm er zum ersten Mal Kontakt zur CIA auf und bat darum, die Schiwago-Papiere des Geheimdienstes einsehen zu dürfen. Er erhielt keine Genehmigung: „Die erste Antwort, die ich erhielt, war ein klares Nein“, erzählt Finn. „Doch als Journalist akzeptierte ich ein Nein als Antwort natürlich nicht.“

Couvée hatte sich schon viel früher mit dieser Geschichte befasst. „Mein erster Artikel war eine Rekonstruktion der Ereignisse, die auf niederländischem, belgischem, französischem, russischem, deutschem und amerikanischem Material basierte“, berichtet sie. Er erschien im Juli 1998 in einer Amsterdamer Literaturzeitschrift mit einem offenen Ende und führte im Januar 1999 zu einer viel beachteten Fernsehdokumentation. Couvée enthüllte auch die Rolle des niederländischen Geheimdienstes BVD. Der inzwischen pensionierte, ehemalige BVD-Agent Kees van den Heuvel erzählte ihr, dass der BVD auf Bitten der CIA den Druck des Romans in Holland und in Russland unterstützt habe – für Couvée der erste handfeste Beweis einer Verwicklung der CIA.

Peter Finn gelang es, mit ehemaligen CIA-Mitarbeitern zu sprechen. Diese machten die Abteilung für historische Unterlagen der CIA auf diese Angelegenheit aufmerksam, und die Historiker des Geheimdienstes begannen, sich für den Fall zu interessieren. Drei Jahre nach Finns erster Anfrage erhielten die Autoren schließlich die Dokumente, auf die sie gewartet hatten. Für Finn war das ein spätes Eingeständnis einer Beteiligung der CIA.

Eine faszinierende Abenteuerreise

Couvée und Finn beschreiben beide das Eintreffen der CIA-Dokumente im August 2012 als den eindrucksvollsten Augenblick ihrer beruflichen Karriere. „Sie wurden mit der gewöhnlichen Briefpost an Peters Privatadresse in Virginia geschickt“, erinnert sich Couvée, die 1997 mit ihrer Recherche begonnen hatte. „Ich wusste gleich, dass die CIA stark in den Druck der ersten russischen „Doktor Schiwago“-Ausgabe involviert gewesen war“, sagt Couvée. Die Dokumente waren zwar zensiert, doch die Autoren konnten die Namen durch Archive und dank der Erinnerungen ehemaliger Agenten erschließen.

Im darauffolgenden Monat trafen sich die Autoren in Mailand, um Giangiacomo Feltrinellis Sohn zu befragen. Giangiacomo Feltrinelli war der Herausgeber der italienischsprachigen Ausgabe von „Doktor Schiwago“ gewesen, die 1957 veröffentlicht wurde. Die Autoren bekamen erstmals das aus Russland geschmuggelte Originalmanuskript zu sehen. „Die Seiten waren mit Schnur zusammengebunden und mit handschriftlichen Anmerkungen Pasternaks versehen“, erinnert sich Finn an diesen spannenden Moment.

Die zahlreichen Treffen mit Zeitgenossen Pasternaks, die den großen Schriftsteller noch persönlich kannten, verleihen dem nun erschienenen Buch seine lebendige, intime Atmosphäre. Obwohl die Ereignisse, die darin beschrieben werden, sich vor über einem halben Jahrhundert ereignet haben, ist die Handlung häufig so spannend wie bei einem Spionagethriller.

Die beiden Autoren blicken gerne zurück auf ihre gemeinsame Zeit. „Es gab die unterschiedlichsten großen und kleinen Entdeckungen – von einem Bruchstück einer Erinnerung oder einem kurzen Schriftstück bis hin zu einer Mitteilung des Konsuls in München an das Außenministerium über ein Gespräch mit einer der Personen, die an der Übersetzung von ‚Doktor Schiwago‘ beteiligt gewesen waren“, erzählt Finn. Couvée und Finn haben jeden Moment ihres Literaturabenteuers genossen, und Finn ergänzt: „Es war eine faszinierende Reise.“

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