Foto: Lori/Legion Media
Lidia Mokiewskaja aus dem nordrussischen Wologda geht jeden Sonntag in die Banja, dieser Tradition bleibt sie schon seit 15 Jahren treu. Die Linguistin hat ein Buch veröffentlicht, in dem sie „Geschichten aus der Banja" – so der Titel – erzählt. Ihre Geschichten sind allesamt lustige Begebenheiten, die sie in der Banja erlebt oder erzählt bekam.
Die Banja gehört für viele Russen zum Leben einfach dazu, so war es schon bei den Vorfahren Brauch. Noch dazu ist es gesund. In Russland gibt es sogar einen Verein der Banja-Bader. Jährlich tauschen sich die Mitglieder über ihre Erfahrungen aus und verraten sich gegenseitig ihre Geheimnisse oder berichten von ungewöhnlichen Riten und Gebräuchen.
„Bei vielen Völkern in Russland sind interessante Banja-Traditionen bis in unsere Zeit erhalten geblieben. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben", erklärt Wjatscheslaw Spiridonow aus Tscheboksary, der Hauptstadt der Föderationsrepublik Tschuwaschien. Er ist Vorsitzender des Vereins der Banja-Bader von Tschuwaschien und Preisträger des Allrussischen Festivals der Banja-Bader „Rus bannaja" („Rus in der Banja").
Die Banja war einst auch der Ort, an dem der Aberglaube ausgelebt wurde. Junge Frauen ließen sich dort in den Rauhnächten vorhersagen, wer ihr Bräutigam sein würde. Im Spiegel sollte das Bild des Zukünftigen erscheinen, nachdem man zuvor gewisse Zeremonien vollzogen hatte. Dazu gehörte es, die Haare offen zu tragen und sein Taufkreuz abzulegen.
Ein weiterer Banja-Brauch beschäftigt sich mit dem mageren Körper. In der frühen Rus galten ein kompakter Körperbau und sogar ein paar Pfund zu viel auf den Rippen als Zeichen der Gesundheit. Dünn sein war nicht erstrebenswert. Bei einem Ritual schüttelte man nach dem Bad das Wasser von den Händen und sagte dabei: „Alles Magere tropfe ab, wie das Wasser von der Gans".
Swetlana Belorussowa, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Archäologie und Ethnologie der Föderalen Uni Ural, kann ebenfalls von Banja-Bräuchen berichten. Sie hat einen ethnografisch relevanten Film über die Nagaibaken – einem der ungewöhnlichsten kleinen Völker Russlands, größtenteils im Südural ansässig – gedreht. Sie leben im Landkreis Ural-Europa in Gemeinden mit Namen wie Parish (frz. Paris), Ferschampenuas (benannt nach Fère-Champenoise), Arsi (frz. Harcy), Kassel oder Ostrolenskij. Die Nagaibaken haben ihre Identität bewahrt und zelebrieren bis heute diverse heidnische Bräuche. So wird zum Beispiel die Banja traditionell am Donnerstag vor Ostern, dem Gründonnerstag, der in der Orthodoxie der „saubere Donnerstag" genannt wird, aufgeheizt. Betreten darf sie jedoch keiner, denn es heißt, an diesem Tag kämen die Seelen der Ahnen, um zu baden.
Wjatscheslaw Spiridonow kennt eine ähnliche Tradition bei einem Teil der nicht getauften Tschuwaschen. An bestimmten Tagen im Jahr gehen die Leute auf den Friedhof, verneigen sich vor ihren Vorfahren und bitten die Seelen der Toten zum Bade in die Banja. Während dieser Zeremonie bleibt sie geöffnet und es werden Kerzen angezündet.
Andrej Artemjew, Anwalt in Jekaterinburg, berichtet RBTH über einen interessanten Brauch, den er von seinen Verwandten aus einem Dorf im Transural mitgebracht hat:
„Wenn du in die Banja kommst, musst du erst den Banja-Geist begrüßen und ihn bitten, dass er dir beim Bade behilflich sei, um Körper, Seele und Geist zu reinigen. Der Banja-Geist ist einer der guten Hilfsgeister, neben dem Hausgeist, Hofgeist, Gartengeist und anderen Geistern. Nach dem Schwitzbad tauchst du dann das Banja-Reisig in den Banja-Eimer und verspritzt Wasser in alle vier Ecken, beginnend mit der Ecke am weitesten links. Dabei sagst du: „Bannik-Bannik (Banja-Geist - Anm.d.Red.), nimm von uns den Schmutz des Körpers, den Schmutz der Seele und den Schmutz im Geiste, und alles Böse, alle Krankheit, alle Unbill, allen Kummer und allen Gram." Und dabei drehst du dich drei Mal im Kreis. Ehe du dann aus der Banja gehst, dankst du dem Banja-Geist und verneigst dich beim Hinausgehen. Du gehst rückwärts aus der Banja, um dem Geist nicht den Rücken zu kehren."
Die Stadtbevölkerung hat ihre eigenen Banja-Sitten und Gebräuche. Man trifft sich gerne in der öffentlichen Banja. Als im Jahr 2013 in der Industriestadt Kamensk-Uralsk die öffentliche Banja, die sogar während des Zweiten Weltkrieges geöffnet war, geschlossen werden sollte, weil sie nicht rentabel gewesen sei, waren die Städter empört. Sie schrieben bitterböse Briefe an den Bürgermeister und sogar an den Gouverneur – mit Erfolg. Die Banja blieb. Marina Syryanowa, Lehrerin und seit 30 Jahren begeisterte Banja-Anhängerin, weiß, warum die Menschen auch in der Stadt so an ihrer Banja hängen: „Eine öffentliche Banja, das ist ein Zentrum, wo die Menschen miteinander reden können, ein Interessensverein. Dort gibt es immer die neuesten Neuigkeiten." Genug Stoff für weitere unterhaltsame Bücher.
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