Mein Nachbar, der Grenzstreifen: Wie lebt es sich am Rande Russlands?

Der Alltag in Grenzstädten ist auf der ganzen Welt besonders. Da sind der Sprachmix, die Zollbeamten, der Produkte- und Service-Austausch. In Russland sind die Grenzregionen oft für Nicht-Anwohner und vor allem Ausländer auch nur mit speziellem Passierschein erreichbar. Russia Beyond hat sich darum für Sie einmal in drei russischen Grenzstädten umgesehen.

Stadt: Swetogorsk, 16.000 Einwohner

Grenzt an: Finnland

Die russische Kleinstadt Swetogorsk liegt nur einen Kilometer von der finnischen Grenze entfernt. Bis 1948 hieß sie Enso und gehörte zu dem skandinavischen Nachbarn. Heute aber verbindet die russische Stadt nur noch das Geschäft mit den Finnen. Denn auf beiden Seiten der Grenze befinden sich große Papierfabriken. Pausenlos verkehren Forst- und Transportfahrzeuge.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion hat sich in Swetogorsk nur wenig verändert. Plattenbauten füllen den Raum zwischen den vier Supermärkten und dem Zellulosewerk der US-amerikanischen Firma International Paper. Die Fabrik ist soziale und wirtschaftliche Grundlage der Stadt, Swetogorsk damit eine typische russische Monostadt. Da der Fabrikbesitzer aber „Amerikaner“ ist, werden jene auch immer wieder für den Stillstand in der Stadt verantwortlich gemacht, mehr noch als die örtliche Gemeindeverwaltung. So gibt es zwar gleich mehrere heruntergekommene Lenin-Denkmäler in der Stadt, aber weder ein Kino noch eine Geburtsstation in der Poliklinik. Kinder müssen darum im knapp 55 Kilometer entfernten Wyborg geboren werden.

60.932 km – Gesamtlänge der Außengrenzen Russlands

Zwischen Swetogorsk und seiner finnischen Nachbarstadt Imatra verkehrt ein Linienbus, das Passieren der Grenze ist visapflichtig. Finnen erfreuen sich an dem billigen russischen Benzin, Medikamenten und Alkohol. „Aber nicht nur daran, sie lassen sich hier auch die Haare schneiden“, erzählt Irina Berdnikowa aus Swetogorsk dem Internetportal The Village (rus). „Bei ihnen ist das ja sehr teuer. Manche kommen darum auch zur Massage.“ Die Russen wiederum würden regelmäßig zum Shoppen nach Finnland fahren, dort Lebensmittel kaufen – und in das beliebten Erlebnisfreibad in Imatra.

Berdnikowa nennt Swetogorsk eine „Stadt der Zugezogenen“. Viele Familien kämen wegen der Arbeit in den Papierwerken hierher und richteten sich eigentlich nur vorübergehend ein. „Wir leben nur zeitweise hier, erhalten eine Wohnung und tauschen sie dann“, heißt es oft. Oder: „Wir privatisieren die Wohnung und verkaufen sie dann. Aber dann bleiben sie doch.“

Grenzstau im Gebiet Leningrad, das an Finnland grenzt

Vor den EU-Sanktionen und den Rubelkurs-Sprüngen konnten sich viele Russen noch kleine Sommerhäuschen auf der finnischen Seit der Grenze leisten, erinnert sich Katri Ikavalko, Reporter der finnischen Zeitung „Uutisvuoksi“. Sie unterstützen damit auch die ansässigen Geschäftsleute. Mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten blieben nun aber auch die russischen Besucher aus und einige finnischen Geschäfte mussten darum sogar schließen.

Stadt: Blagoweschtschensk, 216.500 Einwohner

Grenzt an: China

Russland grenzt im Südosten mit den Regionen Altai, Sibirien und dem Fernen Osten an China. allein in der Großstadt Blagoweschtschensk  (knapp 8000 Kilometer östlich von Moskau) reisen täglich mehr als tausend Touristen in das nahe Heihe, am chinesischen Ufer des breiten Flusses Amur.

18 Länder grenzen an Russland: USA, Japan, Korea, Mongolei, Belarus, Ukraine, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Norwegen, Kasachstan, Georgien, Aserbaidschan sowie die international nur teilweise anerkannten
Republiken Abchasien und Südossetien

Zwischen den Städten gibt es ein Abkommen zum visafreien grenzüberschreitenden Verkehr für die Einwohner und die Entfernung der zwei Nachbarstädte beträgt gerade einmal 800 Meter. Im Sommer verkehren Fähren, im Winter führt eine gesicherte Eisbrücke über den Fluss. Eine echte Autobrücke über den Amur befindet sich gerade im Bau und soll 2019 fertiggestellt werden. Die Blagoweschtschensker träumen schon über 20 Jahre von ihr.

Beim chinesischen Nachbarn kaufen die Russen besonders oft Pelzmäntel, die dort spürbar günstiger sind als in Russland. Chinesen kommen oft zum Studieren, Arbeiten und Verkaufen nach Russland.

Jeder neue Stadtteil in Blagoweschtschensk ist von Chinesen erbaut worden, wenn auch oft im Auftrag russischer Investoren. Dies bestätigt auch Konstantin Titow (rus), Leiter der juristischen Abteilung der in Blagoweschtschensk tätigen chinesischen Baufirma „Große Mauer“. Um den örtlichen Markt zu schützen, seien darum bereits Quoten eingeführt worden. Gleichzeitig wird in der Stadt vorwiegend chinesisches Essen gegessen und chinesische Kleidung getragen. Dass der westliche Landesteil ständig Sanktionen und „sanktionierte Produkte“ diskutiert, interessiert hier kaum jemanden.

„In unserem Gebiet hat sich mit der Generation der zwischen 1985 und 1995 geborenen Kinder eine paradoxe Situation ergeben“, erzählt Titow. „Meine Tochter beispielsweise war schon überall in der Welt, auf den Philippinen, in China und Thailand, aber noch nie in Moskau oder Sankt Petersburg. Und das nur, weil es dreimal teurer ist, dorthin zu fliegen.“

Auch viele Russen fahren zum Arbeiten nach China, selbst ohne Sprachkenntnisse. Dort können sie als Verbindungsglieder bei großen Internetseiten wie Taobao oder Alibaba angestellt werden. „Der Kern ist einfach: Jemand in Russland braucht ein bestimmtes Produkt, diese Verbindungsmenschen suchen dann im Internet danach, kaufen es und bringen es dem Kunden über die Grenze“, berichtet das örtliche Nachrichtenportal Amur.info (rus).

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Stadt: Orenburg, 555.400 Einwohner

Grenzt an: Kasachstan

Von der südrussischen Stadt Orenburg ist die kasachische Grenze nur eine Autostunde entfernt. Durch Orenburg verlaufen darum einer der wichtigsten „russisch-kasachischen Korridore“ sowie die praktische Grenze zwischen Europa und Asien. Auf beiden Seiten des Grenzüberganges stauen sich Lkws mit allerlei Waren. Seit dem Zerfall der Sowjetunion verlaufe allerdings genau hier auch eine der Hauptschmuggelrouten für Haschisch und Opiate.

Orenburg selbst gilt als „ausgewachsenes Dorf“, zwischen den modernen Hochhäusern finden sich überall noch traditionelle Holzhäuser. Es gibt weder großstädtische Hektik noch katastrophale Staus, allerdings auch keine hohen Gehälter. Da höchste Gebäude der Stadt gehört dem Energie-Riesen Gazprom, der hier seit Jahrzehnten Gas fördert.

Die russisch-kasachische Grenze ist über 6000 Kilometer lang und verläuft weitestgehend unbefestigt durch die Steppe. Das größte Problem der örtlichen Bauern besteht darin, dass sich ihre Tiere nicht für die Grenzziehung interessieren. Um die grasenden Rinder oder berühmten Wildpferde einzufangen, die unrechtmäßig die Grenze übertreten haben, muss dann jedes Mal die Polizei gerufen werden – auch wenn für die Anwohner ein erleichterte Grenzverkehrregeln gelten. Aus den übrigen Regionen können Russen und Kasachen einander ebenfalls ohne Visapflicht besuchen, müssen jedoch die offiziellen Kontrollpunkte für Auto- oder Eisenbahnverkehr passieren.

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