Leonid Iljitsch Breschnew
Vladimir Musaelyan/TASSDie verschiedenen Nationen handhaben die Verwendung des Vatersnamens unterschiedlich. In den meisten Englischsprachigen Ländern kann der Name des Vaters zwischen den Vornamen und den Familiennamen, quasi als „Mittelname“, gesetzt werden. Allerdings kann man dort seinem Kind jeden x-beliebigen, gar keinen oder einen verkürzten „Mittelnamen“ geben. Nehmen wir als Beispiel Harry S. Trumen, den 33. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Dieser hatte in der Mitte seines Namens ein „S“ mit einem Punkt, was eigentlich keinerlei Bedeutung hatte.
In anderen Ländern hingegen, kann das schon wieder ganz anders aussehen. In Island haben die Menschen gar keine Familiennamen und anstelle wird der Name des Vaters verwendet. So heißt die bekannte Sängerin Björk eigentlich offiziell Björk Guðmundsdóttir, was so viel heißt, wie „Tochter von Guðmund“. Wir sehen also, unterschiedliche Länder haben unterschiedliche Sitten, wenn es um die Vatersnamen geht. Aber, wie verhält sich das nun in Russland?
Die absolute Mehrheit der Russen hat einen Vatersnamen, in Russisch den „otschestwo“, was an „otets“, der Vater, angelehnt ist. Dieser wird im Pass und anderen offiziellen Dokumenten angegeben. Fälle, in denen jemand keinen Vatersnamen hat, sind selten und deuten auf fremde Herkunft hin.
Der Vatersname endet, in Abhängigkeit vom konkreten Namen, in der Regel bei Männern auf „owitsch“ oder „jewitsch“ und auf „-jewna“, „jowna“ oder „itschna“ bei Frauen. Stellen wir uns vor, ein Mann namens Peter (Pjotr) hat eine Tochter mit dem Namen Jekaterina und einen Sohn mit dem Namen Iwan. Das würde bedeuten, dass seine Tochter Jekaterina Petrowna und sein Sohn Iwan Petrowitsch heißen würden. Hieße der Vater „Ilja“, würde dessen Tochter den Namen Jekaterina Iljinitschna (kompliziert oder?) und dessen Sohn den Namen Iwan Iljitsch tragen.
In offiziellen Konversationen neigen die Russen dazu, sich mit dem Vor- und Vatersnamen anzusprechen. Das gilt als höflich, und wenn Sie Ihrem Gegenüber Respekt zeigen möchten, ist es auf jeden Fall anzuraten, auch den Vatersnamen zu verwenden (so Sie diesen kennen, natürlich). Das ist besonders bei älteren Personen wichtig, denn von den Jüngeren wird erwartet, dass sie diese mit dem Vatersnamen anreden.
Sagen wir, Sie befinden sich in einem Krankenhaus und eine mürrische ältere Ärztin kritisiert Sie, weil Sie Ihre Unterlagen nicht richtig ausgefüllt haben. Wenn sie ein Namensschild trägt und Sie den Namen lesen können, dann sprechen Sie sie bitte mit Vor- und Vatersnamen an (zum Beispiel „Darja Sergejewna“). Ihr Herz wird dahinschmelzen, insbesondere, da Sie als Ausländer ohnehin mit Ihrem Russisch kämpfen.
Der Vatersname ist tief in der russischen Kultur verwurzelt. Betrachten wir nur einmal die Literatur: So gut wie alle Helden in den Romanen Tolstojs und Dostojewskijs als auch die der anderen Autoren des 19. Jahrhunderts sprechen einander mit dem Vatersnamen an, weil sie höfliche und gebildete Menschen sind. Nikolai Gogol, zum Beispiel, nannte eine seiner Erzählungen „Die Geschichte vom großen Krakeel zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch“, was sogar für russische Ohren ein bisschen zu viel ist. Das ist eine ironische Erzählung in der zwei Freunde aufgrund einer Nichtigkeit zu Erzfeinden werden.
“Die Geschichte vom großen Krakeel zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch“ aus dem Jahr 1959
ScreenshotEs ist wichtig, die Verwendung des Vatersnamens nicht zu übertreiben, weil es sonst an Sarkasmus grenzen könnte. In der Sowjetunion waren es die Menschen leid, die sich ständig wiederholenden vollständigen Vor- und Vatersnamen der jeweiligen Parteiführer wie Wladimir Iljitsch (Lenin), Josef Wissarionowitsch (Stalin) oder Leonid Iljitsch (Breschnew) hören zu müssen. So war die Ansprache Breschnews als „Unser lieber Leonid Iljitsch“ eine Verhöhnung des Staatschefs, wie das in vielen Witzen geschah.
Paradoxerweise gewinnt ein Vatersname unter Freunden noch eine andere Nuance, wenn er manchmal in Kurzform, sozusagen als Spitzname, verwendet wird. Sagen wir, der oben bereits erwähnte Iwan Petrowitsch entspannt sich in einer Bar mit seinem Kollegen Andrej Sergejewitsch. Dann würden sich beide wahrscheinlich nach ein paar Bier mit „Petrowitsch“ beziehungsweise „Sergejitsch“ ansprechen und sich dabei über ihre Ehefrauen, ihre Arbeit und das Wetter beklagen. Und das sind nun mal wirklich keine offiziellen Themen.
Diese Art, sich zu begrüßen, gilt in erster Linie für Männer. Frauen reden sich eher selten mit dem Vatersnamen an, selbst dann nicht, wenn sie sich sehr gut kennen. Bei Frauen wird das eher mit älteren Frauen, den Babuschkis, assoziiert, die auf einer Bank sitzen und sich unterhalten. Bei denen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie sich als „Petrowna“ oder „Andrejewna“ anreden.
Das Wichtigste bei den Vatersnamen ist, dass sich die Russen darüber im Klaren sind, dass sich Ausländer damit nicht auskennen und diese deshalb nicht in gleicher Weise verwenden. Deshalb ist es nicht schlimm, den Vatersnamen wegzulassen und einen Iwan Petrowitsch einfach mit Iwan anzureden. Er wird nicht beleidigt sein.
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