Warum trinken Russen immer Tee?

Vergessen Sie Wodka. Das größte Land der Welt ist auch das größte Teetrink-Imperium.

"Alle Russen trinken Wodka, und wenn ich zu jemandem nach Hause eingeladen werde, werde ich sicherlich was probieren", könnte ein Ausländer denken, der sich auf die üblichen Stereotypen verlässt.

Das ist allerdings etwas übertrieben. Nicht jeder in Russland trinkt Alkohol, geschweige denn Wodka - der starke Geschmack ist nichts für Zartbesaitete. So sind Ihre Chancen, beim ersten Besuch einen Wodka angeboten zu bekommen, eher gering. Was Ihnen aber sicherlich angeboten wird, ist Tee.

"Tee ist für Russen heilig", könnte man meinen. Tatsächlich lieben Russen Tee und trinken ihn immer. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2014 trinken 94 Prozent der Russen täglich Tee.

Der berühmte Schriftsteller Leo Tolstoi pflegte zu sagen:

"Ich musste viel Tee trinken, denn ohne ihn kann ich nicht arbeiten. Tee erweckt jene Möglichkeiten, die tief in meiner Seele träumen."

Die Tee-Nation

Im Gegensatz zu Napoleon oder Hitler "eroberte" der Tee erfolgreich Russland und eroberte das Land für immer. Wie in den meisten anderen Ländern wurde Tee ursprünglich aus China importiert, aber wann genau? Historiker diskutieren immer noch darüber. Der Gelehrte des 19. Jahrhunderts, Dmitrij Prosorowski, schrieb, dass ein russischer Gesandter in China den Tee im Jahre 1654 als "eine gewöhnliche Sache" erwähnt habe:

"Tee ist eine der wichtigsten Notwendigkeiten für einen modernen Menschen."

Das ist sicherlich ein sehr russischer Haltung.

"In der Mitte des 19. Jahrhunderts tranken alle sozialen Schichten, vom Adel bis zu den ärmsten Bauern, Tee", schrieb der Historiker Alexej Wolynez in einem Artikel für das Portal "Planet Russland". Sogar Nikolaus I., Russlands strenger Zar von 1825 bis 1855, befahl, inhaftierte Revolutionäre "mit Tee" zu versorgen, denn man sei ja nicht unmenschlich.

Kurz gesagt, das Teetrinken wurde zu einer russischen Tradition, die Menschen aller Schichten zusammenführte. Im Jahr 2016 ergab eine von Euromonitor International durchgeführte Studie, dass 78 Prozent der Russen den Tee dem Kaffee vorziehen würden. In den USA gewann die "Kaffee-Partei" mit 75 Prozent.

Egal was für ein Russe, ob Heiliger, Genie oder Schurke - sie alle liebten Tee.

So auch Zar Alexander I., der von 1801 bis 1825 regierte. Er machte Tee in Restaurants und auf städtischen Märkten erschwinglich. Er genoss das Getränk, und Höflinge berichteten, dass er immer "seinen Tag mit grünem Tee und Sahne, mit Toast beginnt".

Auch Wladimir Lenin, der Architekt der Oktoberrevolution von 1917, genoss den Tee. Viele Memoiren von Revolutionären jener Zeit beginnen damit, dass Lenin mit seinen Kameraden Tee trinkt. "Während seiner Zeit im Exil im Ausland, wie auch danach, trank er von Zeit zu Zeit Bier oder Wein, war aber nie ein Fan", schrieben Historiker für russische Medien.

Josef Stalin, der umstrittenste Herrscher der russischen Geschichte, hatte auch einige gemeinsame menschliche Züge - zum Beispiel die Liebe zum Tee. Marschall Alexander Wassilewskij erinnerte sich:

"In der Regel bringt ihm sein Assistent während der Sitzungen ein Glas Tee mit Zitrone... Stalin drückt die Zitrone in den Tee, fügt Cognac hinzu und trinkt den Tee, indem er einen Schluck trinkt..."

Das Geheimnis der Zitrone

Stalin war nicht der Einzige, der Zitrone in seinem Tee gab, und diese Gewohnheit ist spezifisch russisch.

"Niemand macht das anderswo", meint Swetlana Ustjugowa, Expertin für russische Desserts. "Die Tradition tauchte an den Poststationen (im 18. - 19. Jahrhundert) auf, als die Reisenden ihre Pferde wechselten. Gegen Reisekrankheit hilft dann etwas Saueres, und so wurde ihnen Tee (zum Aufwärmen) mit Zitrone angeboten (um sich besser zu fühlen). "

Außerdem ist es in einem kalten Land wie Russland wichtig, Nahrungsmittel mit Vitamin C zu sich zu nehmen. Nicht alle Russen bevorzugen jedoch Tee mit Zitrone. Manche mögen es auf die englische Art, mit Milch; aber viele trinken auch einfachen Tee. Am Ende gibt es keinen "schlechten Tee" für einen Russen.

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!