„Wie zu Hause“: Wie sich ein britischer Journalist in den russischen Fußball verliebte

Russische Fußballmannschaft

Russische Fußballmannschaft

Alexej Danitschew/Sputnik
Hooligans, europäische Siegesserien und Fußballklubs, die über Nacht liquidiert werden: Andy Potts hat schon alles erlebt. Doch dann beschäftigte er sich mit dem russischen Fußball und entdeckte seine Liebe zu ihm. Russia Beyond hat für Sie nachgefragt.

Während die Fußball-Weltmeisterschaft noch läuft, gibt es in Russland sicherlich viele Fans, die die schönen neuen Stadien betreten und eigentlich gar keine Ahnung haben, was sie denn erwartet. Der Journalist und Schriftsteller Andy Potts reiste neun Jahre lang zu russischen Fußballspielen jeder Liga – egal wie weit entfernt. Mit Russia Beyond hat er über das Mysterium der russischen Fußballkultur gesprochen.

Über das erste Spiel, bei dem Sie in Moskau waren, haben Sie geschrieben, dass das Dynamo-Stadion sich „wie eine Gefängnisbaracke“ anfühlte. Wie um alles in der Welt brachte Sie dieses Spiel dann dazu, sich mit dem russischen Fußball zu beschäftigen?

Das erste Spiel, zu dem ich gegangen bin, war schrecklich, aber ich fühlte mich trotzdem wie zu Hause. Die Fans haben ihre eigenen Hoffnungen und Träume, die gleichen Beschwerden über den Schiedsrichter, die gleichen Spieler, die sie aus den gleichen Gründen mögen oder nicht mögen. Es war also nichts, was mir völlig fremd war.

Es wurde zu einer Faszination von mir und 2015 kehrte ich schließlich nach Großbritannien zurück, was viel darüber aussagt, wie sehr ich meine Zeit in Russland genossen habe.

Das Dynamo-Stadion

Wie würden Sie jemandem, der zum ersten Mal hier ist, die wichtigsten Merkmale des russischen Fußballs erklären?

Alles ist viel reglementierter und geordneter als bei einem Spiel mit britischem Publikum, wo der Lärmpegel eher darauf hindeutet, was auf dem Feld passiert. Die russischen Fans fangen jedoch etwa 20 Minuten nach Spielbeginn an zu jubeln, auch wenn beim Spiel selbst gerade nicht viel passiert. Ich fragte mich, was los sei, aber ab diesem Punkt stimmten sie einfach ihre Fangesänge und -lieder an.

Da gibt es diese Kerle in der Ecke, die irgendwie alles leiten und im Griff haben. Ich fand es ehrlich gesagt ein wenig merkwürdig, zu einem Fußballspiel zu gehen, um dann mit dem Rücken zum Spielfeld zu stehen und tausende andere Menschen zu animieren.

Wie wird sich diese Verhaltensweise bei der Fußball-Weltmeisterschaft widerspiegeln? Denken Sie, dass diese Atmosphäre die Fans, die ins Land kommen, begrüßen wird?

Eines der Dinge ist die Art und Weise, wie sich das Fußballpublikum im Hinblick auf die Weltmeisterschaft verändert hat. Es gab eine Art Gentrifizierung und es ist alles ein bisschen familienorientierter geworden. Sie können Parallelen zu der Art und Weise ziehen, in der sich der englische Fußball zu einer umfassenderen und kommerzielleren Beschäftigung entwickelte.

In Bezug darauf, ob wir mit Hooligans oder Gewalt zu kämpfen haben werden, glaube ich ehrlich gesagt nicht, dass das in und um die Stadien, beziehungsweise in den Fanzonen ein Problem darstellen wird.

Wir reden viel über den russischen Fußball, der durch die Weltmeisterschaft beeinflusst wird. Glauben Sie auch, dass die Weltmeisterschaft den russischen Fußball verändern wird?

Ich denke, es wird eine großartige Feier werden, denn ich glaube auch, dass viele Leute Russland mit einer anderen Meinung zu dem Land verlassen werden. Durch meine Arbeit bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Touristen ihren Besuch genießen und mit einer positiven Einstellung gegenüber Russland und den von ihnen besuchten Städten wieder gehen.

Das Fischt-Stadion in der Olympiastadt Sotschi

Wir werden jedoch abwarten müssen, ob die Ausgaben in Milliardenhöhe für Stadien an Orten wie Saransk langfristige Vorteile für den russischen Fußball bringen können. Ob 40 000 Zuschauer in der nächsten Saison in das Stadion kommen, um ein Spiel vom Zweitligisten Mordowija Saransk zu sehen, bleibt für mich fragwürdig. Wir müssen einen vernünftigen Weg finden, das Talent zu entwickeln, das sicherlich noch da draußen ist.

Das ruft oft Erinnerungen aus dem Jahr 2008 hervor, als Russland das letzte Mal eine wettbewerbsfähige Nationalmannschaft hatte. Russland schien wie eine neue Supermacht, aber das verlor sich leider schnell wieder. Könnte das erneut passieren? Könnte der Geist von 2008 neu entfacht werden?

Es ist dieses Mal schwierig, einen Spieler rauszusuchen und zu sagen: „Sie haben noch nie etwas von ihm gehört, aber innerhalb des nächsten Monats wird die ganze Welt über ihn sprechen.“ Vor allem mit Andrei Arschawin in der Nationalmannschaft von 2008 merkte man, dass dort etwas Besonderes war.

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Ich denke, das eigentliche Problem ist, dass die Spielerentwicklung in Russland mit etwa 22 oder 23 Jahren zu stoppen scheint. Ihre Position ist sicher, die russische Liga zahlt gute Löhne im Vergleich mit dem Rest von Europa. Wenn die Spieler also nicht für einen Wechsel zu einem Verein wie Real Madrid oder Bayern München in Frage kommen, gibt es für sie keinen großen Anreiz, ins Ausland zu gehen oder sich weiterzuentwickeln.

Was nach 2008 jedoch auffiel, war die Anzahl der Spieler, die nach Übersee gingen – beispielsweise Andrei Arschawin, Roman Pawljutschenko und Pawel Pogrebnjak – aber es waren nicht viele und die meisten von ihnen blieben nicht sehr lange. Entweder fanden sie es schwierig, sich in einem anderen Land niederzulassen, oder sie empfanden es als eine zu große Herausforderung, sich an einen anderen Fußballstil zu gewöhnen. Ich bin mir sicher, dass Igor Akinfejew ein guter Torhüter ist, der auch in einer großen Liga spielen könnte, aber wahrscheinlich will er es einfach nicht.

Denken Sie, dass sich das mit der Weltmeisterschaft verändern wird? Wird Russland dadurch ein wenig offener?

Das könnte sein. Wenn die russische Mannschaft gut spielt, werden einige europäische Vereine sicherlich ein Auge auf die Spieler werfen. Und ich bin mir sicher, dass sich die russischen Spieler bewusst sind, dass die Weltmeisterschaft eine Möglichkeit ist, ihr Talent zu zeigen, um dann ein gutes Angebot zu bekommen und ihre Karriere voranzubringen.

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