Henry Kissinger über Russland: „Zusammenspiel von Härte und Vision“

AFP; Legion Media
Der Name des ehemaligen Außenministers der Vereinigten Staaten, Henry Kissinger, taucht regelmäßig im Zusammenhang mit Russland auf. So schlug er die Schaffung einer Moskau-Washington-Allianz gegen Peking vor. Hier sind seine spannendsten Aussagen zu Russland.

Über die Bereitschaft der Russen, notfalls zu verhungern

„Russland wurde von einer Elite geschaffen, die ihre Leibeigenen auf entlegene Felder brachte sowie von Zaren, die verkündeten, auf ödem Sumpfland würden schon bald Odessa oder Sankt Petersburg stehen. Das Land fußt auf einem mystischen Zusammenspiel von Härte und Vision. Es überlebte sogar eine Jahrhunderte andauernde Mongolenherrschaft.“

„Auch Karl der Siebte, der König von Schweden, marschierte [im frühen 18. Jahrhundert] in Russland ein, weil er dachte, es wäre ein Leichtes, in Moskau eine schwedische Herrschaft zu etablieren. Dort stieß er jedoch auf russische Bauern, die ihre eigene Ernte verbrannten, um den Besatzern die Nahrung zu entziehen. Sie wollten lieber verhungern, als sich und ihr Land von ihm regieren zu lassen. Da war er [Karl der Siebte] durch halb Europa marschiert, aber so etwas hatte er noch nie zuvor gesehen. Seine Truppen waren schließlich gezwungen, sich in den Süden der Ukraine zurückzuziehen, um zu überleben. Dort wurden sie besiegt.“

Über Russland als Retter der Welt

„Nur wenige Länder in der Geschichte haben in ihrem Streben nach Sicherheit und Status mehr Kriege oder Unruhen ausgelöst als Russland. In Krisenzeiten bewahrte Russland das Gleichgewicht der Welt aber auch vor jenen Mächten, die es zerstören wollten. Das galt sowohl für die Mongolen im 16. Jahrhundert als auch für die Schweden im 18.-, Napoleon im 19.- und Hitler im 20. Jahrhundert.“

„Heute spielt Russland bei der Bekämpfung des Islamismus eine wichtige Rolle, unter anderem, weil insbesondere im Kaukasus und entlang der südlichen Grenze rund 20 Millionen Muslime leben. Zudem fungiert Russland als wichtiger Gegenspieler Asiens.“

Über ein rastloses Russland

„Von Peter dem Großen bis zu Wladimir Putin haben sich zwar die Umstände geändert, der Rhythmus ist aber erstaunlich konstant geblieben. …[Russland ist] eine einzigartige ‚eurasische‘ Macht, die sich über zwei Kontinente erstreckt, aber auf keinem wirklich zu Hause ist. ... [Seine Geopolitik ist geprägt von] der harten Schule der Steppe, in der einst eine Reihe nomadischer Horden auf offener Fläche mit wenig festen Grenzen um Ressourcen kämpften.“

Über Breschnew als Vorläufer Gorbatschows

„Ich betrachtete [den einstigen sowjetischen Staatschef Leonid] Breschnew rückblickend als eine Art Vorgänger von [dem ersten Staatspräsidenten der Sowjetunion Michail] Gorbatschow. ... Er wollte keinen Konflikt. Er konnte sich diplomatisch und eloquent ausdrücken. ... Ich denke, dass er wirklich einen Abbau der Spannungen mit den Vereinigten Staaten erreichen wollte. ... Als wir in der Lage waren, fortzufahren, entwickelte sich leider in den Vereinigten Staaten eine Debatte, in der jeder Aspekt der sogenannten Entspannungspolitik kontrovers diskutiert wurde. ... Ich sah Breschnew immer als einen Menschen, der wirklich Entspannung herbeiführen wollte, zum Teil, weil ihm zu diesem Zeitpunkt wohl die dringende Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des [politischen] Systems bewusst wurde.“

Putin als Dostojewskijs Romanfigur

„[Putin] ähnelt einer Romanfigur von Dostojewskij. Er ist ein Mann, der eine tiefe innere Verbindung und einen Sinn für die russische Geschichte besitzt. Zudem ist er ein glühender Verfechter der russischen Nationalinteressen. Er glaubt außerdem, dass Russland einige einzigartige Eigenschaften besitzt. Womöglich hat er recht. Aus diesem Grund ist für ihn die Frage nach der russischen Identität äußerst wichtig, auch weil Russland infolge des Zusammenbruchs des Kommunismus um die 300 Jahre seiner Geschichte verloren hat – ein Problem, das wir beispielsweise nie hatten.“

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