Nachdem sie von der Arbeit zurückkehrte, öffnete Elena wie immer das Fenster. Als sie das Licht ausmachte und zu Bett ging, hörte sie plötzlich ein schrilles Quieken und ein weiteres, raschelndes Geräusch in ihrer Wohnung. Sie tastete sich durch sämtliche Ecken des Raumes, fand aber nichts. Sie hörte nun auch keinen Laut mehr und die Aufregung legte sich. Zwei Tage später fand sie eine tote Fledermaus hinter einer ihrer Zimmerpflanzen. Erschrocken und in dem Glauben, von einem bösen Geist verfolgt zu sein, warf sie das leblose Tier aus dem Fenster. Dann ging sie in die Kirche und bat den Priester, einen Exorzismus durchzuführen.
Selbst für nichtreligiöse Menschen scheinen Elenas Ängste verständlich, schließlich ist eine Begegnung mit einer Fledermaus, vor allem in Großstädten, eher selten. Einige Experten sagen jedoch, das könnte sich bald ändern. Durch die Klimaerwärmung wächst die Population stark. Schon in diesem Sommer könnten Begegnungen mit den fliegenden Tieren immer wahrscheinlicher werden. „Als Folge des Klimawandels tauchen immer mehr Tierarten aus südlicheren Regionen in Moskau auf, darunter auch Fledermäuse“, sagt Anton Kulbatschewski, Direktor des Moskauer Büros für Umweltmanagement und Umweltschutz, gegenüber der Nachrichtenagentur Moskwa.
Nur wenige Menschen wissen, dass es in Moskau Fledermäuse gibt. Trotzdem leben inzwischen schon mindestens fünf Unterarten in der russischen Megametropole. Wissenschaftlern zufolge haben einige ihren Winterschlaf bereits früher beendet (normalerweise wachen Fledermäuse Ende April bis Anfang Mai auf, wenn es genug Insekten als Nahrungsquelle gibt).
Die häufigste Art ist die dichromatische Braune Fledermaus. Sergei Kruskop vom zoologischen Museum der Moskauer Staatsuniversität sagte gegenüber Russia Today, diese Fledermausart reagiere ruhig bis desinteressiert auf Menschen. Andere Unterarten, darunter die Waldfledermaus, der rote Abendsegler, die braune Langohrfledermaus und die Wasserfledermaus, sind deutlich seltener. „Es ist schwer zu sagen, wie viele dieser Tiere es in Moskau gibt und ob die Population wächst“, meint Kruskop.
Laut Chiropterologen (Fledermausexperten), leben die Tiere hauptsächlich in großen Stadtparks. Dort haben sie genug Nahrung in Form von Insekten und Pflanzen. Sie schlafen tagsüber und gehen nachts auf die Jagd. In stark bebauten Gegenden findet man sie deutlich seltener. Trotzdem sind vermutlich vielen Moskauern, die in der Dämmerung unterwegs waren, schnell vorbeifliegende, an Vögel erinnernde, Silhouetten aufgefallen. Sie beginnen mit ihrer Jagd auf Schmetterlinge und andere Insekten, sobald es für Vögel zu dunkel ist. „Plattenbauten bieten einen guten Unterschlupf für Fledermäuse“, erklärt Kruskop. „Die Dachböden und Abfallschächte erinnern die Tiere an die Höhlen, in denen sie sich in freier Wildbahn verstecken.“
Andere Leute sind Fledermäusen aber auch schon an unerwarteten Orten begegnet. Das passiert, wenn die Tiere sich ungeeignete Plätze für den Winterschlaf ausgesucht haben.
„Es gibt Fälle, in denen der Schlafplatz nicht den Vorstellungen der Fledermäuse entspricht. Wenn es zum Beispiel an einem Ort zu rapiden Temperaturumschwüngen kommt, wachen die Tiere auf und versuchen einen komfortableren Schlafplatz zu finden. So kommt es, dass sie sich in Küchen oder Büros wiederfinden“, sagt Kruskop.
Viele Menschen haben Angst vor den Fledermäusen. In Sozialen Netzwerken finden sich Fragen wie „Sind Fledermäuse gefährlich?“, „Beißen sie?“ oder „Trinken sie menschliches Blut?“
Wenn man bedenkt, dass es zum Thema Fledermäuse mehr Mythen und Spekulationen gibt als valides Faktenwissen, scheinen solche Ängste nachvollziehbar. In Moskau gibt es jedoch keinen Grund zur Sorge: Die dort lebenden Fledermäuse gehören nicht zu der blutsaugenden Sorte.
Versuchen Sie nicht, das Tier anzufassen. So bleibt es für beide Seiten ungefährlich. Fledermäuse haben sehr fragile Knochen und Membranen und können sich leicht verletzen. Zudem beißen sie, wenn sie Angst haben und es besteht die Gefahr, dass die Tiere mit der Tollwut infiziert sind.
Daher warnen Experten vor allem davor, Fledermäuse mit bloßen Händen anzufassen. Wenn sie das Tier doch berühren müssen, nehmen sie beispielsweise ein Handtuch und bringen es dann zu einem Experten. In Moskau gibt es ein Rehabilitationszentrum für Fledermäuse im Zoo.
„Alle Fledermausarten, die in Moskau leben, finden sich auf der Roten Liste des Weltnaturschutzbundes IUCN. Sie sind ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems und müssen daher geschützt werden“, sagt Olga Iltschenko, Angestellte des erwähnten Fledermausrehabilitationszentrums.
Sie erklärt, dass Fledermäuse keine Plage sind, sondern sehr nützliche Tiere. In westlichen Ländern besteht hierfür bereits ein Bewusstsein und die Tiere werden in die städtischen Planungen einbezogen. „Manche Häuser in Westeuropa sind mit eigenen Siedlungsräumen für Fledermäuse ausgestattet“, berichtet sie.
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