„Ich wusste nicht, was es war. Ich bekam akute Schmerzen im Unterbauch und im unteren Rücken. Jedes Mal, wenn die Schmerzen kamen, musste ich zur Toilette. Das passierte ungefähr 20 Mal am Tag. Jedes Mal war Blut im Stuhl.”
Bei Sascha Kudelina wurde Colitis ulcerosa diagnostiziert. Vier Jahre später wurde ihr Dickdarm entfernt. Es waren die vier schwierigsten Jahre ihres Lebens. Eine Kolektomie, die vollständige Entfernung des Dickdarms, ist das letzte Mittel, wenn Medikamente keine Wirkung zeigen.
Nach der Operation startete Sascha einen Blog, Sasha govorit, in dem sie von ihrem Leben vor und nach dem Eingriff erzählt. Sie postet fröhliche Fotos von sich und ihrem Stoma und erklärt, wie man trotz der Einschränkung ein glückliches Leben führen kann. Mehrere Medien berichteten über sie und plötzlich steht Sascha negativen Reaktionen gegenüber, die auf ihrem Instagram-Account bislang eher selten waren.
„Nun steht aber in den Kommentaren auf den Websites der Nachrichtensender viel Negatives”, sagt Sascha. Es heißt: „Warum muss ich mir so etwas anschauen?” oder „Das erschreckt die Kinder.” Sehr häufig sagen Leute, dass es ihnen unangenehm wäre, neben Sascha zu stehen.
Colitis Ulcerosa ist eine Autoimmunerkrankung. Nur 35 bis 100 von 100.000, weniger als 0,1 Prozent, Menschen erkranken. Genetische Veranlagung und ungünstige Bedingungen führen zum Ausbruch der Krankheit. Manchmal sind Antibiotika die Ursache, manchmal eine fettreiche Ernährung. Bei Sascha war es wohl Stress, der sie krank werden ließ. Es gab Spannungen auf der Arbeit und eine Überbelastung durch viele Nachtschichten.
Viele Menschen erleben eine Remission, eine Phase, in der sich die Symptome nicht oder nur in geringem Maße zeigen, bevor sie wieder auftreten. So war es auch bei Sascha: „Ich erinnere mich, als wäre es heute: Am 9. Juli, einem Montag, wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen, alles war in Ordnung. Ich hatte nur noch geringe Mengen Blut im Stuhl. Am 15. Juli habe ich mich mit Freunden getroffen, um das WM-Finale zu schauen. Es war ein fantastischer Sonnentag, ich trug ein sehr dünnes weißes Kleid und dazu Sandalen.
Mein Begleiter und ich waren in der U-Bahn, als ich plötzlich heftige Bauchschmerzen bekam. Ich stieg aus und nahm die Rolltreppe nach oben. Ich hatte Sehstörungen und war benommen. Mitten in der Innenstadt rannte ich aus der U-Bahnstation in ein KFC-Restaurant und dort die Treppe hoch zur Toilette, vor der eine lange Schlange stand. Ich schaffte es nicht mehr, das Blut ran mir bereits die Beine runter. Ich konnte kaum noch laufen und drängte mich an den Wartenden vorbei.
In der Toilette setzte ich mich auf den Fußboden und weinte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Eine Reinigungsfrau hatte alles gesehen und reichte mir eine Handtuchrolle. Ich zog mein Kleid aus und versuchte, es auszuwaschen.”
Dies war nicht der einzige Vorfall, den Sascha erleben musste. Es gab viele solcher Situationen. Deshalb erscheint es nicht verwunderlich, dass Sascha nach alledem eine Entfernung des Dickdarms und einen künstlichen Darmausgang für den Rest ihres Lebens als kleineres Übel wählte. „Die Entscheidung ist mir leichtgefallen. Zu diesem Zeitpunkt war mir schon alles egal”, sagt Sascha.
Sascha akzeptierte die Idee eines Stomas sofort. Ihre Eltern und engen Freunde taten es auch. Nur viele andere haben offenbar ein Problem damit.
„In Russland weiß man nicht, wie man mit dem Thema Stoma umgehen soll. Es ist normalerweise nicht sichtbar unter der Kleidung. Viele Menschen finden, es sei unangemessen, das Stoma offen zu zeigen. Ich selbst traue mich noch nicht, in einem Bikini am Strand aufzutauchen. Die Leute wissen nicht, was ein Stoma ist und wie es funktioniert. Sie fürchten, sie müssten meine Ausscheidungen mitansehen oder dass es riechen wird. Menschen mit schlechten Augen haben aber doch auch kein Problem damit, eine Brille aufzusetzen. Warum also, sollte ich keinen Bikini tragen?”, überlegt Sascha.
In den vier Jahren seit der Diagnose ist sie ab und an verreist. Das ist mit dieser Erkrankung nicht immer einfach. Die Ärzte in Russland sind beim Thema Reisen mit Stoma kritisch.
„Als ich eine Behinderung registrieren lassen wollte und die Ärzte erfuhren, dass ich verreise, empfahlen sie mir, mit dieser Erkrankung nicht einmal ins Wochenendhaus zu fahren. Es sei zu riskant. Was ich mir eigentlich denken würde”, erzählt Sascha und gibt selbst die Antwort: „Nun, es scheint viele Menschen zu überfordern, dass ich in der Lage bin zu reisen, dass ich lachen kann und noch immer ein attraktives Mädchen bin. Ich habe mit meinem Blog begonnen, um anderen Betroffenen Mut zu machen. Ich mache absolut keine Werbung für eine Kolektomie. Aber ich möchte zeigen, dass ich glücklich bin und dass es nicht unerträglich ist.”
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