Konsens von Wien und Antalya: Gemeinsam wider den Terror

ap
Es mag Zufall sein oder auch nicht: Nach den Anschlägen in Paris, die die ganze Welt erschütterten, haben die Verhandlungen über Syriens Zukunft in Wien einen Schub erfahren. Auch beim G-20-Gipfel im türkischen Antalya am darauffolgenden Tag zeigte sich die Weltpolitik mit selten entschlossener Einigkeit, den „Islamischen Staat“ bekämpfen zu wollen.

Bei dem ersten G-20-Gipfel seit Beginn der Ukraine-Krise wurde mehr oder weniger der Dialog zwischen Wladimir Putin und Barack Obama fortgesetzt – wenngleich er auch nur 35 Minuten dauerte. Dennoch: ein Wendepunkt nach der langen Pause.

Putin hat politische Köpfe getroffen, die er entweder seit dem Beginn der Ukraine-Krise (den britischen Premierminister David Cameron) oder seit der Stellungnahme zum Schicksal des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad (den türkischen Präsidenten Recep Erdoğan und den saudi-arabischen König Salman) nicht mehr getroffen hatte. Höchstwahrscheinlich haben die Terroranschläge der Islamisten das Unbehagen bei diesen Treffen etwas geglättet. Es war ein überraschender Gegensatz zum G-20-Gipfel im australischen Brisbane, bei dem Putin wegen der unfreundlichen Atmosphäre vorzeitig abgereist war.

Am Vorabend des Gipfels in Antalya hatten sich die Außenminister in Wien auf einen Zeitplan für die politische Regelung in Syrien geeinigt. Demnach soll innerhalb von sechs Monaten eine „glaubwürdige, nicht-konfessionelle Regierung, die alle Parteien umfasst“, gebildet werden. Der Entwurf einer neuen Verfassung müsse in die Wege geleitet werden mit dem ultimativen Ziel, „freie und faire Wahlen“ innerhalb der nächsten 18 Monate zu ermöglichen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon bezeichnete die Wiener Fortschritte als einen „seltenen Augenblick, bei dem die Möglichkeit besteht, dem Konflikt in Syrien ein Ende zu setzen“. Selbst der verständlicherweise zurückhaltende Sender Al Jazeera kommentierte den Wiener Konsensus folgendermaßen: „Es gibt offenbar einen großen Durchbruch.“

„Die Bedrohung besteht für alle“

Ist es möglich, dass die Tragödie von Paris der so gut wie tot geglaubten Kommunikationsleitung zwischen Russland und dem Westen wieder Leben eingehaucht hat? Juri Rogulew, Vorsitzender der Roosevelt-Stiftung für US-Forschungen an der Moskauer Staatlichen Universität, sprach mit der Analyseabteilung von RBTH, Troika Report, über die Feinheiten diplomatischer Abkommen.

Juri Rogulew: Als die Tragödie bei einem der wichtigsten Verbündeten der Vereinigten Staaten in Europa passierte, änderte sich die gesamte Situation. Das Treffen der Außenminister in Wien hat bewiesen, dass es möglich ist, eine Absprache über Syrien zu treffen. Die Terroranschläge in Paris zeigten, dass es eine gemeinsame Agenda gibt. Die bisherige Anti-Terror-Kampagne der USA und deren Verbündete gegen die Islamisten blieb erfolglos – damit ließen sich Angriffe gegen den Westen auf dessen Boden nicht verhindern. Eine Bedrohung besteht nicht nur für Russland, Syrien und die Türkei, sondern für das ganze Europa ebenso wie die USA.

Troika Report: Im Nachgang des Treffens von Putin und Obama demonstrierten alle Nationen des G-20-Gipfels geschlossen den Willen, die Terrororganisation „Islamischer Staat“ zu bekämpfen. Allerdings wies der Kreml später darauf hin, dass – abgesehen davon, dass die Strategie Fehlinterpretationen unterliege – es unterschiedliche Ansichten darüber gibt, welche Taktiken angewendet werden sollten. Könnten Sie das für uns „entschlüsseln“?

J.R.: Das strategische Ziel ist den Terrorismus zu bezwingen. Das schafft man nicht voneinander getrennt, schon gar nicht im Nahen Osten, wo jeder gegen jeden kämpft und zu viele staatliche Akteure an den Feindseligkeiten beteiligt sind. Das Erfolgskonzept heißt Einigkeit, solange es eine Übereinkunft über das eigentliche Ziel gibt. Bemerkenswert ist, dass der US-amerikanische Präsident die Bemühungen Russlands unterstützt, den Terrorismus in Syrien zu bekämpfen. Nun muss ein Format ausgearbeitet werden, um militärische und politische Handlungen zu koordinieren.

Troika Report: Die G20 erklärten den Kampf gegen den IS und den Terrorismus allgemein zur Priorität. Dieses Ergebnis kam direkt nach den Verhandlungen in Wien am Vortag. Erleben wir mit den Entscheidungen, die in Wien und beim G-20-Gipfel getroffen wurden, eine Annäherung zwischen dem russischen und dem amerikanischen Ansatz zur Lösung der Syrien-Krise?

J.R.: Nach wie vor besteht Russland darauf, dass Assads Schicksal nicht in Moskau oder Washington, sondern in Syrien durch das syrische Volk bestimmt werden sollte. Außerdem müssen die Terroristen auch vor Ort bekämpft werden. Durch Luftangriffe wird man den IS nicht zerschlagen können. Wenn der Sieg sichergestellt ist, zumindest in den wichtigsten Gebieten, ist der richtige Zeitpunkt für die syrischen Bürger gekommen, sich für eine passende Regierungsform zu entscheiden. 

Während nach wie vor Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft Baschar al-Assads bestehen und auch die Frage nach einem Waffenstillstand zwischen der Regierung und der Opposition weiter ungeklärt bleibt, setzen 19 internationale Akteure einschließlich der USA langsam, aber sicher, eine politische Lösung des inneren Konflikts in Syrien durch. Nach dem Drama in Paris und dessen Auswirkungen auf die Psyche der Nation und weltweit können die einmütigen Erklärungen aus Wien und Antalya also kaum als unbedeutend erachtet werden.

Die Höhepunkte am Rande des G-20-Gipfels

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