Das Kernkraftwerk Kola neben Stadt Murmansk
Roman Denisov/RIA NovostiDie ersten Anzeichen einer erhöhten Radioaktivität sind Medienberichten zufolge Anfang Januar in Norwegen registriert worden, nicht weit von der russischen Kola-Halbinsel. Später wurden Spuren radioaktiven Iods auch in anderen ost- und westeuropäischen Ländern festgestellt.
Von Polen bis nach Spanien seien erhöhte Werte des radioaktiven Stoffes Iod-131 gemessen worden, wie die französische Aufsichtsbehörde für Radioaktivität (ISNR) mitteilte. Dabei handelte es sich jedoch um eher geringe Dosen. So gab denn auch in der Zeitschrift „Barents Observer“ Astrid Liland von der norwegischen Strahlenschutzbehörde Entwarnung: „Die erhöhten Werte bedeuten keine Gefahr für Mensch und Natur. Deswegen meinen wir, dass das Ereignis keine Rede wert ist.“
Das sah aber nicht jeder so. Die britische Zeitung „Independent“ publizierte einen Artikel, der die Radioaktivität mit „dem heimlichen Start einer Nuklearrakete aus Russland“ zu erklären versuchte. Die ebenfalls britische Zeitung „Sun“ berichtete von einem möglichen Nukleartest auf dem russischen Militärstützpunkt auf der Doppelinsel Nowaja Semlja in der Arktis.
Alexander Uwarow, Chefredakteur des Portals „Atominfo“, bekräftigte im Gespräch mit RBTH, dass es sich bei der gemessenen Strahlung um „Spuren einer Verschmutzung handelt, die nur besondere Geräte registrieren können und die keine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen“. Der Verschmutzungsgrad sei um das 1 000-Fache geringer als der während der Fukushima-Katastrophe, betonte der Experte.
Da die Zerfallsgeschwindigkeit des Iods sehr hoch sei – sie beträgt nur einige Tage –, sei es kaum möglich, die Quelle der Verschmutzung festzustellen, fügte Uwarow hinzu. Einen Nukleartest schließt der Fachmann aber aus: „Bei einem Test wird nicht Iod, sondern eine Menge anderer Isotopen ausgestoßen“, erklärte Uwarow. Das gelte auch für Unfälle auf Atom-U-Booten.Außerdem würden Nukleartests heutzutage nicht unbemerkt bleiben, wie Dmitri Ewstafjew, Professor an der Moskauer Higher School of Economics und Experte im Bereich der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen, anmerkt. „Es ist unmöglich, nukleare Tests ohne große Vorbereitungen durchzuführen. Und wegen der modernen Satellitenüberwachung kann man nicht einmal Geräte und Personal auf die Doppelinsel bringen, ohne dabei Aufmerksamkeit zu erregen. Diese Vorbereitungen hätte man schon anderthalb bis zwei Monate im Voraus bemerkt“, sagte der Fachmann zu RBTH.
Die jüngsten unterirdischen Nukleartests fanden in Russland vor mehr als 25 Jahren statt, zum letzten Mal im Jahr 1990. 1996 unterzeichnete und ratifizierte Moskau den sogenannten Kernwaffenteststopp-Vertrag. Es ist nicht bekannt, dass Russland seine offizielle Einstellung gegenüber unterirdischen Nukleartests seitdem geändert hätte.
Als Beleg für das Nukleartest-Szenario wird die Tatsache herangezogen, dass ein Flugzeug vom Typ WC-135 der amerikanischen Luftwaffe zur Messung radioaktiver Strahlung in Großbritannien auftauchte. Doch wie Experten erklären, sei dieses Flugzeug nicht an der russischen Grenze, sondern auf Inseln stationiert. Zudem seien die Messungen in der Luft Routine, meinen die Fachleute. Ein Vertreter der Luftwaffe selbst sagte darüber hinaus, dass das Flugzeug schon viel früher in Europa stationiert worden sei – noch bevor es Meldungen über die Iod-131-Verschmutzung gab.Die radioaktive Strahlung ist auch weder auf das Atomkraftwerk im Verwaltungsgebiet Murmansk an der Grenze zu Norwegen noch auf die russischen Atomeisbrecher, die dort stationiert sind, zurückzuführen. Das hätten Atomspezialisten in der Gebietshauptstadt Murmansk versichert, wie Vertreter der internationalen Umweltorganisation Bellona erklärten. Es gebe keinen Grund, an der Aussage der Spezialisten zu zweifeln.
Doch was ist dann die Ursache für die erhöhte Radioaktivität? Russische Experten sind sich sicher: Der Ausstoß dieses bestimmten Isotops deutet auf eine Verschmutzung durch die Industrie hin. Uwarow sieht die Schuld beispielsweise bei Pharmaunternehmen, die radioaktive Medikamente herstellen. „In Europa gibt es viele solcher Unternehmen“, sagte der Fachmann mit Blick auf einen ähnlichen Vorfall aus dem Jahr 2011 in Ungarn. Auch damals kam es zu einem erhöhten Iod-131-Ausstoß – freigesetzt von einem Institut in Budapest, das Isotopen für den medizinischen Bereich produziert.
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