Wie der erste Anti-Korruptions-Film von Nawalny zeigte, gibt es in der Residenz von Dmitrij Medwedjew einen Teich mit einem Entenhäuschen. Auch ein anderer Politiker, den Nawalny bloßstellte, scheint ein Herz für Tiere zu haben: Igor Schuwalow soll seine Corgis mit einem Privatjet zu Ausstellungen geflogen haben. Die Gummi-Ente wurde so zum Symbol der Massenproteste gegen Korruption. / Global Look Press
Russlands Regierung ist am Zug: Nach den Anti-Korruptions-Protesten, die am 26. März in mehreren russischen Städten stattfanden, erwarten aufgebrachte russische Bürger auf ihren Unmut Antworten. Und tatsächlich versuchen Spitzenpolitiker aller Couleur, diese Antworten zu finden.
Nach fünftägigem Schweigen meldete sich Russlands Präsident Wladimir Putin zu Wort: Das Korruptionsproblem sei „in letzter Zeit kleiner geworden“, betonte er. Es sei falsch, wenn politische Kräfte das Thema „als Instrument benutzen, um sich mehr Publicity zu verschaffen, statt die Situation im Land zu verbessern“. Wenige Tage zuvor hatte Putins Sprecher Dmitrij Peskow durchklingen lassen, der Kreml stufe die Proteste ganz nüchtern als Provokation vonseiten der Opposition ein.
Der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew, eigentlicher Auslöser für den bürgerlichen Aufruhr, kommt in den Erklärungen des Kremls nicht vor. Der Premier selbst verzichtet gänzlich auf Kommentare. Über soziale Medien ließ er wissen, er sei am Tag der Proteste im Skiurlaub gewesen.
Teilnehmer einer nicht genehmigten Protestaktion gegen Korruption in der Regierung sammelten sich am Puschkin-Denkmal in Moskau. So wurde der große russische Dichter auch zum Symbol der Proteste. / Komsomolskaya Pravda/Global Look Press
Reaktionen gibt es hingegen von anderen Spitzenpolitikern, die sich nach eigenem Wissen und Gewissen äußerten. Die Kommunisten waren die ersten, die Ermittlungen forderten. Sie appellierten an die Behörden, Medwedjews Verstrickungen in geheime Skihütten und einem Schloss in der Toskana aufzuklären. Eine Antwort der Fahnder bleibt bislang aus.
Dann sprach sich der Vorsitzende der Partei Gerechtes Russland, Sergei Mironow, vorsichtig für eine Aufklärung der Vorwürfe aus. Deutlicher wurde der russische Abgeordnete Wjatscheslaw Marchajew, der drei Tage nach den Protesten die Generalstaatsanwaltschaft aufforderte, Ermittlungen zum Einkommen des russischen Premiers aufzunehmen. „Werden wir weiter so schweigen oder wollen wir als Gesetzgeber wenigstens ein paar Schritte unternehmen?“, fragte er seine Kollegen im Föderationsrat.
Die Föderationsratsvorsitzende Walentina Matwijenko, die drittmächtigste Person im Staate, hat jedoch keine Schritte eingeleitet – weil Marchajew seine Initiative „schlecht formuliert“ habe, wie sie sagte. Doch eigentlich „dürfen die Machthaber nicht einfach so tun, als ob nichts passiert“, fügte die Vorsitzende hinzu und rief dazu auf, „Treffen zu organisieren, um die Probleme zu lösen“.
Die Abgeordnete Jelena Misulina, die als Co-Autorin protektionistischer Gesetzesinitiativen wie des Adoptionsverbots russischer Kinder durch US-Amerikaner oder der Strafe für Homosexuellenpropaganda bekannt wurde, haben die Proteste dazu veranlasst, sich den Lehrplan von Schulen genauer anzusehen. Wegen der großen Beteiligung von Schülern an den Demonstrationen betitelten Medien die Proteste bereits als „Revolution der Schulranzen“. Und einige Schulen, so stellte die Abgeordnete fest, haben statt eines Patriotismus-Unterrichts Lehrstunden über Korruption eingeführt: Lehrer zeigten Schülern internationale Ratings, in denen Russland „natürlich ganz weit unten steht, auf einer Ebene mit Usbekistan“. „Diese Stunden sind eine gefährliche Tendenz“, urteilte Misulina.
In seinem aktuellen Film behauptet Nawalny, dass Medwedjew seine Sportschuhe über einen Mittelsmann bezogen hat. Das sei für den Oppositionellen der Anlass gewesen, Untersuchungen gegen den Ministerpräsidenten aufzunehmen. / Dmitry Golubovich/Global Look Press
An russischen Hochschulen wird indes gegen die Proteste agitiert: Dozenten erklären den Studierenden, dass „die Kundgebungen überhaupt nichts verändern“ würden und Hauptorganisator Alexej Nawalny „im Dienste der US-Botschaft“ stehe.
Der Regisseur Alexander Sokurow verurteilte bei der Verleihungszeremonie des Filmpreises Nika unter Applaus die Zensur und die Gewalt gegenüber den Schülern (worauf der Kreml antwortete, den Filmmeister sehr zu respektieren) und das russische Verteidigungsminister erinnerte plötzlich an eine etwas in Vergessenheit geratene, aber noch existierende Jugendorganisation: die Junge Armee, eine staatliche Alternative für Jugendliche, die sich sportlich betätigen und lernen wollen, wie man das Vaterland richtig zu lieben hat.
Von außen betrachtet zeigt die Vielfalt der Reaktionen auf die Kundgebungen vor allem eines: Offenbar war niemand darauf vorbereitet, weshalb auch keine gemeinsame Position dazu formuliert werden konnte. „Diese Meinungsbandbreite, wenn ein Teil der Eliten schweigt, ein anderer restriktive Maßnahmen fordert und ein dritter von möglichen Lockerungen spricht, bestätigt das“, sagt Rostislaw Turowskij vom Zentrum für politische Technologien. Die Taktik des Ignorierens sei für die Regierung dabei die beste, meint der Experte. Es sei durchaus naheliegend, Protestaktionen nicht sonderlich zu beachten, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sie zu lenken.
„Unser System funktioniert nun mal so: Ist einer sauber, fängt aber an, sich zu rechtfertigen, dann meint die Öffentlichkeit, dass er doch in irgendwas verwickelt ist“, erklärte Wjatscheslaw Smirnow, Direktor des Zentrums für Politsoziologie, dem russischen Radiosender Kommersant FM.
Vier Tage nach den Straßenprotesten waren Putin und Medwedew in der Arktis zu Besuch. / ZUMA Press/Global Look Press
Und der kremlnahe Politologe Alexej Muchin ist gar der Ansicht, dass der russische Premier Dmitrij Medwedjew sich verhalten könne, wie er wolle, solange die Ermittlungsbehörden die Vorwürfe nicht geklärt haben: „Wenn er will, kann er sich zum Thema äußern. Wenn nicht, kann er es ignorieren“, sagt Muchin. „Und die Motive der Duma sind allgemein bekannt: Die Abgeordneten sind jetzt in einer Phase, in der sie die Wähler langsam auf sich aufmerksam machen müssen. Also denken sie nach und werfen schlechtes Licht auf den Premier.“
Doch zu einem Rücktritt werde es sicher nicht kommen, sind die Beobachter überzeugt. Personalentscheidungen trifft der mächtigste Mann im Staat weder auf Druck der Straße oder des Auslands noch auf Druck von sonst irgendjemandem. Dennoch gibt es bereits politische Folgen, auch wenn wir bislang nichts von ihnen hören.
Erstens: Die politische Zukunft Dmitrij Medwedjews scheint besiegelt. Die Ereignisse „beeinflussen seine Perspektive als Regierungschef nach 2018 und die sieht nicht gut aus: Die Proteste verringern die Wahrscheinlichkeit, dass er es bleibt“, sagt Michail Remisow, Präsident des Instituts für Nationalstrategie.
Zweitens: Die kommenden Präsidentschaftswahlen nach dem Prinzip des Selbstläufers anzugehen, wie eigentlich geplant war, wird nun nicht mehr funktionieren. Auf die Proteste muss mit einer eigenen Agenda geantwortet werden. Rostislaw Turowskij vom Zentrum für politische Technologien glaubt, dass es in Erwartung eines Anti-Korruptions-Kampfes große Festnahmen geben wird. Selbst wenn sie nur Mittel zum Zweck im Machtkampf zwischen den Eliten wären, so würden sie in der Öffentlichkeit doch wie die geforderte Säuberung aussehen. „Das ist eine mögliche Variante, aber bei Weitem nicht die Beste“, sagt Remisow.
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