A woman stands at a symbolic memorial at Technologicheskiy Institute subway station in St. Petersburg, Russia, Wednesday, April 5, 2017. Investigators searched for possible accomplices of a 22-year-old native of the Central Asian country of Kyrgyzstan identified as the suicide bomber in the St. Petersburg subway, as residents came to grips with the first major terrorist attack in Russia's second-largest city since the Soviet collapse.
APEine Frau trauert am Ort des Gedenkens in der U-Bahn-Station Technologisches Institut in Sankt Petersburg./ AP
Der Anschlag von Sankt Petersburg war keine 24 Stunden her, da wurde aus der südrussischen Stadt Astrachan rund 1 300 Kilometer von Moskau ein weiteres Attentat gemeldet.
Eine Polizeistreife war in den frühen Morgenstunden des 4. April zu einem Verkehrsunfall gerufen worden. Während die Sicherheitsbeamten im Streifenwagen die Protokolle ausfüllten, eröffneten die Unfallbeteiligten plötzlich das Feuer und erschossen die beiden Männer durch die Windschutzscheibe. Die Polizisten starben noch vor Ort, die Angreifer stahlen ihre Dienstwaffen und verschwanden. Der Gouverneur der Oblast Astrachan, Alexander Schilkin, erklärte, das Attentat sei von einer Gruppe radikaler Islamisten verübt worden.
Zwei Tage später kam es erneut zu einem Zusammenstoß zwischen Sicherheitskräften und Terroristen: Als eine Einheit der russischen Nationalgarde ein Auto zur Kontrolle anhielt, eröffneten die Fahrzeuginsassen das Feuer und flüchteten. Nur wenige Stunden später wurden sie gefunden: Bei einem Sondereinsatz konnten zwei Terrorverdächtige festgenommen werden, vier ihrer Komplizen wurden erschossen.
Die Nationalgardisten seien von jenen Männern angegriffen worden, die zwei Tage zuvor auf die Streifenpolizisten geschossen hatten, hieß es vom russischen Untersuchungsausschuss. Bei einem der Männer sei eine Audioaufzeichnung gefunden worden. Darin äußere er extreme Ansichten und rufe zu Straftaten auf, sagten die Terrorfahnder. Letztlich bekannte sich der „Islamische Staat“ zum Polizistenmord.
Den getöteten Polizeibeamten in Astrachan wird die letzte Ehre erwiesen./ Pavel Simakov/RIA Novosti
Und es blieb nicht der letzte Vorfall: Am frühen Donnerstagmorgen platzierte ein Unbekannter in Rostow am Don, einer Großstadt im Südwesten des Landes, einen Sprengsatz an einer Schule mitten im Stadtzentrum. Die Bilder der Überwachungskamera zeigen eine schwarzgekleidete Person, die ein Päckchen am Schulgebäude ablegt und sich zügig entfernt. Später hebt ein Mann, vorläufigen Angaben zufolge der Hausmeister der Schule, das Päckchen auf – es explodiert. Die Sprengkraft ist so enorm, dass ihm einen Arm abgerissen wird. Das Opfer liegt derzeit auf der Intensivstation im Krankenhaus.
Laut den Ermittlern war der selbst gebastelte Sprengsatz als eine Taschenlampe getarnt. „Streuprojektile enthielt die Bombe nicht. Aber die Sprengkraft war erheblich – hätte ein Kind statt des Hausmeisters den Sprengsatz aufgehoben, hätte es die Explosion wohl kaum überlebt“, hieß es. Bislang wird in der Sache wegen versuchten Mordes ermittelt, terroristische Motive hinter der Tat schließen die Fahnder jedoch nicht aus.
An dieser Stelle an einem Schulgebäude im Zentrum der südrussischen Stadt Rostow am Don explodierte am Donnerstag ein selbst gebastelter Sprengsatz. / ZUMA/Global Look Press
Auch in Sankt Petersburg kehrt keine Ruhe ein. Am dritten Tag der Trauer um die Opfer des U-Bahn-Anschlags entdeckte die Polizei in einer Wohnung im Osten der Stadt eine Bombe, die sie entschärfen konnte. In der Wohnung hätten sich Menschen aufgehalten, die für den Sprengsatz nicht verantwortlich seien, hieß es. Zu allem Übel behindert häufiger Missbrauch der Notrufnummern die Arbeit der Sicherheitskräfte.
Was derzeit geschehe, passe nicht ins Schema gewöhnlicher Delikte, sagt Sergej Gontscharow, Vorsitzender des Veteranenverbands der Anti-Terror-Einheit Alpha. „So etwas hat es in Russland lange nicht mehr gegeben. Wir haben es in diesem Frühling mit einer Welle des Extremismus zu tun“, diagnostiziert der Experte. Erst Ende März, wenige Tage vor den Anschlägen in Sankt Petersburg, sei eine Basis der Nationalgarde in Tschetschenien überfallen worden. Sechs Sicherheitskräfte seien getötet worden. „Diese Welle ist eine Rache des IS und anderer Dschihadisten für die Niederlagen in Syrien“, meint der Spezialist.
Der Orientalist Jewgenij Satanowskij, Präsident des Instituts für Nahost-Studien, erklärt das Vorgehen der Terroristen: „Die radikalen Islamisten werden wieder aktiver. Dabei wechseln sie ihre Taktik: Jetzt handeln keine großen Ableger mehr, sondern Einzeltäter oder Gruppen von zwei, drei Mann“, sagt der Wissenschaftler. Diese Taktik sei effektiver, denn je kleiner die Gruppe, desto schwerer sei es für die Fahnder, sie zu fassen.
Die Polizei sucht mit Spürhunden die Gegend um ein Haus in Sankt Peterburg ab, wo am Donnerstag eine weitere Bombe gefunden wurde./ AP
Der ehemalige Alpha-Offizier Gontscharow stimmt ihm zu: „Die Anschläge werden entweder von Schläferzellen verübt, die bislang untergetaucht waren, oder von Kämpfern, die aus Syrien und dem Irak zurückkehren, wo der IS inzwischen Niederlagen erleidet. Früher haben sie sich nur an Europa gerächt, jetzt sind sie leider auch bei uns angelangt“, sagt er.
„Der Terror passt sich an“, betont Nahost-Kenner Satanowskij. „Die Terrorfahnder tun alles, um ihn zu stoppen. Inwiefern das gelingen wird, ist schwer zu sagen. Vor uns liegen jedenfalls keine einfachen Jahre“, befürchtet der Experte.
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