Vorwurf der Veruntreuung: Behörden durchsuchen das Gogol-Center

Dmitry Serebryakov/TASS
Kennern ist das Moskauer Gogol-Center als Hochburg der Kunstfreiheit bekannt, der Staatsmacht ist das Theater hingegen seit langem ein Dorn im Auge. Sein Spielleiter Kirill Serebrennikow ist ein internationaler Star. Doch läuft in Russland seit Jahren ein Verfahren gegen ihn und das Center. Nun wurden dessen Räumlichkeiten durchsucht. Ist es der Versuch, einen unliebsamen Künstler einzuschüchtern? Oder sind die Ermittlungen legitim?

Das Moskauer Gogol-Center und die Wohnung seines Spielleiters würden durchsucht, hieß es am Dienstagmorgen in den sozialen Netzwerken. Bewaffnete Männer mit Sturmhauben hätten den Zugang zum Theater blockiert, Schauspieler und Mitarbeiter seien aufgefordert worden, das Gebäude nicht zu verlassen und ihre Mobiltelefone auszuschalten. Das Ermittlungskomitee, Russlands Strafverfolgungsbehörde, habe eine Sondereinheit der Polizei bei der Razzia eingesetzt. Anderen Meldungen zufolge hätten Einsatzkräfte des Inlandsgeheimdiensts FSB die Ermittler unterstützt.    

Der Spielleiter des Theaters, Kirill Serebrennikow, war für Journalisten nicht erreichbar. Er war bei der Durchsuchung in seiner Wohnung anwesend, sein Anwalt war bei ihm, wie inzwischen bekannt ist.

Warum gab es die Durchsuchung?

Die Durchsuchungen seien Teil eines Strafverfahrens, das 2014 eröffnet wurde, heißt es in einer offiziellen Mitteilung des Ermittlungskomitees. Es gehe um „Veruntreuung öffentlicher Gelder“, die zur „Popularisierung der Kunst“ bewilligt worden seien. Rund 200 Millionen Rubel, umgerechnet 3,1 Millionen Euro, sollen demnach „Unbekannte“ aus dem Management der Theatergruppe „Studio 7“ unterschlagen haben. Kirill Serebrennikow hatte diese 2012 gegründet. Später wurde sie in das Ensemble des Gogol-Centers integriert.

Bislang wird Serebrennikow in der Strafsache als Zeuge geführt. Ob dies auch so bleibt, ist derzeit unklar. Nach der Durchsuchung wurde der Regisseur zur Vernehmung mit auf ein Revier genommen.

Sind weitere Personen involviert?

Kirill Serebrennikow. Foto: Alex Yocu/Gogol CenterKirill Serebrennikow. Foto: Alex Yocu/Gogol Center

Durchsuchungen fänden auch bei einer „Reihe weiterer Personen in unterschiedlichen Regionen des Landes“ statt, heißt es in der Mitteilung der Ermittlungsbehörde weiter. Anonyme Quellen aus der Justiz behaupten, noch am selben Tag seien an einem „Dutzend weiterer Adressen“ Durchsuchungen vorgenommen worden. Darunter seien Wohnungen von Theatermitarbeitern, das Moskauer Kunstzentrum „Winzavod“, dort zeigte das „Studio 7“ seine ersten Aufführungen, und die Privaträume einiger Ex-Mitarbeiter der Moskauer Stadtregierung, die die Gelder bewilligt hatten.

Vor zwei Jahren hatte die Moskauer Stadtregierung eine Buchprüfung beim Gogol-Center initiiert. Danach erklärte das Theater einen Verlust von 60 Millionen Rubel, rund einer Million Euro. Die Stadtregierung sprach von 80 Millionen Rubel Verlust, umgerechnet 1,2 Millionen Euro. Der Leiter des Kulturressorts der Stadt Moskau, Alexander Kibowski, bezeichnete das Gogol-Center als „defizitäres Theater“ und machte Serebrennikow für die miserable Finanzlage des Spielhauses verantwortlich. Dieser habe eine „große Zahl teurer Premieren“ gefordert, sagte der Kulturverantwortliche. Der Spielleiter ist dabei allerdings für die Finanzen des Theaters nicht zuständig. Diese Funktion übernimmt der Direktor, damals war dies im Gogol-Center Alexej Malobrodskij.

Indes sagte Kibowski der Nachrichtenagentur „Tass“, ihm sei nicht bekannt, dass das Strafverfahren Mitarbeiter seines Ressorts betreffe. Man solle den Ausgang der Ermittlungen abwarten, riet er.

Durchsuchung ohne Gerichtsbeschluss – ist das legal?

Ja, in der Tat: Paragraph 165 der Strafprozessordnung sieht in „außerordentlichen Fällen“ Durchsuchungen ohne Anordnung eines Gerichts vor, wenn die Ermittlungen keine Verzögerung duldeten. Dann müssen die Ermittler den Richter und den Staatsanwalt lediglich informieren. Erst nach erfolgter Durchsuchung prüfen die Richter, ob diese rechtmäßig gewesen ist.

Wofür sind das Gogol-Center und sein Spielleiter bekannt?

Das Gogol-Center sei das „Herz des freien, progressiven Theaters“, heißt es bei Theaterkennern. Wegen seiner „mutigen Stücke“ habe die Staatsmacht immer wieder etwas an seiner Kunst auszusetzen.

„Wir waren gezwungen, alle möglichen Beschwerden zu beantworten – auch anonyme“, gibt der ehemalige Theaterdirektor Malobrodskij gegenüber einer russischen Zeitung zu verstehen. „Manche erkannten Extremismus in unserem Stück „Otmoroski“, das wir nach den Motiven einer Novelle von Sachar Prilepin inszeniert hatten. Andere regten sich über nackte Körper auf der Bühne in zahlreichen Stücken auf. Und wiederrum andere beschwerten sich bei den Ermittlungsbehörden darüber, dass wir die Traditionen des russischen psychologischen Theaters verraten würden.“ Selbst Abgeordnete hätten eine Prüfung des Theaters angestrengt. „Die Staatsanwaltschaft war wie mein zweites Büro“, scherzt Malobrodskij.

Im Jahr 2015 war Kirill Serebrennikow für seinen Film „Der Verrat“ bei der Biennale in Venedig für den Hauptpreis nominiert. Im darauffolgenden Jahr wurde er dann für sein neues Werk „Der Schüler“ in Cannes ausgezeichnet. Ursprünglich war der Film als Stück nach Motiven von Marius von Mayenburg im Gogol-Center aufgeführt worden.

Ist das Strafverfahren politisch motiviert?

Beim Strafverfahren geht es um Betrug in besonders schwerem Fall. Darin spielt Kirill Serebrennikow persönlich eine Rolle – nicht das Theater. Die Ermittler durchsuchten Arbeits- und Wohnräume des Spielleiters. Doch Szenekenner interpretieren das Verfahren als Druckmittel gegen das Theater und gegen Serebrennikow, motiviert durch seine Arbeit. „Ehrlich gesagt gibt es gar keine Informationen. Deshalb kann ich nur vermuten, dass Kirill in den Fokus der Machthaber und Ermittlungsbehörden geraten ist, weil er ein Mensch ist, der viele Aspekte unseres Lebens offen kritisiert“, sagt der Regisseur Wladimir Mirsojew beim Radiosender „Echo Moskwy“. „Aber das ist nur meine Vermutung“, betont er.

„Was für Geld? Was hat Geld damit zu tun? Wer hat wem was gestohlen? Wir sind es, denen was gestohlen wird – und zwar das Wertvollste, das es in unserem Land gibt: die Kultur“, empört sich die Schriftstellerin Ljudmila Ulizkaja.

Das Management des Gogol-Centers hat indes alle, die nicht gleichgültig seien, dazu aufgerufen, sich zu einer Kundgebung vor dem Theater zu versammeln.

Der Kreml weist derweil alle Vorwürfe zurück, das Strafverfahren sei politisch motiviert. Es sei auch keine Angelegenheit des Kremls, betont der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow: „Hier muss man nichts politisieren. Hier gibt es keinen Anlass dafür, dass der Kreml irgendwie informiert wird.“ Es gehe um den Verdacht der Veruntreuung öffentlicher Gelder, wie das Ermittlungskomitee bereits mitgeteilt habe. „Weder Politik, noch Kunst – da ist gar nichts“, so Peskow.

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