Die Erlöser-Kathedrale wurde in der Tradition des sibirischen Barocks gebaut. Foto: Anna Grusdewa
Jenissejsk ist eine der ältesten sibirische Städte – im Jahr 2019 wird sie vierhundert Jahre alt. Die Stadt wurde von Tobolsker Kosaken 1619 als militärischer Vorposten gegründet. Wenig später errichteten Russen aus dem Ural eine Flussverbindung in die unerschlossenen Gebiete, um Gold zu finden und Pelztiere wie Zobel zu jagen. Jenissejsk war einst ein wichtiger wirtschaftlicher Umschlagplatz. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlor Jenissejsk jedoch seine Bedeutung als Handels- und Wirtschaftszentrum. Das Verwaltungszentrum wurde nach Krasnojarsk verlegt, das direkt an der nach Moskau führenden Magistrale liegt.
Jenissejsk gilt heute als typisches Abbild einer sibirischen Stadt des 18. und 19. Jahrhunderts, errichtet aus Holz und Stein. Moderne Architektur sucht man in der Stadt vergeblich. Die massiven Holzhäuser mit von Hand geschnitzten Fensterrahmen und die weißen Steinkirchen lassen Jenissejsk auch heute noch wie eine alte Stadt wirken. Wie schon vor zweihundert Jahren weiden auch heute neben den städtischen Verwaltungsgebäuden Kühe, und im Stadtzentrum muss man an einigen Stellen Pfützen auf eigens dafür ausgelegten Holzbohlen umgehen.
Jenissejsk war oft auch ein „Ort der Verbannung“ und erfüllt damit ein Klischee von Sibirien. Hierher wurden die unbequemsten Russen geschickt: im 19. Jahrhundert die Dekabristen und Marxisten sowie in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts hochgestellte Minister und die Intelligenzija aus Estland und Litauen. Zu Stalins Zeiten wurden von hier aus die Gefangenen in die nördlicher gelegenen Gulags gebracht.
Zweigeschossige Holzhäuser aus dem späten 19. Jahrhundert stellen typische sibirische Architektur dar. Foto: Anna Grusdewa
An die Sowjetzeit erinnern heute nur noch die Straßennamen: uliza Diktatury proletariata („Straße der Diktatur des Proletariats“), uliza Kirowa, benannt nach dem gleichnamigen Staats- und Parteifunktionär, Rabotsche-krestjanskaja uliza, („Arbeiter- und Bauern-Straße“), Partisanskaja uliza („Partisanenstraße“) und natürlich das übliche Lenin-mit-Schirmmütze-Denkmal im Stadtzentrum.
Alt und morsch
Heute ist Jenissejsk für Touristen vor allem wegen seiner Architektur interessant. Jenissejsk zählt zu den denkmalgeschützten Städten Russlands. In der Lenin-Straße, der Petrowskij-Straße und in der Straße der Diktatur des Proletariats stehen auch heute noch aus Stein errichtete öffentliche und private Gebäude aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts im Stile der russischen Provinz-Klassik. Es gibt in der Stadt auch ein Steingebäude aus dem späten 19. Jahrhundert im Stile des „sibirischen Barocks“, ein Begriff, den Jurij Gontscharow, Stadtchronist und Erforscher des städtischen Lebens in Sibirien, prägte.
Die Lenin-Straße ist die gepflegteste und beliebteste der Stadt: Hier und in den angrenzenden ungepflasterten Gassen hat fast jedes Haus einen architektonischen oder kulturellen Wert. Dort sind zweigeschossige Holzhäuser aus dem späten 19. und dem frühen 20. Jahrhundert oder eingeschossige Katen mit Handschnitzereien zu finden.
Innenhof des Dementjews Mezzanin-Hauses in Jenissejsk. Foto: Sibirische Staatsuniversität
Doch die abblätternde Farbe an der Fassade des herrlichen „Mezzanin-Hauses“ Dementjews aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der morsche Ziegelbau der Druckerei, der in einer Spätform des architektonischen Eklektizismus errichtet wurde, oder die schon seit langer Zeit eingerüstete Erscheinungs-Kathedrale offenbaren die erschreckende Baufälligkeit der Stadt.
In Jenissejsk gibt es eine Vielzahl von Kirchen, daher gilt es auch als geistiges Zentrum Sibiriens, das jedes Jahr von zahlreichen Pilgern besucht wird. Der Komplex des Erlöser-Verklärung-Mönchsklosters ist von einer barocken, wellenförmigen Einfriedung umgeben. Von fast jedem
Punkt der Stadt aus ist das Gebäude zu erkennen. Das Hauptgebäude des Klosters – die Erlöser-Kathedrale – ist mit filigranen Ziegelsteinornamenten verziert. Die Himmelfahrtskirche wurde in der Tradition des sibirischen Barocks gebaut. Ihr Äußeres ist im Vergleich zu den älteren Jenissejsker Gotteshäusern gemäßigter, dafür schmücken gemusterte Bodenfliesen und hundert Jahre alte „Holländer-Öfen“ das Innere der Kirche. Mit deren Hilfe werden auch heutzutage noch die Gebäude beheizt. Von den Kirchtürmen der Himmelfahrtskirche und der Erlöser-Kathedrale aus eröffnet sich ein herrlicher Blick auf Jenissejsk und den Fluss – fragt man den Pfarrer ganz höflich, lässt er die Besucher nach oben, um die schöne Aussicht zu genießen.
Hüter der Zeit
In Jenissejsk lohnt auch ein Besuch der Museen. In der Lenin-Straße, in der Nähe des Basars, auf dem trübselige Frauen versuchen, chinesische Turnschuhe und Sportkleidung an den Mann zu bringen, befindet sich das schöne und noch intakte Haus des Kaufmanns Sacharow aus dem Jahre 1898. Heutzutage ist dort das Heimatmuseum von Jenissejsk untergebracht, in dem man für einhundert Rubel (umgerechnet zwei Euro) eine einstündige Stadtführung buchen kann. Trachten der Tungusen, Haushaltsgegenstände der Keten und Jenissejsker Ostjaken, alles indigene Völker Sibiriens, oder blank geputzte Samoware und schmiedeeiserne Kostbarkeiten, sowjetische Artefakte und Ikonen – all das kann man im Museum für einen Eintrittspreis von gerade einmal 50 Rubel (etwa ein Euro) besichtigen.
Isba-Museum in Jenissejsk. Foto: Anna Grusdewa
An der Ecke Lenin-Straße und Lytkin-Straße steht ein auf den ersten Blick nicht sonderlich bemerkenswertes Haus, und lediglich der handschriftliche Vermerk „Foto-Isba. Sieben Tage die Woche geöffnet“ verrät, dass sich in diesem Gebäude ein Museum befindet. Tritt man durch die massive
Holztür, gelangt man eher in eine gastfreundliche und gemütliche Kate als in eine konservierte Schatzkammer des Altertums. In der Mitte der Kate knistert ein weißer russischer Ofen vor sich hin, davor steht ein von Hand geschnitzter Sessel, an den Wänden hängen alte Stadtansichten Jenissejsks, Gemälde und Landkarten. Auf dem Tisch steht ein riesiger Spiegel, eine alte Uhr schlägt blechern zur vollen Stunde. Für Touristen und Bewohner Jenissejsks gilt die „Foto-Kate“ als die beste Sehenswürdigkeit der Stadt.
In der „Foto-Isba“ ist ebenso wie im Heimatmuseum ein Stadtplan erhältlich. Jenissejsk ist nicht sehr groß und kann an einem Tag bequem zu Fuß entdeckt werden.
Vom Busbahnhof Krasnojarsk aus fährt die ganze Woche über viermal pro Tag ein Bus, die Fahrtzeit für die Strecke von etwa 347 Kilometern beträgt sechs bis sieben Stunden, die Fahrkarte kostet 620 Rubel (ca. 12,50 Euro). Mit dem Auto gelangt man nach Jenissejsk über die Landstraße Р409 („Jenissejsker Trakt"), die dort auch endet. Von Juni bis September ist die Stadt ebenso mit dem Flussdampfer auf dem Jenissej zu erreichen.
Unterkunft
Im Hotel „Jenissejskaja" in der Chudsinskowo-Straße 6 (Tel.: +7-39195-2-63-58) gibt es Zimmer in verschiedenen Kategorien. Für die preiswerteste Variante – ein Vier-Bett-Zimmer, das auch mit zwei Personen belegt werden kann – müssen 900 Rubel (18 Euro) pro Tag und Person bezahlt werden. Das Frühstück kostet zusätzlich rund 100 Rubel (2 Euro), das Abendessen etwa 200 Rubel (4 Euro).
Das „Ujut" in der Lenina-Straße 88 (Tel.: +7-904-891-89-37) ist eher ein Appartementhaus als ein Hotel. Eine Ein-Zimmer-Wohnung mit Küche für zwei Personen, Badezimmer und Fernsehgerät kostet 1 200 Rubel (24 Euro) pro Tag. Im Wellness-Komplex „Praskowja" in der Babuschkina-Straße 1 (Tel.: +7-908-025-83-38) kann man ein Zimmer für 400 bis 1 300 Rubel (8 bis 26 Euro) pro Tag mieten.
Speis und Trank
In Jenissejsk gibt es leider keine gemütlichen Cafés. Gut essen kann man aber im Schnellrestaurant „Duplet" in der Fedelow-Straße 80 und im „Energy" im Einkaufszentrum „Ja – Zentr" in der Lenin-Straße, in der Nähe des Heimatsmuseums. Leckere Torten sind im Menüladen neben der alten Druckerei in der ul. Diktatury proletariata 3 zu finden. Eine empfehlenswerte Bar ist das „Schokolad" in der Lenina-Straße 69.
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