Karelien: Russland nordisch herb

Ladogasee nahe Lachdenpochja. Foto: Shutterstock/Legion Media

Ladogasee nahe Lachdenpochja. Foto: Shutterstock/Legion Media

Karelien beeindruckt durch herbe Schönheit: Festungen und Wallanlagen zeugen von den wehrhaften Kareliern, und Petroglyphen, Steinzeichnungen, in denen die alten Karelier ihren Alltag festhielten, lassen die Geschichte wieder lebendig werden.

Vom zwölften bis dreizehnten Jahrhundert gehörte das Territorium der Karelier zur Republik Nowgorod. Im Jahr 1227 nahmen die Karelier den orthodoxen Glauben an, bevor schließlich das Gebiet dem russischen Staat zugeschlagen wurde. Die geografischen Wurzeln des karelischen Volks liegen im Rajon Lachdenpochja, einer Region, die ideale Lebens- und Wirtschaftsbedingungen bietet, in der die langen malerischen Fjorde des Ladogasees sich ins Festland einschneiden, durchsetzt von unzähligen großen und kleinen Inseln. Dieser am nordwestlichen Ufer des Ladogasees gelegene Bezirk grenzt an Finnland.

Überfälle durch benachbarte Länder waren früher keine Seltenheit. Die Karelier mussten ihre Häuser daher auf Anhöhen bauen, die, an Steilhängen gelegen, häufig schwer zugänglich, dafür aber geeignet waren, feindliche Truppen aus der Ferne zu sichten. Solche Siedlungen, in denen die ländliche Bevölkerung im Notfall Zuflucht suchte, bezeichnete man als Wallburgen – Festungen auf einem Berg.

 

Lachdenpochja – Auf den Spuren der Vergangenheit


Wälder im Gebiet Lachdenpochja. Foto: Lori/Legion Media

In der Region Lachdenpochja befindet sich der älteste Siedlungskomplex von Kareliern, er stammt aus dem frühen Mittelalter. Auf Schritt und Tritt begegnet man hier der Vergangenheit. Auch heute noch kann man hier gelegentlich bronzene Armbänder aus dem zehnten Jahrhundert oder historische Lanzen mit Aufsätzen aus Metall finden.

Zwischen dem neunten und dem zwölften Jahrhundert bildete sich in Lachdenpochja der Stamm Korela, aus dem die heutigen Karelier hervorgingen. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Siedlungen. Besonders dicht besiedelt war das Gebiet, in dem später die Ortschaften Kurkijoki, Tiurula und Sortawala (sehenswert: Ringwall Paaso) entstanden.

Der Ort Kurkijoki, dessen Name in der Übersetzung aus der karelischen Sprache so viel wie „Kranichfluss" bedeutet, ist eine besondere, von alten Festungen und Wallanlagen umgebene Siedlung. Die berühmtesten von ihnen sind die Wallburgen Linnawuori, Linnamjaki und Jaamjaki. In Kurkijoki selbst findet jeden Sommer im Juli das Ethno-Festival „Wiege des karelischen Volks" („Karjalan kansan pesa") statt.

Einige Spuren des Altertums kann man nur erkennen, wenn der Wasserstand des Ladogasees sinkt, wie beispielsweise die Überreste einer drei Kilometer von Kurkijoki auf der kleinen Insel Kannansaari gelegenen Steinbrücke. Bis zum 16. Jahrhundert gab es auf der Insel ein Kloster, das die Schweden später zerstörten. Wertvolle Gegenstände aus der Kirche versenkten die Mönche vor dem anderen Ufer der Meerenge, die Glocke schafften sie nach Ladoga. Im Jahr 2000 wurde auf Kannansaari zum Gedenken an das zerstörte Kloster ein Flurkreuz errichtet und geweiht.

Ladogasee in der Region Lachdenpochja. Foto: Lori/Legion Media

In dem alten kleinen Städtchen Kupala, das berühmt ist wegen der dort ansässigen geschickten Falkenfänger, liegt der „Eisberg" Jaamjaki. An seinem nördlichen Steilhang, in der Schlucht, hält sich das Eis bis zum Ende des Sommers. Der Berg ist sehr hoch, von seinem Gipfel hat man eine wunderbare Aussicht auf die Umgebung. Hier sind einige alte Siedlungen mit langen Verteidigungswällen gut erhalten.

Die Wallanlage Paaso ist eine bekannte Festung der alten Karelier. Von der schroffen Bergspitze des Paaso, der sich neben Sortawala erhebt, eröffnet sich ein beeindruckender Panoramablick auf den Fluss Cheljuljanjoki und auf tiefe, in kleinere Berge übergehende Täler, die sich hier dicht aneinanderreihen. Einst erstreckten sich am Fuße des Berges ausgedehnte landwirtschaftliche Flächen. Flüsse verbanden die Siedlung mit dem Ladogasee und entfernteren Regionen im Binnenland. Im dreizehnten Jahrhundert wurde die mutmaßlich von den Schweden zerstörte Festungssiedlung Paaso von seinen Bewohnern verlassen.

Nach Sortawala gelangt man mit einem Linienbus aus dem 284 Kilometer entfernten Petrosawodsk, mit dem Pkw gibt es eine Verbindung von der nur 40 Kilometer entfernten Inselgruppe Walaam.

 

Rajon Pudosch – Auf Stein gemeißelt


In der Rajon Pudosch. Foto: Lori/Legion Media

Der Rajon Pudosch ist ein weiteres, an Kulturartefakten reiches Siedlungsgebiet der alten Karelier. Hier am Onegasee erblicken die wenigen Reisenden zu Sonnenaufgang und Sonnenuntergang das „Steinerne Buch des Nordens" – zahlreiche, vor sechs- bis siebentausend Jahren, also vor den Pyramiden in Ägypten, entstandene Felsbilder, die Petroglyphen genannt werden.

Die Onega-Petroglyphen sind exakt zu erkennen, manchmal auf großen flachen Steinen oder auch auf Inseln mitten im Wald. Über 21 Kilometer hinweg, von der Flussmündung der Wodla bis zu den Inseln Malyj und Bolschoj Turi, reihen sich mehr als 1 200 Zeichnungen aneinander. Auf den Petroglyphen sind Motive vom Angeln und der Hirschjagd oder Bilder aus dem Alltagsleben zu sehen.

Petroglyph in der Rajon Pudosch. Foto: Lori/Legion Media

Die meisten Petroglyphen finden sich auf den Landzungen Peri Nos und Besow Nos. Mit der Bezeichnung der zuletzt genannten (deutsch: „Teufelsnase") hat es übrigens eine besondere Bewandtnis: Auf einem Fels am Onegasee ist die Zeichnung einer Figur erkennbar, die halb Dämon, halb Mensch ist. Ihr Rumpf ist durch einen Riss entzweit. Eine Legende besagt, dass der Betrachter der zweieinhalb Meter großen Abbildung den Verstand verlieren oder großes Unheil auf sich ziehen könnte.

Die Petroglyphen erreicht man mit dem Motorboot aus Petrosawodsk. Die Anlegestelle befindet sich im Fischerdorf Schalski. Mit einem der zahlreichen Fischkutter können Reisende Belyj Nos, Gaschim Kladowez oder Peri Nos erreichen. Mit dem Auto führt der Weg über die Stadt Pudosch, von dort weiter bis zum Dorf Korschewo, wo man es stehen lassen muss. Bis zu den Petroglyphen sind es von dort aus noch etwa 15 Kilometer auf einer von Schlaglöchern durchsetzten Straße, die an vielen Stellen nur zu Fuß passierbar ist.

 

Onegasee – Ursprung des Skis?

Weitere Petroglyphen finden sich im Norden, bei Belomorsk. Dort haben die Karelier die Abbildung eines Skifahrers mit einer langen, um den ganzen

Stein gewundenen Skipiste hinterlassen. Diese Zeichnung gilt als historisch erste Erwähnung des Skisports.

Der Onegasee war der wichtigste See für die alten Karelier, für die modernen Europäer gilt das ebenfalls. Er ist das zweitgrößte Süßwasservorkommen Europas, dessen Wasser in vielerlei Hinsicht sauberer ist als das des Baikalsees. 110 Flüsse führen zu dem nur bis zu 120 Meter tiefen See, aber nur einer, der Swir, führt von ihm weg. Die schmalen, lang gestreckten Konturen des Sees säumen hohe felsige Steilufer.

Am östlichen Ufer des Onegasees, in der Bucht von Murom, ist das von dem Mönch Lazarus im Jahr 1350 gegründete Uspenski-Männerkloster gelegen. Seine sterblichen Überreste sind vor dem Altar der von ihm selbst erbauten Predtetschenski-Kirche beigesetzt. Im Jahr 1918 wurde das Kloster geschlossen, erst 1991 wurde es wieder eröffnet.

 

Olonez – Kultur und Kuh


Die Kirche der Ikone der Gottesmutter von Smolensk in Olonez. Foto: Lori/Legion Media

Die einzige Region in Karelien, in der die Karelier die Bevölkerungsmehrheit ausmachen, ist der Rajon Olonez. Die beliebteste Reiseroute führt durch die

kleinen südkarelischen Dörfer, in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Hier gibt es Jurgelizu, das Dorf der Juweliere, oder Kyjtescha, das Dorf der Jäger und Angler. Im Dorf Bolschaja Selga stehen alte karelische Bauernhäuschen.

Olonez ist bekannt für sein reges Kulturleben. Im Herbst findet hier das Festival der karelischen Poesie und der Nationaltrachten statt, im Winter wird der Pakkajne, Kareliens Väterchen Frost, gewählt. Der aber ist tatsächlich kein Großvater, sondern ein Spitzbube. Im Frühjahr gibt es das Festival „Olonija – Gänsehauptstadt", im Sommer findet die „Kuhparade" statt.

Von Petrosawodsk aus erreicht man Olonez mit dem Zug oder dem Bus, die Entfernung beträgt 153 Kilometer. Aus dem etwa 148 Kilometer entfernten Sankt Petersburg gibt es auch direkte Verbindungen mit der Vorortbahn und mit dem Bus.

 

Lesen Sie weiter: Ein Wochenende in Petrosawodsk und auf Kischi

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!