Die Stadt Tomsk in Sibirien ist ein architektonisches Freilichtmuseum.
Alamy/Legion-MediaUnter den sibirischen Städten, die für ihre Holzbaukunst bekannt sind, nimmt Tomsk, 2 877 Kilometer von Moskau entfernt, den Spitzenplatz ein. Reisende aus dem In- und Ausland können bei einem Spaziergang durch die engen Straßen des Städtchens wahre Meisterwerke entdecken. Holz war seit jeher in Sibirien das gängigste und billigste Baumaterial. Aus Holz wurden die Izby, kleine Holzhäuser der Bauern, errichtet. Es wurden Kinderwiegen gefertigt, aber auch Geschirr, Kähne und Schlitten, Spinnbretter, Webstühle – eigentlich alles. Die Holzerzeugnisse spiegeln die Vorstellungen des Wunderbaren ganzer Generationen von Menschen in Sibirien wider.
Die Russen, die gekommen waren, um Sibirien zu erschließen, errichteten entlang der großen Flüsse zahlreiche Festungen aus Holzpalisaden, sogenannte Ostrogi. Eine von ihnen war der Ostrog Tomsk, erbaut im Jahr 1604. Ein rekonstruiertes Element dieser Festungsanlage kann man heute auf dem Himmelfahrtsberg, der Woskressenskaja Gora, sehen. Von dort genießt man einen eindrucksvollen Blick auf das Panorama der Stadt.
Museum der Holzbaukunst
Foto: Roman Petruschin, facebook.com/woodentomsk
Die Sehenswürdigkeiten der gemütlichen Kleinstadt Tomsk können an einem Tag zu Fuß abgelaufen werden. Den Spaziergang sollte man im Museum für Holzbaukunst beginnen, das einen Einblick in die Geschichte der architektonischen Spitzenbaukunst gewährt. Das Museum selbst — das Haus von Andrej Krjatschkow am Prospekt Kirowa — ist ebenfalls ein Denkmal der Holzarchitektur. Es ist deshalb einzigartig, weil es das erste Holzbauwerk in Tomsk im Jugendstil war, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Mode kam.
Das Museum zeigt Holzfragmente verschiedener Häuser und weitere Objekte mit geschnitztem Dekor, wie auch Holzgegenstände des täglichen Gebrauchs aus dem vergangenen Jahrhundert. In Tomsk fielen die Holzhäuser nicht selten Bränden zum Opfer, weshalb viele der Exponate, die man aus den Flammen hatte retten können, architektonische Zeugnisse vergangener Epochen mit Seltenheitswert sind.
Haus mit Zeltdach
Foto: Roman Petruschin, facebook.com/woodentomsk
Eines der fantastischsten Holzbaudenkmäler von Tomsk ist das Haus mit Zeltdach auf der Ulitsa Kranoarmejskaja 71. Im Jahr 1910 wurde es vom Tomsker Architekten Stanislaw Chomitsch für den berühmten Kaufmann Georgij Golowanow errichtet.
Das Haus hat eine aufregende Geschichte: Nach der Revolution von 1917 wurde in der Villa ein Sanatorium für nervengeschädigte Kinder eingerichtet, mit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1941 beherbergte das Haus ein Heim für evakuierte Kinder. Nach dem Krieg zog eine medizinische Fachschule ein.
1993 begann das Zentrum für deutsche Kultur damit, die Villa zu rekonstruieren, und heute residiert im Haus mit Zeltdach das Deutsch-Russische Haus, ein Anlaufpunkt für die Russlanddeutschen der Oblast Tomsk.
Bis zum Beginn der Restaurierungsarbeiten war die Golowanow-Villa weiß mit roter Dachdeckung. Deshalb sah das Haus, wie ein Historiker anmerkt, „europäisch aus und hob sich von der allgemeinen Bebauung des Stadtviertels ab“. Heute trägt das Haus ein weiß-himmelblaues Kleid, das ihm auch sehr gut steht: Es sieht aus wie ein gestricktes Kleid mit Spitzenbesatz und einem Muster, bei dem es immer etwas Neues zu entdecken gibt.
Der dekorative Schmuck des Hauses mit Zeltdach und das Interieur sind gut erhalten geblieben: Die Türen und die Stuckrosetten an der Decke sind reich verziert mit voluminösen Holz- oder Steinelementen.
Haus mit Feuervögeln
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Das Haus mit Feuervögeln auf der Ulitsa Krasnoarmejskaja 67 und 67а gehört zur ehemaligen Villa des Kaufmanns Leontij Sheljabo. Der Legende nach soll das hübsche Schlösschen auf dem Hof der Villa für die Tochter des Kaufmanns als Mitgift gebaut worden sein.
Die füllige, jedoch zugleich einfach gehaltene Villa des Kaufmanns Sheljabo vereinigt sowohl folkloristische russische Formen der Holzarchitektur und Schnitzerei, wie auch Elemente des Barock. Heute wird es von ganz normalen Städtern bewohnt. Sie können ihre Mahlzeiten nun im mit Holzschnitzereien verzierten Erker einnehmen, und laufen auf Dielen, die mehr als 100 Jahre alt sind.
Haus mit Drachen
Foto: Roman Petruschin, facebook.com/woodentomsk
Man kann an dem im Jugendstil gehaltenen Haus mit Drachen auf der Ulitsa Krasnoarmejskaja 68 nicht einfach vorbeigehen. Sibirische Forscher glauben, dass der Architekt Vikentij Orsheschko gleich von mehreren Bauwerken inspiriert wurde. So trage es Merkmale der norwegischen Stabkirche Borgund (Borgund stavkirke) aus den Jahren 1150 bis 1180, eine der ältesten erhalten gebliebenen Holzkirchen und ebenfalls mit Drachen auf dem Dach, sowie des Reichsjägerhofs Rominten, dem Jagdschloss Wilhelms II in Ostpreußen, der heutigen Oblast Kaliningrad.
Foto: Photoxpress
Exkursionen durch die Stadt Tomsk organisiert das Reisebüro Tomsktourist in englischer, französischer, deutscher und chinesischer Sprache.
Man kann dort sowohl eine Stadtrundfahrt buchen, aber auch einzelne themengebundene Stadtführungen, so speziell für Holzarchitektur oder Architektur allgemein, in Anspruch nehmen. Der Preis für eine Gruppe mit 30 Touristen und eine zweistündige Führung liegt bei rund 115 Euro, Gruppen ab 40 Personen zahlen rund 140 Euro. Eine individuelle Exkursion kostet ohne Berücksichtigung der Kosten für Verkehrsmittel etwa 60 Euro. Die E-Mailadresse des Museums lautet gid@tomskturist.ru.
Wer Tomsk auf eigene Faust erobern will, kann einen elektronischen Reiseführer nutzen, der von Studenten der Tomsker Staatlichen Universität für ihre ausländischen Kommilitonen zusammengestellt wurde.
Anreise nach Tomsk: |
Aus Moskau und Sankt Petersburg gibt es Linienflüge nach Tomsk. Aus Nowosibirsk empfiehlt sich die Anfahrt mit dem Reisebus. Die Reisezeit vom Busbahnhof Nowosibirsk bis in die Holzstadt beträgt etwa vier Stunden. Ein Ticket gibt es schon für 700 Rubel, rund neun Euro. Von Krasnojarsk aus dauert die Anreise etwa zehn Stunden, das Ticket gibt es für 1 300 Rubel, also rund 17 Euro. |
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