Die Samen sind damit die kleinste ethnische Minderheit in Russland.
TASS/Lev Fedoseev„Wenn wir erst einmal Strom haben, dann werden wir auch auf Google zu finden sein“, meint Iwan Golowin lächelnd mitten auf einer Straße, an deren Seiten sich Zelte aneinanderreihen. Diese erinnern an Wigwams, provisorische Behausungen, die aus Holzstangen und Fellen errichtet wurden.
Wir befinden uns mitten in der Tundra von Murmansk, im hohen Norden Russlands, wo die Kälte den Atem gefrieren lässt. Eben hier liegt Sami-syt, zu Deutsch samisches Dorf – der erste Ort der Samen, der eigens für Touristen konzipiert wurde. Iwan Golowin lebt nicht nur in diesem Dorf, er ist auch der Vertreter der Samen-Gemeinschaft in Russland.
Die Samen, früher auch Lappen genannt, sind das Urvolk der Oblast Murmansk. Ihre Siedlungsgebiete erstrecken sich von Russland über Finnland und Schweden bis hin nach Norwegen. Trotz der großen Distanz, der seltenen gegenseitigen Besuche und der jahrelangen Isolation sprechen die Samen eine gemeinsame Sprache. Sie ermöglicht es den russischen Samen bis heute, die Sprache von Samenvölkern aus anderen Ländern zu verstehen.
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Aus Furcht, die Samen könnten einen eigenen Staat gründen wollen oder sich Finnland anschließen, wurde das Volk zu Sowjetzeiten unterdrückt. Weder durften die Samen ihre Sprache verwenden noch ihre Bräuche ausüben. Den Kindern wurde in der Schule Russisch beigebracht. Wer dennoch Samisch sprach, wurde bestraft.
Heute liegt es sogar im Trend, Same zu sein, obwohl es in Russland nur mehr rund 2 000 Vertreter ihres Volkes gibt. Sie alle leben in der Region um das Dorf Lowosero und sind damit die kleinste ethnische Minderheit in Russland.
Wichtigstes Gut der Samen sind ihre Rentiere. In den Dörfern darf man sie mit Brot füttern, sie streicheln und ihr anmutiges Geweih berühren. Aber Vorsicht – die Hand mit dem Futter darf man nicht zu hoch halten, denn sonst steigen die Rentiere mit ihren Hufen auf die Schultern und holen sich so ihr Futter.
Mit Futter gestärkt, können Besucher die unglaubliche Ausdauer der Tiere bestaunen: auf einer Schlittenfahrt. Ein Gespann von zwei Rentieren kann sechs Menschen problemlos kilometerlang durch die Tundra ziehen.
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Nach der Schlittenfahrt werden die Gäste zu einem Mittagessen eingeladen, bei dem – so zynisch es klingt – Rentier serviert wird. Die Samen bereiten aus Rentierfleisch die Suppe Wjar zu. Künftig wollen sie auch Wurst herstellen. Neben Rentier steht aber auch Lim, eine Fischsuppe mit Lachs, auf der Speisekarte. Als passendes Getränk wird Pakula empfohlen, ein Kräutertee, der in einem 200 Jahre alten Teekessel gekocht und mit Moltbeermarmelade gesüßt wird.
Dieses Menü mag nach einem Tag mit den Rentieren manche Besucher zu Tränen rühren, doch für die Samen gehört das zum Alltag. „Die Rentiere versorgen uns, sie liefern uns Nahrung und Kleidung, dienen uns als Transportmittel, sie heilen uns und wir schwimmen sogar auf ihnen“, erklärt Witalij, ein Rentierzüchter, während er seine Hose aus Rentierleder zurechtstreift.
Die große Bedeutung dieser Hufentiere für die Samen zeigt sich in allen Aspekten ihrer Kultur. In der samischen Sprache gibt es ein Wort für die Stille, die entsteht, bevor man ein Rentier sichtet. Und ein mystischer Vorfahre der Samen, Mjandasch, soll ein Rentiermensch gewesen sein, der die Samen in die Kunst der Jagd einweihte. Das Rentier ist für die Samen so wichtig, dass sich ihr ganzer Jahreszyklus, wovon die Männer rund neun Monate in der Tundra verbringen, um das Tier dreht.
Die restlichen drei Monate widmen sich die Männer den gesellschaftlichen Dingen, allen voran dem Heiraten. Hier eilt ein anderes Tier zu Hilfe: der Bär. Am Gürtel des Rentierzüchters Vitali hängt ein Bärenpenis. Vitali ist der Ansicht, dass er ohne dieses Amulett seine dritte Frau nicht kennengelernt hätte: „Als ich das erste Mal geheiratet habe, war ich zu jung. Ich war lange Zeit in der Tundra unterwegs. Meine Frau hielt das nicht aus und verließ mich. Meine zweite Frau und ich passten vom Charakter her nicht zusammen. Meine dritte Frau hingegen kam zu mir in die Tundra. Fünfzig Kilometer hat sie zurückgelegt. Das ist wahre Liebe“, erzählt der Rentierzüchter.
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Wer nach seiner wahren Liebe (und mehr) sucht, der hat die Möglichkeit, sie bei den Samen zu finden. Genauer kann man das an der Allee der Götzen machen. Dort muss man lediglich zu jenem Götzen sprechen, dessen Hilfe man am meisten benötigt, etwa dem Götzen der Glückseligkeit, des Glücks, der Liebe, des Schicksals, der Gesundheit oder der vier Naturgewalten.
Mit einer Goldmünze stimmt man ihn gütig, eine Umarmung besiegelt das Ritual. Damit die Magie ihre Wirkung aber vollends entfalten kann, muss man sich ein Amulett zulegen, das von einer Schamanin beschworen wurde, die schon viele Jahre in Abgeschiedenheit lebt.
Schamanen besitzen bei den Samen bis heute eine hohe Autorität. Denn immerhin sind sie diejenigen, die durch die drei Welten gleiten: die Obere (Himmlische), die Untere (das Jenseits) und die Mittlere (Irdische). Tibetische Schamanen sollen auch den Samen geholfen haben, den Ort ihres Dorfes auszusuchen. Iwan, der Vorsitzende der Gemeinschaft, erinnert sich an das Ritual, das ein Schamane durchführte: „Er war drei Stunden damit beschäftigt, es war verrückt. Dafür haben sie uns gesagt, dass die Aura des Ortes rein sei, es viele Einwohner geben werde und wir einen hohen Lebensstandard haben würden. Unsere Ortschaft wächst mit einer reinen Aura.“
Sami-syt erreicht man am besten von Murmansk aus, wo regelmäßig Flüge aus Moskau oder Sankt Petersburg landen. Von Murmansk fährt man etwa 110 Kilometer durch die Tundra. Die beste Zeit, nach Sami-syt zu fahren, ist im Winter oder im Sommer. Im Winter kann man hier echte Kälte, knirschenden Schnee und natürlich die Polarnächte erleben. Der Sommer lockt mit den weißen Nächten. Die ganze Nacht spazieren gehen können hier allerdings nur jene mit einer sehr guten Kondition, denn die Temperaturen klettern nur selten über 15 Grad.
Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Unterstützung des Deutsch-Russischen Forums erstellt.
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