Das Dorf Itum-Kali, aufgenommen von einem Mitglied des Projektes „Unbekannter Kaukasus“.
Muslim AlimirzaevZwei Tschetschenienkriege sind nicht spurlos an Grosny vorübergezogen. Eine UN-Kommission besichtigte die Stadt im Jahr 2003. Glaubt man der lokalen Berichterstattung, stuften die Sondergesandten die tschetschenische Hauptstadt damals als die am stärksten zerstörte Stadt auf unserem Planeten seit dem Zweiten Weltkrieg ein. Kurz davor hatte die Zentralregierung in Moskau ein föderales Programm für den Wiederaufbau der Region aufgelegt. Insgesamt seien seit dem Amtsantritt Ramsan Kadyrows als Tschetscheniens Präsident im Jahr 2007 539 Milliarden Rubel, nach heutigem Kurs 7,7 Milliarden Euro, in die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der russischen Teilrepublik geflossen, berichtet die Wirtschaftszeitung „RBC“.
Seitdem ist Grosny von Grund auf erneuert worden. Zerstörte Häuser gibt es dort nahezu keine mehr – im Stadtzentrum ragen mehrere Wolkenkratzer in die Höhe, gehüllt in Neonlicht. Einer davon beherbergt das Fünf-Sterne-Hotel Grozny City. Vom Restaurant im obersten Stockwerk aus eröffnet sich eine wunderbare Aussicht über die gesamte Stadt: auf die Zentralmosche, die beiden Boulevards zu Ehren Putins und Achmat Kadyrows, sowie den noch im Bau befindlichen Achmat-Tower. Mit 80 Stockwerken soll das Gebäude nach Fertigstellung Russlands höchster Wolkenkratzer werden – und Europas höchste Aussichtsplattform. An Superlativen mangelt es in Grosny freilich nicht. Selbst der diesjährige Tannenbaum – ein unverzichtbares Attribut des russischen Neujahrsfestes – ist der größte und schwerste im ganzen Land.
Ein Einheimischer steht an einer Quelle in den tschetschenischen Bergen. Foto: Julia Shevelkina
Seit mehr als fünf Jahren gilt Tschetschenien als eine der sichersten Regionen Russlands – das besagt jedenfalls die offizielle Kriminalstatistik. Nach Angaben der russischen Generalstaatsanwaltschaft lag Tschetschenien unter allen 85 russischen Regionen auf Platz 79 bei der Anzahl der begangenen Straftaten. Nur in sechs anderen russischen Regionen werden noch weniger Verbrechen verübt.
Hinsichtlich der Terrorgefahr aber kämpft Tschetschenien immer noch mit großen Problemen. In der Statistik für 2015 war die Region die zweitgefährdetste im ganzen Land, gleich nach der Nachbarrepublik Dagestan. Und auch wenn die Anti-Terror-Operation 2009 für beendet erklärt wurde, gilt in manch einer Bergregion weiterhin der Ausnahmezustand, sagen die lokalen Reiseveranstalter.
Die Uschkaloj-Befestigungsanlagen aus dem 10. Jahrhundert. Foto: Muslim Alimirzaev
Dabei sind die Berge Tschetscheniens ganzer Stolz. Auf speziellen Touristenpfaden in der Argunskoe-Schlucht kann man sich mit der antiken Kultur des tschetschenischen Volkes vertraut machen, Befestigungsanlagen aus dem 10. Jahrhundert besichtigen und an Heilwasserquellen Rast machen. Eine andere Route führt an den Kesenoiam, einen alpinen See an der Grenze zu Dagestan. Einst trainierte dort die sowjetische Rudermannschaft, heute lädt ein Ferienheim samt einer Luftseilbahn die Gäste zum Erholen ein.
Die Autorin des Artikels am Kesenoiam, einem See an der Grenze zu Dagestan. Foto: Muslim Alimirzaev
Auf dem Weg dorthin sind die Sicherheitsposten mit bewaffneten Polizisten kaum zu übersehen. Passkontrollen sind allgegenwärtig, einen Ausweis bei sich zu tragen ist Pflicht. Für ausländische Touristen sind die Sicherheitsvorkehrungen etwas strenger: „Um die Bergregionen zu besuchen, müssen sie sich zwei Monate im Voraus anmelden“, sagt die Sprecherin des ersten tschetschenischen Reiseveranstalters Visit Chechnya, Sareta Sulajewa. „Wir stellen den nötigen Fragebogen bereit und schicken die Anfrage an den FSB. Möchte der ausländische Gast nur in Grosny bleiben, braucht er diese Anmeldung nicht.“
„Tschetschenische Erde ist wie ein tschetschenischer Mann: Wenn sie erstmal dran ist, wird man sie nicht mehr los“, scherzt der Reisebusfahrer, während die Touristen verzweifelt versuchen, ihr Schuhwerk nach einem erneuten Stopp in den Bergen einigermaßen sauber zu bekommen. In der Tat muss man mit beidem rechnen: der klebrigen Tonerde und den penetranten Blicken Einheimischer – auch wenn der Reiseführer für Sicherheit sorgt und gerne bereit ist, auf die Fragen zur einheimischen Mentalität einzugehen.
Eine davon: Warum hängen eigentlich überall Bilder von Putin und dem ersten tschetschenischen Präsidenten Achmat Kadyrow? Außerdem wird Kadyrow Senior fortwährend zitiert: Seine Aussagen über Frieden und Gerechtigkeit hängen an den Wänden des hiesigen Flughafens, entlang der Straßen, an Wohn- und Verwaltungsgebäuden, selbst auf Postamenten in den Bergen und an den Dorfzufahrten.
„Respekt vor den Älteren ist eine Grundfeste im Leben der Tschetschenen. Die Bilder von Kadyrow dem Älteren sind ein Ausdruck dafür, dass er respektiert wird“, sagt der Reiseführer. Experten sehen die Erklärung dafür in der jüngeren Geschichte Tschetscheniens: „Die tschetschenische Gesellschaft war immer schon egalitär. Die Tschetschenen sind stolz darauf, dass niemand der alleinige Führer sein konnte“, sagt der Kaukasus-Experte Sergei Markedonow, Dozent am Institut für Regionalstudien und Außenpolitik an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität. „Kadyrow Senior und später sein Sohn haben eine Machtvertikale errichtet, die auf einem Personenkult basiert. Man muss schon sagen, dass sich dieses System als recht effektiv erweist“, so der Experte. „Die Tschetschenen vergleichen die Lage heute mit der Situation in den 1990er-Jahren. Ihre Anerkennung für den Anführer ist eine Art Kompensation für ein konfliktfreies Leben.“ In diesem Paradigma habe Putins Präsidentschaft die Stabilität in den Beziehungen zwischen der Zentralmacht und der Teilrepublik befördert. Putin garantiere die Macht der Regionalführer und sie garantierten wiederum Frieden und Stabilität in der Republik.
Ein Paar spaziert am Abend durch den Boulevard zu Ehren Putins in Grosny. Foto: Muslim Alimirzaev
Auch Achmat Kadyrows Nachfolger, sein Sohn Ramsan Kadyrow, genießt hohes Ansehen: „Alle wollen so sein wie Ramsan Achmatowitsch“, sagt eine Passantin mit langem Kleid und Kopftuch in Grosny. „Seine Familie hält die Tradition in Ehren und wir nehmen uns ein Beispiel daran.“
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