Die Welt der Eismeer-Jäger: So leben die Einheimischen Tschukotkas

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Die in Tschukotka, der großen russischen Halbinsel kurz vor der Beringstraße zu Alaska, lebenden Inuit sind hart im Nehmen und der Natur sehr nah: Sie ernähren ihre Geister, jagen Wale und kochen Marmelade ein.

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"Einen Monat im Jahr ist das Wetter hier schlecht, zwei Monate sehr schlecht und neun Monate furchtbar", besagt eine beliebte Weisheit der Einwohner der Küstengebiete der Tschukotka-Halbinsel. Sie liegt im Polargebiet, die vorherrschende Landschaftsform ist karge Tundra. Der Winter ist lang, der Sommer kalt und kurz - nur bis zu zehn bis 15 Grad Celsius.

Eine asphaltierte Straße dient mehreren Ortschaften als Verbindungsachse. Sonst bewegt man sich auf den Schneemobilen "Buran" fort, mit multifunktionalen Transportmittel, Booten, Flugzeugen oder Hubschraubern. Hier leben vor allem Angehörige des einheimischen Volksstammes der Tschuktschen, erfahrene Meeresjäger und Überlebenskünstler.

Eskimos gibt es in Russland insgesamt nur noch sehr wenige. Dazu zählen auch die asiatischen oder sibirischen Eskimos, die sogenannten Asien- oder Sibirien-Yupik. Sie sind verwandt mit denen auf der Sankt-Lorenz-Insel in Alaska. Sie sprechen ein und diesselbe Sprache und können einander per Schiff besuchen. Die Insel liegt nur etwa 60 Kilometer vor der Küste Tschukotkas und ist bei guter Sicht sogar von der Küste aus zu erkennen.

Selbst essen - und Geister füttern

Unter den Eskimos in Alaska leben auch Onkel, Tanten und Verwandte der Tschukotischen, aber in ihrem Glauben unterscheiden sie sich. In Alaska nahmen die Eskimos schon vor langer Zeit protestantischen Glauben an. Die Tschuktschen sind Heiden. In ihrem Glauben, dem Aninismus, besitzt jeder Gegenstand eine Seele, wegal ob Stein, Gras oder Pflanzen. Auch die Geister ihrer Vorfahren und bestimmter Orte sind demnach immer gegenwärtig, wenn auch nicht sichtbar. Manchmal führen diese verschiedenen Ansichten zu Streit zwischen den alaskischen und tschukotischen Eskimos. Letztere werfen Ersteren dann oft vor, sie hätten den alten Glauben der Vorfahren vergessen. Andersherum wird die Huldigung Böser Geister oder gar Dämonen häufig kritisiert.

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Den Alltag der Tschuktschen bestimmt das obligatorische "Füttern" der Geister. Wenn ein Eskimo isst, dann wirft er immer wieder einzelne Stückchen des Essens in die Gegend. Wenn er Tee trinkt, tut er dasselbe mit Schlückchen Tee. Dieses Ritual heißt "Ach'k'ujak" und bedeutet "tägliche Ernährung". Die Eskimos glauben, dass die Menschen auch im Jenseits noch essen und trinken müssen. Wenn sie ein verlassenes Dorf passieren, füttern sie auch dort die Geister der verstorbenen Anwohner des jeweiligen Ortes. Und wenn ein Eskimo die Geister um Heilung von Krankheiten oder schönes Wetter bittet, um zum Festland zu fliegen, dann wirft er Perlen in die Luft. Dies gilt als Opfergabe für die Geister.

Besonders bildreich wird diese besondere und für Europäer ungewöhnliche Weltsicht der Tschuktschen in ihren Märchen überliefert. Ein Mensch wird zum Wolf oder Seehund, heiratet einen Vielfraß oder wird von einem Raben entführt. All das ist in den Legenden und Sagen der Tschuktschen möglich.

"Das Bewusstsein dieser Eingeborenenvölker kennt nicht nur ander Vorstellungen von der Welt", erläutert der Ethnologe Dmitrij Oparin von der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität (MGU), "sondern eine andere Welt an sich, in der es keine Grenzen zwischen Natur und Kultur gibt. Die Welt der Tiere, Pflanzen und Verse kann in die Welt der Menschen eindringen und umgekehrt."

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Küche für starke Männer

Die Eskimos gehören zu den wenigen Völkern in Russland, die Meerestiere jagen dürfen. Drei bis maximal fünf Wale dürfen sie im Jahr mit Harpunen erlegen sowie Seehunde und Seelöwen schießen. Als besondere Delikatesse gilt Walross-Fleisch "mit Seele". Außerdem sind rohe Wal-Haut, -Fleisch, -Herz und Wahlross-Leber sowie Seehundfleisch beliebt. Das Fleisch vekommt man natürlich bei den Jägern, die damit ihre gesamte Familie ernähren. Alle anderen Einwohner müssen es bei den Jägern kaufen oder sich "verschulden". Bei den Nomadenvölkern in Tschukotka kaufen die Eskimos dann vor allem Rentier-Fleisch im Tausch.

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Die Portionen werden dann durch Gesammeltes aufgestockt: Beeren und Pflanzen sind als Vitaminlieferant ein wichtiger Teil der Ernährung. Die Eskimos frieren Beerensträucher ein und füllen damit Enten- oder Hasenmägen oder kochen sie zu Marmelade ein. Aber die absolute Vitamin-C-Spritze in der Eskimo-Küche ist das Gericht mit dem klangvollen Namen Nuniwak - eingelegte und dann gefrorene Rosenwurz-Blätter.

Fernweh der Jäger

Die traditionelle Lebensordnung der Eskimos ruht auf der Unterstützung innerhalb der Familien. Ebenso gehören dazu das Jagdverständnis der Eskimos und bestimmte Ausdrücke, heilige Orte und Gegenden in der Tundra, die traditionelle Zubereitung von Essen sowie Rituale, um die Geister gewogen zu stimmen.

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Der Ethnologe Oparin fügt hinzu, dass es die Eskimos bei jeder Gelegenheit das Dorf verließen, in die Tundra hinausführen, um Beeren und Pilze zu sammeln, in den Seen Fische zu fangen oder Vögel zu jagen. Tundra und Meer stehen für die Eskimos gleichwertig für Weite - und Nahrung. Sie verbringen keine Zeit vorm Fernseher oder Computer, sondern fahren aufs Meer oder zur Jagd hinaus. Das Dorf ist für diese Jäger- und Sammler-Gemeinschaft ein Ort der Enge und Leere. Sie lieben weite Gras- und Meereslandschaften, wo die Tiere und Geister, das Gedenken verlassener Siedlungen und allerlei Legenden leben.

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