Auch wenn das nächste Ziel die Familiengründung ist, schließt Issinbajewa Rio 2016 nicht komplett aus. Foto: Rossijskaja Gaseta
Alles, was am Dienstag im Moskauer Stadion Luschniki außerhalb des Stabhochsprungbereichs passierte, stellte lediglich die Kulisse für ein einziges, aber bedeutendes Ereignis. Im Hochsprungbereich ging, wie man ohne Übertreibung sagen darf, eine ganze Epoche zu Ende – die Epoche der großartigen Jelena Issinbajewa. Die Epoche, die – so hat es das Schicksal wohl gewollt – genau an dieser Stelle begann, als das noch vollkommen unbekannte Mädchen aus Wolgograd bei den Weltjugendspielen ihren ersten Sieg errang. Danach folgten zwei olympische Siege, sechs Siege bei den Sommer- und Winterweltmeisterschaften und insgesamt 28 Weltrekorde, sodass ihre Anhänger und Fans bei jedem Start voller Erwartungen und Vorfreude waren.
Issinbajewas Weg zur Weltmeisterschaft: Hohe Erwartungen und Sorgen
Einen Sieg erwartete man von Jelena Issinbajewa auch am Dienstagabend, ungeachtet dessen, dass ihr letzter großer Erfolg im Jahr 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking bereits einige Jahre zurücklag. Bei der vorherigen Weltmeisterschaft in Daegu (Südkorea) schaffte sie es nicht einmal auf das Siegerpodest, mit Bronze – man muss sagen: nur mit Bronze – verließ sie die Olympischen Spiele in London. Jewgenij Trofimow, Issinbajewas Trainer, versicherte allerdings, dass sie noch im Herbst ohne Probleme 5,11 Meter übersprungen hätte, das heißt, fünf Zentimeter über ihrem eigenen Weltrekord lag.
Aber das war beim Training. Bei den Wettbewerben in dieser Saison kam sie über die 4,78 Meter noch nicht hinaus. Das schafften dagegen zwei ihrer größten Konkurrentinnen: die Olympiasiegerin von 2012, die US-Amerikanerin Jennifer Suhr, und die Kubanerin Yarisley Silva, die schon einmal die 4,90 Meter geschafft hat.
Zusätzlich zu ihren leistungsstarken Mitbewerberinnen kamen für Issinbajewa noch Probleme mit der Gesundheit hinzu. Weder die Sportlerin selbst noch ihr Trainer waren sich sicher, ob es ihr ihre verletzte Ferse erlauben würde, zu ihrer Spitzenleistung zurückzufinden. Diese Verletzung hatte sie in der Vorbereitung gezwungen, das Training mehr als einen Monat auszusetzen. Und hätte man unter solchen Umständen erwarten dürfen, dass sie eine Medaille – und dann noch die goldene – holt?
Trotz Fehlversuch zu Beginn steht am Ende die Goldmedaille
Im Finale entschied sich Jelena Issinbajewa für eine Anfangshöhe von 4,65 Meter und klinkte sich damit erst dann in den Kampf ein, als die sechs Finalistinnen bereits mehrere Sprungversuche erfolgreich absolviert hatten. Im ersten Sprung scheiterte sie noch an der Höhe. Dafür war der zweite Sprung ideal und es war zu sehen, dass sie noch über große Reserven verfügte.
4,75 Meter waren das nächste Ziel, und Issinbajewa hatte offensichtlich zu ihrem gewohnten Rhythmus gefunden – in bester Tradition überwand sie die Höhe leicht und ohne besondere Anspannung. Aber das gelang auch Jennifer Suhr. Und da die US-Amerikanerin mit eben dieser Höhe begonnen hatte, lag sie damit auch in Führung.
Bald waren im Sprungbereich nur noch vier Springerinnen übrig: die Deutsche Silke Spiegelburg, Issinbajewa, Suhr und Silva. Aber alle scheiterten sie im ersten Anlauf bei einer Höhe von 4,82 Meter. Issinbajewa schaffte diese als Erste im zweiten Versuch. Suhr, auch wenn nicht mehr ganz problemlos, ebenfalls. Silva benötigte dafür alle drei Versuche und sicherte sich damit am Ende die Bronzemedaille. Für Spiegelburg allerdings war der Wettbewerb an dieser Stelle zu Ende und sie musste sich mit dem vierten Platz begnügen.
Das Schicksal des Weltmeistertitels lag ab diesem Moment nur noch – im wahrsten Sinne des Wortes – in den Händen von Issinbajewa und Suhr. Nachdem die Russin die 4,89 Meter überwunden hatte, geriet das Publikum auf den Rängen vollends aus dem Häuschen. Die Begeisterung nahm noch zu, als die US-Amerikanerin diese Höhe zum dritten Mal gerissen hatte. Issinbajewa war Weltmeisterin! Zum siebten und voraussichtlich wohl zum letzten Mal, obwohl man wahrscheinlich versuchen wird, ihre am Vorabend der Moskauer Weltmeisterschaft verkündete Entscheidung über ihr Karriereende nochmals zu überdenken.
Babywunsch steht an erster Stelle
„Lediglich meine engsten Freunde und Verwandte wissen wirklich, welche Anstrengung mich diese Goldmedaille gekostet hat. Sie ist für mich wahrscheinlich die wertvollste und am härtesten erkämpfte. Ich habe seit Langem nicht mehr bei offiziellen Wettkämpfen gewonnen. Es war ein sehr langer Weg von den Olympischen Spielen 2008 in Peking bis hierher nach Moskau. Und er wäre nicht so erfolgreich verlaufen, wäre nicht die Unterstützung meiner Anhänger und meiner Nächsten gewesen, vor allem aber die meines Trainers Jewgenij Trofimow", erklärte Issinbajewa nach dem Wettkampf.
„Als der erste Versuch bei 4,65 Meter scheiterte, machten weder ich noch mein Trainer sich Sorgen", sagte die Weltmeisterin den Journalisten. „Das lag daran, dass ich vor der Weltmeisterschaft lediglich dreimal zu Wettkämpfen angetreten war und ich noch nicht – wie es bei uns so schön heißt – eingesprungen war. Alle Gefühle strömten in dem Moment aus mir
heraus, als ich im ersten Versuch die 4,89 Meter geschafft hatte und begriff, dass ich Weltmeisterin bin. Aber ich hatte am 29. April beim Training ja schon die 5,11 Meter geschafft. Und mein Trainer versicherte mir, dass ich momentan in einer solch guten Form bin, dass ich sogar die 5,15 Meter überspringen könnte. Ich glaube ihm das."
Ungeachtet der Meldungen darüber, dass Issinbajewa beabsichtige, ihre aktive Laufbahn zu beenden, lässt die Springerin ihren Anhängern die Hoffnung, dass sie in den aktiven Sport zurückkehren werde. „Ich werde in dieser Saison wahrscheinlich noch ein paar kommerzielle Starts absolvieren. Aber an Weltmeisterschaften werde ich wohl nicht mehr teilnehmen", erklärte Issinbajewa. „Jetzt möchte ich vor allem erst einmal eine Familie gründen. Wenn ich dann noch einmal zurückkehren möchte, dann nur, um an den Olympischen Spielen 2016 in Rio teilzunehmen. Bis zur Weltmeisterschaft 2015 in Peking werde ich natürlich noch nicht wieder in Form sein."
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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