Skilehrer Andrei Batalow mit seiner Tochter Tanja in Krasnaja Poljana. Foto: Jewgenija Jegorowa
Im vergangenen Jahr fanden in Sotschi die Paralympischen Spiele statt. Auf den Skipisten von Krasnaja Poljana kämpften die Athleten um Medaillen. Sport für Menschen mit Behinderungen ist in Russland eine noch relativ junge Erscheinung, die Infrastruktur entwickelt sich erst. Doch schon jetzt gibt es die ersten Erfolge zu verzeichnen. Das zeigt etwa die Geschichte von Tanja, der fünfjährigen Tochter von Andrei Batalow. Sie leidet an einer infantilen Zerebralparese und ist gehbehindert. Im März konnte sie dennoch
Ein Snow-Slider ist ein Skigerät mit Gerüst für Menschen, die eine Stütze für den Oberkörper oder für den gesamten Körper benötigen oder zum Beispiel an Sehstörungen leiden.
mit einem Snow-Slider einen Berg hinunterfahren. Fünf Kilometer legte sie dabei zurück. Sie startete auf 2 300 Meter Höhe und fuhr hinunter bis auf 1 170 Meter.
Batalow ist selbst Skilehrer in Sotschi. Schon als seine Tochter noch ganz klein war, nahm er sie mit in die Berge: „Tanja war immer mit dabei. Sie saß in einer Trage auf meinem Rücken, das hat ihr sehr gefallen. Ich wollte ihr immer schon das Skifahren beibringen, doch damals erschien das utopisch", erzählt Batalow. Doch er verzweifelte nicht wie so viele Eltern behinderter Kinder in Russland. Er ließ nicht locker, arbeitete beharrlich an der Verwirklichung dieses Traums und der Rehabilitation seiner Tochter. In nur einem Jahr gelang ihm das scheinbar Unmögliche: Tanja kann zwar noch immer nicht laufen, aber sie fährt begeistert Ski Alpin.
Seit einigen Jahren gibt es in verschiedenen russischen Städten das Projekt „Traum-Ski", bei dem Kinder mit ernsten gesundheitlichen Problemen das Skifahren lernen. Auch Andrei Batalow macht dabei mit: „Ich bin 2014 zufällig auf dieses Programm im Internet gestoßen", sagt er. „Als ich von den „Traum-Ski"-Ausbilderlehrgängen erfuhr, machte ich mich auf den Weg nach Moskau. Ich wollte Ausbilder werden, um meine Tochter unterrichten zu können", erinnert er sich. Das Geld für den ersten Snow-Slider für Sotschi lieh er sich von Freunden. Zurück in der Heimat setzte er das Projekt „Traum-Ski" auch dort um.
Batalows Vorhaben war nicht einfach umzusetzen. In den örtlichen Wintersportgebieten stieß seine Idee zunächst auf wenig Begeisterung. Nur in Rosa Chutor war man bereit, etwas Neues zu wagen, zunächst als Experiment. Batalows Tochter war die Testperson, er übernahm die volle Verantwortung. „Nachdem das neue Programm mit Tanja erfolgreich getestet worden war, haben wir eine Gruppe aus fünf Kindern gebildet, die wir drei Tage lang unterrichtet haben. Schließlich erhielten wir die Zusage von der Leitung des Kurorts und konnten das Programm für eine Saison fortsetzen", berichtet Batalow. Das Interesse sei groß gewesen: „Im Frühling 2015 hatten bereits mehr als zwanzig Kinder zwischen vier und elf Jahren aus verschiedenen Regionen des Landes die neue Methode auf den Skipisten von Sotschi getestet." Der spezielle Skikurs ist laut Batalow geeignet für Menschen mit den verschiedensten Behinderungen, gleich ob infantile Zerebralparese, Down-Syndrom oder Autismus. Auch Rollstuhlfahrer können mitmachen. Jeder kann damit Skifahren lernen. „Es funktioniert wirklich", zeigt sich Batalow begeistert.
In Sotschi soll bald ein Zentrum für rehabilitative Gymnastik und Behindertensport eröffnet werden, hofft Andrei Batalow. Foto: Anastassija Werchoturowa.
Ganz umsonst ist das für die Familien nicht, doch die Kosten halten sich in Grenzen. „Wir haben uns bereits in der Testphase bemüht, die Kosten für die Eltern gering zu halten. Der Kurort Rosa Chutor vergibt kostenlose
Skipässe und Passierscheine für Autos und stellt einen Trainingsplatz zur Verfügung. Unternehmer stellen den Kindern die alpine Sportausrüstung. Die Eltern müssen nur anreisen, eine Unterkunft mieten und die Unterrichtsstunden mit dem Ausbilder bezahlen", erzählt Batalow, der noch viel vorhat und dabei von vielen Mitstreitern unterstützt wird. Sie wollen neue Sportarten anbieten: Ski-Bike, Bergklettern, Skiroller und sogar Rafting soll bald auch mit Handicap möglich sein. Außerdem soll in Krasnaja Poljana ein Zentrum für rehabilitative Gymnastik und Behindertensport eröffnet werden. Andrei Batalow hofft auf die Aufmerksamkeit und Unterstützung von Stiftungen und vielen Partnern, damit das Zentrum, das das erste in Russland wäre, bald die Arbeit aufnehmen kann.
Jelena, Mutter der vierjährigen Alina, ist sehr zufrieden: „Wir werden auf jeden Fall wieder teilnehmen. Mein Kind kann besser stehen, ein paar Schritte selbständig machen, hat sprachlich Fortschritte gemacht und kann sich besser konzentrieren. Und das nach nur zehn Unterrichtsstunden. Meine Tochter war weder ängstlich noch überanstrengt. Die Eindrücke, die sie gewonnen hat, haben sie begeistert. Alina war absolut ergriffen."
Nadeshdas Sohn Anton ist Autist. Auch er hatte trotz anfänglicher Schwierigkeiten sehr viel Spaß in Sotschi: „Für Anton war es anfangs schon eine Heldentat, seine Schuhe anzuziehen und insbesondere den Helm aufzusetzen – er weinte und kam dann sehr aufgeregt an den Hang. Autistische Kinder gewöhnen sich nur schwer an Neues. Gestern lief er aber schon von sich aus zum Verleih, weil er gerne Skifahren wollte. Es hat keinen zufriedeneren Skiläufer auf der Piste gegeben als Anton, er ist drei Mal hinuntergefahren. Anton meisterte unter Anleitung des Trainers den Schwung nach rechts und links und beugte die Knie."
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