1969 in einer Fernseherfabrik in Lwow, Ukrainische Sowjetrepublik / B. Krishtul/RIA Novosti
Montagmorgen. Im Büro. Sie stehen an Ihrem Arbeitsplatz. Unter Anleitung der unwirklich munter klingenden Stimme Ihres Chefs machen Sie zögernde Kniebeuge und Ausfallschritte. Auf Ihrem Schreibtisch erkaltet derweil Ihr Starbucks-Kaffee. Ihren Körper durchflutet ein ganzer Ozean aus Schmerzen, Scham und Anstrengung, die einzeln genommen schon die Grenzen Ihrer Möglichkeiten zum Wochenstart überschreiten.
Gefällt Ihnen nicht? Ok, das Spiel ist vorbei. Sie hätten in der Sowjetunion womöglich nicht überlebt. Operative, spontane Fitnesseinlagen waren eines dieser Elemente, die alle Sowjetbürger ihr ganzes Leben lang verfolgten und miteinander verbanden. Und dabei gab es gar keine solche Fitness-"Industrie" wie heute. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sich teure Clubkarten für ein Fitnessstudio zu kaufen. Denn derartige "Fünf Minütchen" zum Aufwachen war auch so unausweichlich.
Dafür musste man sich nicht einmal extra Zeit für Sport nehmen. In der Schule durfte man durchaus mitten in der Stunde aufstehen und sein Becken kreisen, wenn man verkrampft war (siehe unten). Oder Sie gingen gemeinsam mit Ihrem ganzen Arbeits-"Kollektiv" direkt am Arbeitsplatz zum Sport. All das war gebührenfrei und forderte nicht außer Sportsgeist oder Befehl des Chefs.
Die ersten sportlichen Erfahrungen machte der Sowjetbürger gewöhnlich bereits im Kindesalter: Mit der Radiosendung "Pionerskaja Sorka" (deutsch: Pionier-Blitz) fing alles an. "Guten Morgen, Genossen! Macht euch bereit zu den Gymnastikübungen. Streckt euch aus, den Kopf immer höher, die Schultern leicht nach hinten!", begann die Sendung. Der Hass der meisten Kinder der Sowjetunion dürfte den Machern sicher gewesen sein.
Um sieben Uhr morgens schaltete irgendein Pionier-Nachbar den "Blitz" sicher an - und zwar so, dass es unbedingt auch das ganze Haus hören muss. Auch die Fitnesseinlagen in der Schule fanden oft zu dieser Sendung statt. Und wenn die Kinder im Sommer ins Pionierlager fuhren, blieben sie auch dort nicht verschont. Dieser sowjetische "Albtraum" ergriff die Kinder nicht im Schlaf, sondern direkt beim Aufwachen.
1956 entschied die sowjetische Regierung, dass der "Blitz" nicht bei der Pubertät aufhören dürfe und entwickelte auch eine Variante für Erwachsene: die "Produktionsgymnastik". Diese wurde dann natürlich unter fachmännischer Anleitung des Obersten der Arbeitsgruppe oder des ganzen Werks ausgheführt.
Man meinte, dass die konzentrierten Gesichter der Schneider, Dreher und Mechaniker, die sich angestrengt in Balance halten, um möglichst nicht in die eigenen Maschinen zu fallen, die Grundlage für die Gesundheit und ein Beitrag zur Sicherheit der ganzen Nation darstellt. Weil man aber auf einem Arbeitsquadratmeter kaum Dauerläufe machen kann - zumal das auch noch gefährlich wäre -, mussten "Kompromisse" geschlossen werden. So wurde gar in einem Institut in einer Geheiminstrunktion festgelegt, dass: "Um ein Lösen der Stuckatur zu verhindern wird statt der Übung 'Lauf auf der Stelle' die Übung 'Lauf auf der Stelle ohne Einbeziehung der beine' absolviert."
Das einfache Beckenkreisen - im Idealfall so! www.youtube.com/watch?v=NTwDevNcODE - war den Genossen mit der Zeit zu primitiv. Als echte Herausforderung wurden darum der Hula-Hoop-Reifen und die sogenannte Gesundheitsscheibe eingeführt: auf der Arbeit, zuhause, im Garten - überall.
In den 60ern kreisten alle Fräulein und Damen mit dem Reifen - und zwar an allen Körperteilen: Armen, Beinen, Becken. Damit sollte der Trainingseffekt sich besser über den gesamten Körper verteilen.
Und die "Gesundheitsscheibe" - das waren eigentlich zwei Scheiben, die an einer Achse aneinander befestigt waren. Auf ihr stehend musste man mit dem Oberkörper die Balance halten. Frauen taten das dann meist auch. Kinder setzten sich oft drauf und drehten sich bis zur Übelkeit. Männer nutzen die Scheibe eher ald Fernseher-Unterlage, um den Bildschirm stets je nach ihrem eigenen Aufenthaltsort einstellen zu können.
Die US-Schauspielerin Jane Fonda un ihre Aerobic-Serie fand auch in der UdSSR Nachahmer(innen!). Zu leichtem Synthiepop ertüchtigten sich die Genossinnen - oft in unglaublichen Outfits. Besonders in waren Sport-Badeanzüge, Leggins und selbstgestrickte Gamaschen. Alles am besten in Neonfarben und grellen Mustern. so hüpften die Hausfrauen dann vorm Fernseher herum und holten den Stuck von des Nachbars Decke. Na, wenigstens blieben sie fit und ausdauernd.
Jeder sowjetische Schüler sollte sie können: die "Sonne" drehen, also eine Umdrehumg um 360 Grad an einer waagerechten Stange. Dies galt als Mut- und Kraftprüfung und garantierte letztlich den respekt der gesamten Nachbarschaft.
Später wurden überall in der Sowjetunion statt der gefährlichen Drehkreuze Schaukeln und allerlei Trainingsgerät auf eigenen Sport-Spielplätzen aufgestellt. Ein Balken oder Bock aus Beton, zum Beispiel, war eine gängige Arbeiter-Sport-Variante.
1. Die Birke
/ RBTH
Auf dem Rücken liegend, heben Sie die geraden Beine an. Dabei drücken Sie die Schulterblätter in den Boden. Die Hände stämmen Sie in die Hüfe.
In dieser Position verharren Sie 30 Sekunden bis zu einer Minute.
2. Das Fass
/ RBTH
Winkeln Sie, immer noch auf dem Rücken liegend, die Beine an, umfassen Sie die Knie. Dann schaukeln Sie nach vorn und zurück - wie ein Fass eben.
3. Die Katze
/ RBTH
Stellen Sie sich auf die Knie, die Hände auf den Boden. Arme und Beine stehen auf Hähe der Schultern. Dann buckeln wir den Rücken wie eine Katze - und ziehen ihn dann zum Hohlkreuz ein.
4. Die Pumpe
/ RBTH
Beugen Sie sich im Stand nach links und rechts - ganz nach dem Prinzip einer Pumpe.
5. Gesichtsmassage
Ziehen Sie mit ganzer Kraft ihre Wangen bis zu den Ohren. Acht Mal. Die Durchblutung wird angeregt. Damit verjagen Sie die Schlaffheit aus dem Gesicht.
/ RBTH
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