Der Kassensaal einer Filiale der russischen Staatsbank in Nischni Nowgorod, 1913. Foto: Fotosoyuz/Vostock-Photo
Alexander von Stieglitz hatte sich eigentlich daran gewöhnt, dass in Russlands Staatsfinanzen ohne seine Wenigkeit fast nichts mehr ging. Doch diesmal hatte Zar Nikolaus I. eine besondere Aufgabe für den 40-jährigen Bankier. Das Russische Reich lieferte sich gerade eine militärische Konfrontation mit den beiden mächtigsten Ländern Europas, Frankreich und Großbritannien. Die Staatskasse brauchte Geld und Stieglitz war der Mann, der es im Ausland beschaffen sollte.
Kein leichtes Unterfangen, doch Stieglitz hatte beste Verbindungen und genoss hohes Ansehen in Europa. Und so konnte er mithilfe des preußischen Bankhauses Mendelssohn & Co. russische Staatspapiere im Wert von 15 Millionen Rubel zu vergleichsweise günstigen Zinsen an der Berliner Börse platzieren.
Kaum jemand hätte es wohl für möglich gehalten, welche Karriere auf die Stieglitz-Familie wartete, als sich die drei Brüder Jahrzehnte zuvor aus Hessen auf den Weg nach Russland machten. 1803 holte Nikolai Stieglitz seinen Bruder Ludwig in die russische Hauptstadt und stattete ihn mit Kapital aus. Ludwig baute nicht nur ein erfolgreiches Handelsunternehmen auf, sondern machte sich auch als ehrlicher Kreditgeber einen Namen, so dass er nach wenigen Jahren bereits als Hofbankier gehandelt wurde. Ludwigs Sohn Alexander wurde gar vom Zaren persönlich überredet, das Bankgeschäft weiterzuführen, wie russische Historiker berichten.
Zwischen 1842 und 1859 wurden alle ausländischen Kredite für Russland unter Beteiligung des Bankhauses Stieglitz & Co. auf den Weg gebracht. Weil es noch keine Aktienbanken gab, war das Institut auch gleichzeitig Russlands größte private Bank. 1860 wurde schließlich das Bankhaus Stieglitz nach einem Erlass des Zaren verstaatlicht und zur Nationalbank ausgerufen, wobei Alexander von Stieglitz Präsident der ersten russischen Zentralbank wurde.
Explosion des Investitionsvolumens
Alexander von Stieglitz verhalf Russland an die Berliner Börse. Foto: RIA Novosti |
Der Umstand, dass eine deutschstämmige Bankiersfamilie großen Einfluss auf Russlands Finanzwesen hatte, sorgte schließlich dafür, dass auch nach dem verlorenen Krimkrieg (1853-1856) deutsche Geldhäuser eine wichtige Rolle in Russland spielten. Mitte der 1860er-Jahre erfasste das Eisenbahnfieber Russland. Gleichzeitig wurde das Bankwesen reformiert, um die kriegsgebeutelten Staatsfinanzen in Ord- nung zu bringen. Es entstanden mehrere Dutzend Aktienbanken, an denen sich auch ausländische Kapitalgeber beteiligten. Darunter das Bankhaus Mendels- sohn und die Disconto-Gesellschaft, die in zwei neue Institute investierten.
Mendelssohn gehörte auch zu den Gründungsmitgliedern der Großen Russischen Eisenbahngesellschaft. 1863 begann der Handel mit russischen Eisenbahnpapieren an der Berliner Börse. 1876 summierten sich die deutschen Investitionen in diese Papiere auf fast 900 Millionen Mark.
Der Handel mit Eisenbahnanleihen und staatlichen Papieren gehörte zu den lukrativsten Geschäften für deutsche Banken und so schlossen sich diese zum sogenannten „Russenkonsortium“ zusammen, das den Handel mit russischen Papieren in Russland monopolisierte. Neben Mendelssohn gehörten dazu auch die Bankhäuser Warburg, Robert Warschauer, S. Bleichröder und das Berliner Handelshaus.
Neustart mit den Bolschewiken
Diese Monopolstellung brachte freilich Kritiker und Neider auf den Plan. Allen voran versuchte ab 1881 die Deutsche Bank, im Russlandgeschäft mitzumischen, und beteiligte sich an der Russischen Bank für Außenhandel. Bis zum Ersten Weltkrieg war an der Vormachtstellung des Konsortiums allerdings nicht zu rütteln. Verschiedenen Berechnungen zu folge betrug der gesamte Anteil deutschen Kapitals an russischen Aktienbanken Ende 1914 etwa 30 Prozent oder 178 Millionen Rubel.
Doch der Erste Weltkrieg und die Revolution wirbelten die Branche durcheinander. Das Finanzsystem Russlands wurde verstaatlicht, gleichzeitig lag auch das deutsche Bankwesen lange Zeit am Boden. Bereits Mitte der Zwanzigerjahre näherten sich beide Länder wieder an. 1925 begann die Deutsche Bank mit der Exportfinanzierung von deutschen Gütern in die Sowjetunion. Sie gewährte zusammen mit anderen Banken einen Kredit über 100 Millionen Reichsmark und im Jahr darauf über 300 Millionen. Immer wieder schlossen sich deutsche Banken zu Konsortien zusammen, um größere Kredite aufzulegen. Insgesamt gab es bis 1941 zwölf solcher Konsortien.
Erst Anfang der Siebzigerjahre konnten deutsche Finanzinstitute an diese Tradition anknüpfen, als die Deutsche Bank und die Dresdner Bank den Bau von Pipelines aus der Sowjetunion Richtung Europa finanzierten. Ein vollwertiges Russlandgeschäft war jedoch erst nach der wirtschaftlichen Wende Russlands möglich. So bezifferte 2014 der Bundesverband deutscher Banken die Forderungen der hiesigen Geldinstitute in Russland derzeit auf etwa 17 Milliarden Euro.
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