Zwischen 2007 und 2012 war Elwira Nabiullina Wirtschaftsministerin Russlands und später Beraterin des Präsidenten der Russischen Föderation. Ihr Amt bei der Zentralbank trat sie im Juni 2013 an.
Getty ImagesEs sei kein Job für Feiglinge, schrieben Journalisten, als Elwira Nabiullina vor gut zwei Jahren von Wladimir Putin zur ersten Chefin der Zentralbank des Landes gekürt wurde. Niemand konnte damals ahnen, wie sehr die Worte den Kern der Sache treffen würden. Die letzten zwölf Monate waren die wohl turbulentesten für Russlands Finanzsystem seit mindestens 15 Jahren.
Doch ausgerechnet die russische Zentralbankchefin ist es, die heute Lob von internationale Experten einheimst. Vor wenigen Wochen wurde Elwira Nabiullina vom angesehenen Magazin Euromoney sogar zum „Zentralbankchef des Jahres 2015“ gekürt.
Als die zurückhaltende und als introvertiert geltende Akademikerin vor zwei Jahren ihren Job antrat, zeichneten sich die Probleme des Landes gerade erst ab. Aus heutiger Sicht stellte sich die damalige Lage geradezu rosig dar. Die Exporteinnahmen sprudelten und füllten die Währungsreserven auf, während der Euro-Kurs knapp über der Marke von 40 Rubeln vor sich hin dümpelte. Das Schlimmste, was Beobachter befürchteten, war, dass sich Nabiullina als zu abhängig vom Kreml erweist und die Wirtschaft nach Vorbild der USA und der EU mittels Notenpresse anzukurbeln versucht. Es kam anders. Der Doppelschlag aus Sanktionen und sinkenden Ölpreisen, den die russische Wirtschaft wegstecken musste, machte Nabiullinas Arbeitsplatz zur Intensivstation der russischen Wirtschaft. Für die Zentralbankchefin gab es reichlich Gelegenheiten, Entschlossenheit und Unabhängigkeit zu beweisen.
Die Schocktherapie
Die beste war wohl der 15. Dezember 2014, als im Verlauf des Tages Russlands Währungsmärkte ins Bodenlose stürzten. Der Rubel verlor innerhalb weniger Stunden knapp 15 Prozent an Wert gegenüber Dollar und Euro. So schlimm schnitt die Währung seit dem Staatsbankrott 1998 nicht mehr ab. Am Abend tagten die Währungshüter unter Nabiullinas Leitung bis in die Nacht hinein und tüftelten an einer Lösung. Berichten zufolge plädierten Teile des Teams dafür, Dollar aus den Reserven auf den Markt zu werfen. Doch Nabiullina setzte ihren Kurs durch. Kurz vor ein Uhr ging eine Mitteilung nach draußen, es wareine klare Ansage.
Der Leitzins stieg von 11,5 auf 17 Prozent, auch die Währungsversorgung der Banken mittels sogenannter Rückkaufgeschäfte wurde auf fünf Milliarden Dollar pro Woche verzehnfacht. Später wird Nabiullina sagen, an diesem Abend sei der freie Rubelkurs geboren worden.
Es war eine Schocktherapie, die ihre Wirkung gezeigt hat. Die Journalisten von Euromoney loben die russische Zentralbankchefin heute für ihre „lehrbuchartige Politik“, die eine Anpassung der Wirtschaft erlaubt und eine Bankenkrise abgewendet hat. Die Währungsreserven sind auch heute prall gefüllt, während der Leitzins seit Dezember schrittweise wieder auf elf Prozent zurückgefahren wurde.
In Russland avancierte Nabiullina zum Sündenbock des konservativen Lagers. Die Konservativen hatten über Monate lautstark Kapitalkontrollen, Umtauschzwang für Exporteure und eine radikale Lockerung der Geldpolitik gefordert. Zuletzt rief sogar Russlands Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew die Zentralbank dazu auf, den Leitzins stärker zu senken. Doch Nabiullina ließ sich nicht beirren.
Liberale Schule
Tatsächlich ist Nabiullinas Festhalten an marktwirtschaftlichen Prinzipien keine Überraschung. Schließlich verkörpert sie, ähnlich wie einst Finanzminister Alexej Kudrin, den liberalen Flügel in den hohen Sphären der russischen Macht.
Auch heute, ungeachtet der Kritik vermeintlicher Patrioten, macht sie keinen Hehl aus ihrem Glauben an die Märkte. Eine Rückkehr zum Wachstum werde es ohne Strukturreformen nicht geben, sagte Nabiullina vor einigen Wochen in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung RBC. Die Einnahmen aus Energieexporten und der steigende Konsum seien als Wachstumsmotoren erschöpft und geldpolitische Maßnahmen hätten nur eine kurzfristige Wirkung. Letztlich steht und fällt alles mit dem Investitionsklima, das weiß auch die Währungshüterin.
Wie der Markt funktioniert, hat sie bereits zum Ende der Perestroika in den 1980er-Jahren begriffen. Als junge Frau aus der Region Baschkirien studierte sie Wirtschaftswissenschaften an der Moskauer Lomonossow-Universität. Später arbeitete sie als Spezialistin im damaligen Wissenschaftlich-industriellen Verband, dem Vorgänger des heute größten
Unternehmerverbandes Russlands. Ihre Chefs dort waren Ewgeni Jassin, der spätere Gründer der international angesehenen Moskauer Higher School of Economics, und der kürzlich verstorbene Kacha Bandukidse, der erzliberale Pate der georgischen Wirtschaftsreformen. In einer zu Bandukidses Imperium gehörenden Bank sammelte Nabiullina später ihre ersten Erfahrungen im Finanzsektor. Doch wie ehemalige Kollegen berichten, lag der Akademikerin die ökonomische Analyse auf der Makroebene viel mehr.
Nach der Krise 1998 wechselte Nabiullina in das Team von German Gref, eines weiteren mächtigen Wirtschaftsliberalen in Putins Umfeld. Dort arbeitete sie mit an dem Reformplan, der während Putins erster Amtszeit den Grundstein für Russlands Boom gelegt hat. Gerüchten zufolge war es der spätere Wirtschaftsminster des Landes Gref selbst, der Nabiullina 2007 als seine Nachfolgerin ins Spiel brachte.
Als Wirtschaftsministerin hatte sie bereits während des Beinahe-crashs 2008 Nerven beweisen müssen. Eine Eigenschaft, die sie jetzt wie kaum eine andere braucht.
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