Craft-Bier ist eine neue Leidenschaft der Russen. In den Großstädten eröffnen neue Bars und Pubs mit lokalen Sorten.
Mark BojarskijAus 39 Hähnen fließt in der Moskauer Bar „HopHead“ Bier. Sie tragen Namen wie „Engel Gold“, „Tribute Extra Kasteel Rouge“ oder „Celebration Stout“, und Rustam hinter dem Tresen schenkt die Flüssigkeiten seinen Kunden in spezielle Gläser ein. Manche davon erinnern an Weingläser, und ja, es gibt auch eine „Bierkarte“, in der die rund 500 angebotenen Sorten in Flaschen oder aus dem Fass aufgelistet sind.
Sogenannte „Craft-Biere“ haben Russland erobert. Die Zahl an Bars für Bier-Verkostungen nehmen in Moskau und Sankt Petersburg seit einiger Zeit zu. Das „HopHead“ hat vor etwas über einem Jahr eröffnet, erzählt Manager Rustam, während er ein kleines Glas zum Probieren abfüllt. „Bourgogne des Flandres“: süßlich, leichter Traubengeschmack. Die Biere mit den ausgefallenen Geschmacksrichtungen dürften den Wenigsten bekannt sein. Und genau das macht Craft-Biere aus. Sie werden meist in geringeren Mengen von kleineren Brauereien hergestellt, mit speziellem Blick für Sorten und Rezepte, die sich von denen der Großbrauereien unterscheiden.
Bislang kommen sie überwiegend aus dem Ausland. Sie stammen aus Belgien, Tschechien, Deutschland, Schottland oder England. „In Russ- land ist Craft-Bier erst seit zwei oder drei Jahren populär“, erzählt Kellnerin Xenia. „Allerdings wird russisches Craft-Bier schon seit über fünf Jahren gebraut.“
Eine der ersten Indie-Brauereien in Russland, Vasileostrovskaya, begann bereits 2002 auf der Wassiljewski-Insel im Herzen Sankt Petersburgs als Alternative zum Massenbiermarkt ein ungefiltertes Lagerbier herzustellen. Und es fand seine Abnehmer. 2004 folgten ein dunkles Bier mit Roggenmalz und einer leichten Karamellnote und seitdem viele wei-tere Kreationen: Rotes Bier, Weizen, Kirschbier, Coffee Stout, Bier mit Honig und Gewürzen oder Wacholderbeeren und Orangenschalen.
Trinkfeste Unternehmer
Dennis Salnikow von der Saldens-Brauerei aus Tula erklärt, dass die Hersteller meist wie er Bier-Fanatiker seien und schon mit eigenen Rezepten experimentiert hätten oder aus der Brauerei-Industrie kämen. Er selbst hätte zunächst drei Jahre zu Hause gebraut, bevor er einen Betrieb gefunden habe. Man orientiere sich an englischen, belgischen und deutschen Sorten, heißt es auf der Webseite der Brauerei. Auch die Zutaten stammten teilweise aus diesen Ländern.
Viktor, der das erste Mal Craft-Bier trinkt, muss sich an all die ausgefallenen Geschmacksrichtungen erst noch gewöhnen: „Als
nächstes bitte eines, das normal schmeckt“, lautet seine Bestellung im „HopHead“. Er ist durch Zufall in dieser Bar gelandet, genießt aber die Bier-Auswahl. „Mal etwas anderes“, sagt er.
Hinter den ausgefallenen Biersorten, deren Vielfalt manchen Besucher überfordert, stehen nicht selten unternehmerische Erfolgsgeschichten. Wie etwa beim Bier der Marke AF. Die Gründer Nikita Filippow, Dmitrij Buldakow
und Artjom Koltschukow aus Sankt Petersburg brauten im Sommer 2012 ihr erstes eigenes Bier. Auf den Geschmack gekommen waren sie bei gemeinsamen Geschäftsreisen im Ausland. Die beiden Buchstaben stehen für Anti-Factory – denn in großen Fabriken werden ihre Getränke nicht hergestellt. Sie vergeben
stattdessen Aufträge an ausgewählte kleine Brauereien.
Nach drei Jahren stellen sie nun eigenen Angaben zufolge 20 000 Liter her. Am Anfang hätten viele Klinken geputzt werden müssen, erzählten sie der russischen Wirtschaftszeitung „Wedomosti“. Sie seien ganz klassisch zu Bars und Restaurants gegangen und hätten dort ihre Biere angeboten. Mittlerweile werden ihre Produkte in rund 100 Lokalen undLäden verkauft. Das Geschäft geht recht gut – vor allem in den Bier-Bars, die etwa ein Drittel des Umsatzes generieren: mittlerweile etwa fünf Millionen Rubel (etwa 750 000 Euro) im Monat. Das Geschäft läuft. Noch.
Am Hahn wird leise gedreht
Im Moskauer „HopHead“ is wieder ein Fass leer. Es gibt Nachschub. Eine Selbstverständlichkeit, so scheint es. Doch für die Bier-Liebhaber in Russland könnte es in Zukunft zumindest schwieriger und teurer werden, an besonders ausgefallene Biere zu kommen. Denn die Krise und auch die Politik drohen der Craft-Revolution den Wind aus den Segeln zu nehmen.
An die ausländischen Sorten kom-me man derzeit nicht immer, sagt Rustam bedauernd. Etwa 100 amerikanische und englische Biere seien schlicht nicht geliefert worden. Deutsche Biere seien aber nicht betroffen. Den russischen Klein-Brauereien hingegen wird eine Gesetzesnovelle zur Gefahr.
Denn das föderale Gesetz „171“ will die Produktion und das Geschäft mit Alkohol künftig stärker kontrollieren. Eine Software namens „Egais“ sammelt Informationen über Hersteller, Lizenz, Abfülldatum und weitere Angaben zu jeder Flasche Alkohol. So soll der Handel mit illegalem Alkohol eingedämmt und der Verkauf, die Produktion und der Import besser reguliert werden. Für die Kunden bedeutet das mehr Transparenz: Anhand eines QR-Codes auf dem Kassenzettel wird die Herkunft ihres Alkohols nachvollziehbar.
Bislang waren Klein-Brauereien (weniger als drei Millionen Liter im Jahr) von den Auflagen befreit. Mit dem neuen Gesetz unterliegen sie jedoch ab dem 1. Januar 2016 ebenfalls der Überwachung durch „Egais“. In großen Betrieben werden die nötigen Informationen über automatisierte Zähler an die Behörden weitergeleitet. Wie das in den Craft-Bier-Brauereien gehen soll, ist unklar. Es muss wohl per Hand dokumentiert werden. Der Verband für kleinere und mittlere Unternehmen in Russland, Opora Rossii, schätzt die Kosten für die Installation von „Egais“ auf durchschnittlich rund eine Million Rubel (rund 14 000 Euro) pro Unternehmen.
Für die kleinen Craft-Brauer ist das ein schwerer Schlag, schließlich fehlt ihnen oft das Geld. Laut der russischen Alkoholaufsichtsbehörde machen kleine Brauereien rund zehn Prozent des Brauereimarktes aus. Offiziell gibt es rund 650 Betriebe. Viele der Craft-Brauereien arbeiteten jedoch in der Schattenwirtschaft und deklarierten statt den tatsächlichenTonnen nur wenige Liter, bemerkt Michail Koslow, der Eigentümer der Craft-Bier-Bar „2X12“. Ab dem 1. Januar ist daher wohl mit zunehmenden Kontrollen der Behörden bei den Bier-Handwerkern zu rechnen. Verstöße sollen mit bis zu 3 000 Euro bestraft werden. Dann sind die russischen Hähne im „HopHead“ vielleicht zu.
Simon Schütt ist Chefredakteur von Ostexperte.de, einem Blog für das Russlandgeschäft.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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