Droht Russland ein „Brain Drain“?

Beinahe die Hälfte aller Fachleute möchte mittelfristig ins Ausland.

Beinahe die Hälfte aller Fachleute möchte mittelfristig ins Ausland.

Ingimage / Vostock-photo
Laut einer aktuellen Umfrage zieht es immer mehr russische Manager ins Ausland. Dort sehen sie bessere Perspektiven für ihre unternehmerische und private Zukunft. Gleichzeitig zieht es zudem immer weniger Fachleute aus dem Ausland nach Russland. Noch geben sich Experten aber relativ gelassen.

Beinahe jeder sechste russische Top-Manager plant, in den nächsten zwei Jahren in ein anderes Land auszuwandern. Noch mehr Top-Manager, immerhin 42 Prozent, haben im Prinzip vor, zu emigrieren. Das fand die russische Personalvermittlungsfirma Agentswo Kontakt heraus. Im Mai 2016 befragte sie 467 Top-Manager russischer und ausländischer Unternehmen. Im Ausland lebende Russen wurden dabei nicht berücksichtigt.

„Der Wunsch der Top-Manager, eine neue Herausforderung zu suchen, könnte zum Trend der nächsten Jahre werden“, glaubt die Direktorin für Geschäftsentwicklung bei Agentswo Kontakt Anastasia Stasjewa. „Insbesondere Manager aus dem Hightech-Bereich bemängeln, dass die bürokratischen Hürden für die Entwicklung eines solchen Unternehmens im Ausland deutlich geringer seien als in Russland.“ Außerdem ließen sich in den USA und Europa wesentlich leichter Investoren finden. Diese seien viel eher bereit, in risikoreiche Projekte zu investieren, um keine Möglichkeit zu verschenken. „In Russland hingegen folgen Investoren eher dem Ansatz, besser nicht zu investieren, um jedes Risiko zu vermeiden“, erzählt die Expertin.

Ein weiterer entscheidender Faktor sei die Lebensqualität. Top-Manager verfügten über jene Fähigkeiten, die als Voraussetzung für eine erfolgreiche Verlagerung des Lebensmittelpunktes gelten: eine Arbeit zu finden oder ein eigenes Unternehmen aufzubauen, erklärt Stasjewa.

Die USA sind das beliebteste Ziel

Einer der Top-Manager, der sich an der Umfrage beteiligte, schilderte bei „RBC“ die Gründe für einen baldigen Umzug. Entscheidend sei vor allem die stabilere Gesetzesgrundlage gewesen. „Die Gesetzgebung ist transparenter und ändert sich nicht so dynamisch wie bei uns. Was sich unsere Regierung ausdenkt, aber auch die Entscheidungen, die auf kommunaler Ebene getroffen werden, schaden der Geschäftstätigkeit mehr als alle Sanktionen der Europäischen Union, der USA und aller anderen.“ Der zweite Grund sei die soziale Sicherheit. „Bei uns weiß niemand, was aus den Renten wird. Für Kinder ist es ein hochturbulentes Umfeld“, fährt der Top-Manager fort. Es gebe aber auch einen persönlichen Grund: Seine Kinder hätten sich bereits für den Umzug in ein anderes Land entschieden.

Rund die Hälfte derer, die mit dem Gedanken spielen, langfristig zu emigrieren, möchte dort für ein anderes Unternehmen arbeiten. Die drei beliebtesten Länder für einen möglichen Umzug sind die USA (von 22 Prozent der Befragten genannt), Deutschland (17 Prozent) und Großbritannien (elf Prozent).​ 

„Der weltweite Arbeitsmarkt ist angespannt“

„Viele unserer Top-Kandidaten haben eine Arbeit in Europa oder in Dubai gefunden – in angesagten Unternehmen oder Vertretungen ihres aktuellen Arbeitgebers im Ausland. Ihre Arbeitsverträge basieren auf der entsprechenden ausländischen Währung. Deshalb ist es für sie dort gegenwärtig vorteilhafter, als in Russland zu arbeiten“, erzählt Viktoria Fillipowa, Partnerin des Personalunternehmens Cornerstone. Allerdings sei der Weggang von Top-Managern ins Ausland bisher kein Massenphänomen, sagt sie. Es sei falsch, anzunehmen, dass im Ausland für russische Fachleute alle Türen offen stünden. „Leider ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt in der ganzen Welt auch weiterhin angespannt“, erklärt Fillipowa.

Das betrifft auch ausländische Fachleute, die in Russland arbeiten: Seit 2014 nimmt ihre Zahl kontinuierlich ab. Nach Angaben des analytischen Informationsblattes „2014-2015: Wirtschaftskrise – Soziale Dimensionen“ der Akademie für Volkswirtschaft und Öffentliche Verwaltung ist die Zahl der Arbeitsgenehmigungen für hochqualifizierte Fachleute aus sämtlichen Ländern der Europäischen Union in den ersten neun Monaten des Jahres 2015 um 57 Prozent gegenüber 2013 zurückgegangen. Für Experten aus Deutschland sank die Zahl der Genehmigungen um 58 Prozent, für solche aus Großbritannien um 68 Prozent und für Fachleute aus den USA um 50 ​Prozent.

Dieser Beitrag erschien zuesrt bei RBC Daily

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