Die Regierung setzt in der Landwirtschaft auf Agrarriesen.
Fedor Larin/TASSEine Kolonne aus 17 Traktoren setzte am Sonntag zur Fahrt von der südrussischen Staniza Kasanskaja Richtung Kreml an. Das Ziel: Wladimir Putin treffen und sich bei ihm im Namen aller Landwirte über die Korruption und Enteignungen beschweren, die in der Region Krasnodar an der Tagesordnung sind.
Eigentlich beabsichtigten die protestierenden Kleinbauern, die gesamten 1 500 Kilometer bis zur russischen Hauptstadt zurückzulegen. Doch bereits nach 300 Kilometer wurden sie von Polizeikräften gestoppt. Die Bauern halten sich nun in einem Hotel in der Stadt Rostow am Don auf. Dem Gouverneur der Region Krasnodar Weniamin Kondratjew, den die Landwirte eigentlich nicht treffen wollten, schlugen sie vor, zu einem Gespräch nach Rostow am Don zu kommen.
Die Bauern bezichtigen die Großkonzerne in Kuban der Enteignung: Sie beschlagnahmten Grundstücke der Landwirte und bestachen Richter, so die Vorwürfe. „Man konfisziert die Grundstücke samt Ernte, und keiner weiß sich zu helfen. Die regionale Verwaltung kümmert sich gar nicht um unsere Probleme, obwohl sogar eine Arbeitsgruppe gegründet wurde“, klagte einer der Organisatoren des Konvois, Alexej Woltschenko, gegenüber der Zeitung „Kawkaskij Usel“.
Die Verwaltung Krasnodars wiegelt ab: Die Protestierenden übertrieben, es werde genug für die Verteidigung der Interessen von Landwirten getan. Wjatscheslaw Lechkoduch, Vertreter des Gouverneurs und Beauftragter für die Zusammenarbeit mit Kleinbauern, erklärte, die Landwirte seien selbst für ihre Probleme verantwortlich, weil sie sich nicht an juristische Vorschriften hielten.
Und doch zeigt der Traktorenkonvoi das Ausmaß der Verzweiflung der kleinen Lebensmittelproduzenten, wie Mark Gojchman, Analyst der Unternehmensgruppe TeleTrade bemerkt. Die Probleme der Bauern seien sehr typisch für Russland: Kleine Unternehmen bildeten eine ungeschützte Gruppe im landwirtschaftlichen Sektor. Die Regierung habe schon immer auf Agrarriesen gesetzt, betont der Experte.
So sind es vor allem Getreideproduzenten, die im Agrarsektor den Erfolg verbuchen: Russland ist der zweitgrößte Getreideexporteur weltweit. Diese Nische besetzen aber nur Großkonzerne. „Deswegen richtet sich die ganze Politik an den Interessen der Agrarriesen aus, was natürlich ständig für Konflikte und Probleme mit der Verpachtung oder dem Zugang zur Infrastruktur sorgt“, erklärt Sergej Chestanow, Berater im Bereich Volkswirtschaft beim Unternehmen Otkrytije Broker.Dieser Prozess sorge folgerichtig für eine starke Konsolidierung in der Landwirtschaft, fährt Chestanow fort: Große Konzerne erzielten mehr Gewinne und würden so noch größer. Landwirte und besonders Kleinbauern gingen dabei insolvent und müssten ihren Platz auf dem Markt räumen. Diese Lage verursache Spannungen und Proteste in ländlichen Gebieten.
Walerij Solowej, Professor am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen, sieht in den Protesten von Bürgern, die der Regionalverwaltung nicht mehr trauen und sich direkt an den Präsidenten wenden, eine typische Erscheinung in Russland. „Das ist ein Protest auf Knien“, sagt er. Um eine größere Aufmerksamkeit für die Situation der Bauern zu verhindern, habe die Verwaltung die Traktorenkolonne gestoppt, erklärt Solowej. Sonst hätten sich andere Landwirte aus ganz Russland ihren Kollegen angeschlossen.
Doch klug ist das nicht, warnt der Experte: Vor den Duma-Wahlen am 18. September wäre es für die Regionalverwaltung sinnvoll, einigen Forderungen der Protestierenden nachzukommen, damit die Gemüter sich beruhigen. „Man kann ja mal was zurückgeben, was enteignet wurde, und jemanden vors Gericht ziehen. Für die Regierung ist es von außerordentlicher Bedeutung, gerade jetzt vor den Wahlen Ruhe zu gewährleisten“ mahnt Solowej. So genüge es beispielsweise, „allen alles und gleichzeitig“ zu versprechen. Ändern werde sich dadurch freilich nichts: Der Staat werde wie früher weiter nur Großkonzerne unterstützen. Da sei der Experte sich sicher.
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