Russland führt Essensmarken ein: Ist die Mangelwirtschaft zurück?

Schon wieder Essensmarken?! Bei manch einem weckt die Vorstellung Erinnerungen an ewig lange Schlangen und leere Ladenregale in der Sowjetunion. Hat sich Russlands Lage derart verschlechtert? Keine Sorge: Was sich hinter den heutigen „Essensmarken“ verbirgt, ist in Wirklichkeit ein Konjunkturprogramm des russischen Industrie- und Handelsministeriums.

In an dem Programm teilnehmenden Supermärkten kann dann mit der Geldkarte "Mir" eingekauft werden. / Vladimir Astapkovich/RIA NovostiIn an dem Programm teilnehmenden Supermärkten kann dann mit der Geldkarte "Mir" eingekauft werden. / Vladimir Astapkovich/RIA Novosti

Ältere Russen haben Lebensmittelmarken noch in Erinnerung, aber sicherlich in keiner guten: In der Sowjetunion wurden Konsummarken verwendet, um Defizitwaren, also knappe Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs, zu rationieren. Die Marken regelten genau, wieviel ein Einwohner im Monat verbrauchen durfte. Am verbreitetsten war das System in der Vorkriegszeit, während des Krieges und dann Ende der 1980er Jahre, als selbst Pflanzenöl und Graupen aus den Ladenregalen verschwanden.

Jetzt will das russische Industrie- und Handelsministerium wieder ein Essensmarkenprogramm auflegen. Demnach sollen finanzschwache Bürger Lebensmittel bekommen, die vom Staat bezahlt werden. Dass der Begriff „Essensmarke“ geschichtlich vorbelastet ist, weiß das russische Ministerium natürlich auch und will die neue Maßnahme deshalb anders nennen: „Konsumförderungsprogramm“ soll es heißen.

Es gehe dabei um „eine zeitgemäße, zielgerichtete Lebensmittelhilfe für die Bevölkerung und die Förderung effektiver nationaler Lebensmittelhersteller“, erklärte der Vizeminister Wiktor Jewtuchow und appellierte, in den Begriff „Lebensmittelmarken“ nichts „hineinzuinterpretieren“.

2018 soll das Programm starten, 2019 dann in vollem Umfang implementiert sein. Bedürftige Bürger sollen unterstützt und die Nachfrage nach russischen Lebensmitteln gefördert werden. Finanziert wird das Programm aus dem föderalen Haushalt. Bis zu 4,7 Milliarden Euro könnte es nach Einschätzung des Industrie- und Handelsministers Denis Manturow kosten.

 

Wer kann es nutzen?

„Experten zufolge werden das Programm bis zu 20 Millionen Menschen, deren Einkommen unterhalb des staatlich festgelegten Existenzminimums liegt, in Anspruch nehmen können“, sagt der Agrarexperte und Wirtschaftswissenschaftler Leonid Cholod. Das durchschnittliche Existenzminimum beträgt in Russland derzeit 173 Euro im Monat. Die staatliche Beihilfe würde sich auf monatlich acht bis 16 Euro pro Kopf belaufen. „Dafür kann man beispielsweise sechs Kilogramm Geflügel kaufen. Eine gute Hilfe“, findet Alexander Korbut, Vizepräsident der Russischen Getreideunion, im Gespräch mit RBTH.

Übrigens: Ein ähnliches Programm läuft in den USA schon seit Jahren. Bedürftige US-Bürger erhalten Chipkarten, die der Staat monatlich „auflädt“. Ein Einwohner bekommt durchschnittlich 113 US-Dollar im Monat, eine Familie 255 US-Dollar. Rund 50 Millionen Amerikaner nehmen die staatliche Beihilfe in Anspruch.

Wie soll das System funktionieren?

Zugeteilt wird die Beihilfe über die russischen Bankkarten „Mir“. Der Staat überweist darauf monatlich geldwerte Punkte. Je niedriger das Haushaltseinkommen desto höher die Unterstützung.

Mit den Karten könne dann in allen teilnehmenden Supermärkten bezahlt werden, erklärte das Ministerium. Auf Empfehlung des russischen Gesundheitsministeriums wurde eine Liste geförderter Lebensmittel erstellt. Auf ihr stehen: Graupen, Nudeln, Kartoffeln, Obst, Gemüse, Zucker, Pflanzenöl, Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Eier. Der Erwerb von Alkohol und Tabakwaren ist ausgeschlossen.

Wer profitiert davon?

Sobald das Programm in vollem Umfang läuft – 2019 soll es soweit sein –, werde jeder investierte Rubel zwei Rubel an zusätzlichem Wirtschaftswachstum erzeugen, rechnet das Industrie- und Handelsministerium vor.

Damit ist dies also eine Förderungsmaßnahme für russische Landwirte. „Auch wenn das Programm ausschließlich russische Erzeugnisse umfasst: Lebensmittel, die aus importierten Zutaten in Russland hergestellt wurden, sind auch russisch“, erklärt Cholod.

Auch Korbut ist optimistisch: „Der Binnenmarkt ist derzeit durch unsere Lebensmittel gesättigt, Reserven gibt es genug“, betont er. Dass nur russische Hersteller am Programm teilnehmen dürfen, sei auch nicht weiter schlimm. Denn „vom freiwerdenden Geld können die Menschen dann andere Produkte kaufen, auch Importware“.

Der Experte schließt mit einer weiteren Anmerkung: Das „Konsumförderungsprogramm“ unterstütze die Landwirtschaft nur indirekt und verstoße deshalb nicht gegen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO, deren Mitglied Russland ist.

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