Fünf Tipps, mit denen Sie sich besser in den russischen Arbeitsalltag eingliedern

Natalya Nosova
Wenn Sie denken, dass Sie in Russland bei der Arbeit mit unfreundlichen Kollegen im Büro sitzen, viele Aufgaben erledigen müssen und ständig vom Chef angeschrien werden, können Sie beruhigt sein. Die Wirklichkeit ist bei Weitem nicht so schlimm.

Die weit verbreitete Darstellung von Russen in westlichen Filmen und Fernsehshows als Bösewichte, Kriminelle oder Spione impliziert, dass die Interaktion mit Russen meist eine schlechte, wenn nicht lebensbedrohliche Idee ist. Doch für viele Ausländer, die mehrere Jahre im Land gearbeitet haben und dort weiterhin leben, finden diese Gedanken seltsam. Laut ihnen braucht man als Ausländer nur eine Handvoll Tipps, um sich nahtlos in ein russisches Arbeitsumfeld einzufügen.

1 Seien Sie selbstbewusst

Wenn Sie einem neuen Team, besonders in einem fremden Land, beitreten, sollten Sie versuchen, einen guten Eindruck zu machen und selbstsicher zu sein. In Russland ist das besonders wichtig, sagt Francesca Loche, Professorin an der italienischen Hochschule für Wirtschaft in Cagliari.

„Ich habe an Arbeitsplätzen (in Russland) gearbeitet, für die ich nicht wirklich das richtige Fachwissen hatte und trotzdem haben sie mir eine Chance gegeben. Das mag ich sehr. In Russland ist alles möglich, niemand sagt ‚nein‘ zu dir“, erklärt sie Russia Beyond.

2 Seien Sie bereit, sich mit Ihren Kollegen und Führungskräften anzufreunden

In Russland ist der Aufbau einer guten Beziehung zu den Führungskräften und anderen Teammitgliedern sehr wichtig, sagt Kendrick White, der Gründer und Generaldirektor der auf Russland ausgerichteten Investmentberatung Marchmont Capital Partners, der seit über 25 Jahren dort lebt. „Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten, wo man oftmals zwischen den Arbeitskollegen keine enge soziale Interaktion sieht, ist sie in Russland als vertrauenstärkender Mechanismus wichtig“, erläutert er.

Das gilt laut White besonders für die Interaktion zwischen Unternehmern und ihren Partnern sowie den Leuten, die in staatlichen Unternehmen arbeiten, insbesondere bei den Top-Führungskräften. „Die Arbeitskultur in internationalen Unternehmen folgt für gewöhnlich ihren eigenen Regeln, aber in anderen Bereichen gelten soziale Bindungen als äußerst wichtig. Dort sollte man sich zu einem wesentlichen Teil des Teams machen und zeigen, dass man ein einzigartiges Wissen hat, das für das Unternehmen von entscheidender Bedeutung ist (egal, ob es sich um ein staatliches oder ein privates Unternehmen handelt)“, so White. „Man muss gelegentlich nette Geschenke kaufen und mit in die Banja gehen, um eine enge Verbindung zu den Kollegen aufzubauen und dafür zu sorgen, dass man als vertrauenswürdiges Mitglied eines Teams wahrgenommen wird.“

3 Erwarten Sie nicht, dass die Russen Sie hassen

Russen sind gegenüber Ausländern sehr offen, vor allem denjenigen, die ihre Sprache sprechen und aus der ganzen Welt nach Russland kommen, um ihre individuellen Kenntnisse mit ihnen zu teilen. Auch Sprache ist laut White ein wichtiger Faktor. „Während es viele Russen gibt, die Englisch sprechen, werden Sie irgendwann auf Kollegen in Ihrem Unternehmen treffen, die das nicht tun und mit denen Sie dann keine Gelegenheit haben werden, eine Beziehung aufzubauen, was wichtig wäre“, meint er. „Deshalb kann es hilfreich sein, Russisch sprechen zu können.“

4 Achten Sie auf die Hierarchie

Eine andere Sache, der Sie wahrscheinlich begegnen werden, ist eine gewisse Distanz, die die Führungskräfte zu ihren Mitarbeitern haben. Hugh McEnaney, Lehrer, Synchronsprecher und Autor aus Irland, lebt mit seiner Familie in Moskau und arbeitet an zwei örtlichen Schulen. Er sagt, dass er sich jeden Tag über diese Hierarchie wundert.

„Ein Treffen mit den Direktoren oder gar ihre direkte Beteiligung am Unterricht und am allgemeinen Fortschritt eines Lehrers zu erwirken ist eine Qual und erfordert ein „Ausrollen des roten Teppichs“. Ich erinnere mich an die Arbeit in Supermärkten und Banken in Irland in den 80er Jahren, da war der Vorgang ähnlich und viele Manager arbeiteten hinter ‚verschlossenen Türen‘“, sagt er.

An der englischen Schule, in der McEnaney seinem Job nachgeht, ist die Hierarchie weniger sichtbar. Wie in vielen Medien und IT-Unternehmen gibt es eine offene Struktur, die einen einfachen direkten Zugang zu den Abteilungsleitern ermöglicht. Dennoch gibt es in der russischen Bürokultur nach wie vor Grenzen und einen gewissen Konservatismus, finden andere Ausländer.

Ajay Kamalakaran, ein indischer Journalist, der für russische Medien gearbeitet hat, meint, dass die russischen Führungskräfte sehr professionell sind und Abstand halten. „Während sie höflich und zuvorkommend auftreten, halten sie persönliche Fragen auf ein Minimum beschränkt. Ich persönlich mag die Grenzen, die sie vorgeben“, sagt er.

„Russische Manager sind fair, vielseitig und direkt“, teilt ein anderer Profi aus Irland, Breffny Morgan, der bei der russischen Sberbank als Lektor arbeitet, mit. „Konservatismus wird bewundert, damit meine ich den Respekt für Institutionen, Präzedenzfälle und die Rechtsstaatlichkeit.“

Eine wichtige Folge, die sich aus der hierarchischen Natur vieler russischer Unternehmen ergibt, ist, dass man sich manchmal darauf gefasst machen muss, dass der Chef die volle Anerkennung für die Arbeit erhält, fügt White hinzu. „Hier ist das System eher vertikal, als horizontal ausgelegt, daher sind es in der Regel die leitenden Angestellten, die die Früchte der Arbeit ihrer Mitarbeiter genießen“, erklärt er. „Dennoch wird man die erzielten Ergebnisse zu schätzen wissen und Sie als aktives Teammitglied schätzen.“

5 Arbeiten Sie hart... aber nicht zu viel

Das Leben in Russlands Großstädten wie Moskau und Sankt Petersburg ist geschäftig. Auswanderer, die hierher kommen, können das nur bestätigen. „In Moskau arbeiten die Leute hart und nahezu ohne Pause“, sagt Loche. „Sie schauen auf diejenigen, die etwas Freizeit haben, mit Verachtung hinab: Denn nach ihnen sollte man sie nicht haben oder jede freie Minute, die man hat, sofort mit einer Beschäftigung füllen.“  

Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass alle leitenden Angestellten dazu neigen, Forderungen zu stellen. Laut Kamalakaran sind einige sehr verständnisvoll und erwarten nicht, dass man sich von morgens bis abends auf der Arbeit aufhält.

„Ich hatte wirklich das Glück, russische Chefs zu haben, die nicht zu anspruchsvoll waren. Ich denke, dass das auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass es in Ländern wie den Vereinigten Staaten und Indien viel mehr Konkurrenz gibt. Die russischen Bosse, mit denen ich gearbeitet habe, haben sich für das Prinzip der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben eingesetzt und mir sogar gesagt, dass ich nicht so hart arbeiten darf“, sagt er. „Das war immer ein Schock für jemanden wie mich, der an japanische, indische und amerikanische Chefs gewöhnt ist, die nie auch nur die geringste Zufriedenheit ausdrückten, egal wie gut meine Leistungen waren.“

Was hier bewertet wird, sind die Ergebnisse, sagt er und merkt an, dass die Leistung für sich sprechen sollte. „Versprechen Sie im Grunde genommen zu wenig und leisten Sie zu viel. Versuchen Sie, mehr zu tun, als von Ihnen erwartet wird, und beobachten Sie, wie sich das auf Ihre berufliche Beziehung und Ihre Karriereaussichten auswirkt“, empfiehlt er.

Morgan stimmt diesem Punkt zu. „Wie überall wird harte Arbeit belohnt und Ergebnisse bestimmen die Position.“

Mit Russen zu arbeiten ist also nie langweilig. Im folgenden Artikel erzählen Ausländer weitere Geschichten, zum Beispiel die seltsame Angewohnheit der russischen Kollegen, zu spät zu den Versammlungen zu kommen oder Süßigkeiten ins Büro mitzubringen.

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