Kämpfen mit künstlicher Intelligenz: Kriegsroboter unter russischer Flagge

Wie ein Bienenschwarm schwirrt ein Drohnenverband durch die Luft und klärt die Lage auf – ein Einsatz, der heute niemanden mehr überrascht. Aber selbstständig Ziele finden und bekämpfen, das ist für die Fluggeräte noch Zukunftsvision. Russische Raketen sind da schon deutlich weiter: Sie bezwingen den Gegner durch Scharfsinn.

/ Dmitry Rogulin/TASS/ Dmitry Rogulin/TASS

Künftig sollen sie Hubschrauber, Flugzeuge und Raketen des Gegners ins Visier nehmen und vernichten können. Bis dahin aber müssen Drohnen lernen, ihr Verhalten im Verband aufeinander abzustimmen. Denn kampfstark sind Drohnen vor allem gemeinsam, durch Schwarmintelligenz.

Das Prinzip hört sich einfach an: Durch Sensoren und spezielle Programme kommuniziert jede Drohne mit ihren „Artgenossen“ im Schwarm. Sie teilen Aufgaben untereinander auf und tauschen Daten aus. Jede Drohne hat ihren Überwachungsbereich und ihre eigene Perspektive. Werden diese zusammengeführt, entstehen zum Beispiel 3D-Bilder von einem überflogenen Gelände.

„Mit der derzeit entwickelten Software ist es möglich, eine Gruppe von bis zu sechs Drohnen gleichzeitig zu steuern“, sagt Alexander Motschalkin, Chef des Softwareentwicklers Network-Centric, der sich auf Koordinierungssoftware für Drohnenschwärme spezialisiert hat.

Niemand lässt die Drohnen in diesem Entwicklungsstadium alleine auf militärische Ziele los: Menschen müssen sie kontrollieren und per Fernbedienung nachsteuern. „Das System ist also teilautomatisiert, ohne das Eingreifen eines Operators kann es keine Aufgaben lösen“, sagt der Softwarespezialist.

Wann man auf den Menschen wird verzichten können, kann Motschalkin noch nicht sagen: „Wenn die Aufgabe der Selbstorganisation der Maschinen inzwischen auch gelöst ist: Dass sie selbstständig Entscheidungen unter unvorhergesehenen Einflüssen treffen, konnte bislang nicht erreicht werden“, sagt er.

Drohnen-Start bei Militärübungen im südrussischen Stawropol. / Sergei Savostyanov/TASSDrohnen-Start bei Militärübungen im südrussischen Stawropol. / Sergei Savostyanov/TASS

Smarte Raketenschwärme

Bei strategischen Kernwaffen und Antischiffsraketen setzen russische Wissenschaftler künstliche Intelligenz schon seit den 1970er-Jahren ein.

„Granit“ ist so ein Flugkörper – eine Geheimwaffe der russischen Flotte, die bei der Nato nicht ohne Grund den Codenamen „Shipwreck“ erhalten hat, zu Deutsch: „Schiffbruch“. Diese Rakete ist das erste Waffensystem mit nahezu menschlicher Intelligenz. Sie ist der Albtraum von Flugzeugträgern, ihrer Geschwindigkeit, Schlagkraft und Unberechenbarkeit wegen. Bewaffnet sind damit die russischen Raketenkreuzer der Orlan-Klasse und die Jagd-U-Boote der Antej-Klasse.

„Die Besonderheit der Zielführung dieser Rakete: In ihrem Bordcomputer sind elektronische und physische Abbildungen ausländischer Kampfschiffe gespeichert“, erklärt Wladimir Poljatschenko. Er ist Firmenhistoriker jenes Raketenbauers, der die Granit-Rakete entwickelte. Der Bordcomputer kenne nicht nur die Schiffsausmaße und -silhouetten, sondern auch deren Kraftfelder – elektromagnetische Spannungen zum Beispiel, die nur einem bestimmten Schiffstyp eigen sind.

„Außerdem verfügt der Flugkörper über taktische Daten zur Marschordnung der Schiffe und kann fehlerfrei erkennen, womit er es zu tun hat: mit einem Konvoi oder einem Flugzeugträgerverband. So kann er dann die Hauptziele identifizieren und angreifen“, erklärt Poljatschenko weiter.

Kreuzer und U-Boote der russischen Marine sind mit je 24 Schächten für Granit-Raketen ausgestattet. Abgefeuert werden sie in Salven. Jener Flugkörper, der als erster startet, wartet auf die anderen: „Sobald alle Raketen in der Luft sind, bilden sie einen Kampfverband und gehen zum Angriff über. Nur eine Rakete kennt das Ziel. Sie tauscht die Daten über Art und Lage des Ziels mit den anderen Raketen aus, bestimmt die Taktik und verteilt die Rollen: Wer fliegt ins Ziel, wer opfert sich, um die gegnerische Raketenabwehr auszustechen. Danach beginnt der eigentliche Angriff“, erklärt der Experte. „Ist das Hauptziel getroffen, werden die Aufgaben neu verteilt. Dann vernichten die Raketen weitere Ziele, je nach Relevanz.“

Einem Granit-Schwarm zu entkommen, ist unmöglich. Die Raketen fliegen mit Hyperschallgeschwindigkeit, wechseln permanent die Position und sind für heutige Radarsysteme praktisch unsichtbar. Entdecken kann man sie nur mit dem bloßen Auge – dann, wenn es für Gegenmaßnahmen definitiv zu spät ist.

Granit 2.0

Die neue Oniks-Rakete ist kleiner als ihr Vorgänger, hat aber die künstliche Intelligenz der Granit geerbt. Die russische Marine stellt die neue Waffe derzeit in Dienst.

Dafür werden Raketenkreuzer und Jagd-U-Boote modernisiert: Jeder der 24 Schächte fasst dann drei Oniks-Marschflugkörper, insgesamt also 72 Hyperschallraketen pro Schiff. Der erste Raketenkreuzer der Orlan-Klasse, die „Admiral Nachimow“, wird bereits auf der Werft in Sewerodwinsk umgerüstet; das erste U-Boot der Antej-Klasse liegt im Fernen Osten schon im Dock.

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