Es ist eine massive, landesweite Feier: Russen feiern jedes Jahr am 1. September den Wissenstag. Alle Erstklässler und Rückkehrer marschieren durch alle Ecken jeder russischen Stadt, direkt in ihre Schulen. Dort findet eine feierliche Zeremonie statt, die weithin als die erste Glocke bezeichnet wird: Schüler singen und tanzen und Lehrer geben inspirierende Reden, all dies in Anwesenheit der Eltern und einer Fülle an Blumen, die die Schüler ihren Lehrern überreichen. Diese sowjetische Tradition soll die Schüler für das kommende Jahr begeistern und wird oft im Fernsehen übertragen.
Obwohl im modernen Russland offiziell seit dem Jahr 1994 die Schuluniformen nicht mehr Pflicht sind, besteht die lange Tradition bis heute. Die meisten Schulen geben immer noch vor, wie die Schüler in ihren Klassen zu erscheinen haben. Weißes Hemd und dunkle Hosen oder ein Rock sind eine unausgesprochene Vorschrift. Sowjetische Kleider und Schürzen werden weiterhin oft während der Zeremonie der letzten Glocke und bei Schulabschlüssen getragen - moderne Absolventen folgen immer noch der von ihren Eltern festgelegten Tradition.
Sobald eine Klasse einmal zusammengestellt wurde, gibt es selten Änderungen. Russische Schüler springen während ihrer gesamten Studienzeit nicht von der Grundschule in die Mittel- und Oberstufe. Natürlich können neue Schüler hinzukommen und jemand kann eine Klasse verlassen, aber der Kern einer Klasse bleibt über die Jahre intakt. Diese Praxis mag zwar zu weniger Sozialisierung führen, aber es sichert tiefere Bindungen unter Klassenkameraden und garantiert eine epische Feier beim Wiedersehen nach dem Schulabschluss.
Diese Grundlage des sowjetischen Bildungssystems löst sich zwar allmählich auf, da immer mehr russische Schulen auf Online-Noten umsteigen, doch das ganze System hat noch einen langen Weg vor sich. Während ein amerikanischer Gymnasiast gestresst wäre, wenn ein Lehrer vor seinen Klassenkameraden öffentlich seine Noten bekannt geben würde, sind Russen an diese Vorgehensweise gewöhnt. Fragen Sie irgendeinen Schüler, wer aus seiner Klasse in Mathe schlecht ist und er wird Ihnen einen Namen geben können.
In Russland treibt das Schulsystem eine ganz andere Philosophie an. Hier versuchen die Lehrer ihr Bestes, um so viel Wissen wie möglich zu vermitteln, ohne dass ihre Schüler einen gesundheitlichen Schaden davontragen. Kein Student kann sich aussuchen, ob er ein paar zusätzliche Punkte in Chemie oder Musik verdienen möchte. In Russland gibt das Bildungsministerium den Ton an: Schulen erhalten feste Programme, denen sie gehorsam folgen sollen.
Kenntnisse in Schreibschrift sind an jeder Schule in Russland obligatorisch. Diejenigen, die einen Abschluss an russischen Schulen haben, finden schnell heraus, dass Generationen von amerikanischen Absolventen an Schulen nicht lernen, wie man in Schreibschrift schreibt. Es ist jedoch ein Muss in Russland, das nicht infrage gestellt wird.
Russen sind verblüfft, wenn sie die ungewohnte Abkürzung GPA hören. Dies steht für „grade point average“ und somit für einen Notendurschnitt, den ein Schüler erreicht hat. In Russland berechnen die Schüler diesen normalerweise nicht. Sie fallen stattdessen in eine von vier Kategorien: dwoetschniki (durchfallende Studenten), troetschniki (Studenten mit befriedigenden Noten), horoschyjsty (gute Studenten) oder otlitschniki (Studenten mit ausgezeichneten Leistungen). In einer Methode, die von vielen Studenten als ungerecht empfunden wird, wird die Kategorie durch die niedrigste Note, die ein Student jedes Semester bekommt, festgelegt. Wenn ein Student, der in jedem Fach hervorragend ist, jedoch in, sagen wir, einer Fremdsprache nur drei Punkte erreicht, fällt er in die troetschniki Kategorie. Lehrer bewerten Schüler mit nur vier Noten: zwei für nicht bestanden, drei für befriedigend, vier für gut und fünf für ausgezeichnet.
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