Die Gegenkultur in der Sowjetunion, einem Land das vom Westen durch den bekannten Eisernen Vorhang abgeschnitten war, bestand aus einer „offenen Rebellion der Jugend gegen die ideologische und kulturelle Stagnation“, schreibt Mischa Buster. Sein Buch „Hooligans der Achtziger“ erzählt die Lebensgeschichten verschiedener Menschen während den letzten Tagen der UdSSR sowie eine einzigartige Sammlung persönlicher Fotografien.
„Stiljagi“, eine abwertende Bezeichnung für all jene, die der Gegenkultur angehörten, Hippies, Rocker, Punks und Metalheads existierten gemeinsam bis Ende der 1980er-Jahre, wobei jede der Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten besondere Bekanntheit genoss.
Jede Strömung hatte dabei einen bekannten Treffpunkt. Attraktsija, ein Ort in der Moskauer Arbatstraße, war der Treffpunkt der Breakdancer, während das Restaurant “Scheltok” am Tschistyje-Prudy-Platz ein populärer Versammlungsort der Hippies war. Die Mitglieder der verschiedenen Gruppen der Gegenkultur waren oft untereinander verfeindet, kämpften jedoch gemeinsam gegen die sowjetische Polizei, was später oft zu Verhaftungen führte.
Die sowjetischen Medien bezeichneten sie als „Non-Konformisten“, die bewusst auf all die positiven Eigenschaften verzichteten, die einem gewissenhaften Sowjetbürger innewohnten. Manchmal wurden sie sogar als lästige Parasiten oder Faschisten beschimpft.
Viele Menschen, die Buster für sein Buch interviewte, erzählen davon, dass zahlreiche Mitglieder der Gegenkultur später ins Ausland zogen, eigene Unternehmen gründeten oder einen „normalen“ Job annahmen.
Der Ausdruck „Stiljagi“, der oft auch mit Hipster, Dandy oder Beatnik übersetzt wird, ist die Bezeichnung für eine Strömung dieser Gegenkultur. In den 1940er-Jahren entstanden, hatte sie in den 1960er-Jahren während Chruschtschows Tauwetter-Periode ihren Höhepunkt, als die staatliche Zensur im Vergleich zur Ära Stalins abnahm.
Stiljagi waren meist unpolitische Menschen mit einer Vorliebe für ausländische Mode, sie versuchten ausländische Designerlabels zu tragen und westliche Musik zu hören, vorzugsweise Swing und Boogie-Woogie. Frauen trugen für gewöhnlich Kleider und Stöckelschuhe, Männer kleinkarierte Hosen und glänzende Winkelpicker-Schuhe.
Obwohl sich ihr Stil über die Zeit veränderte, hatten die Stiljagi immer Mut zu Farbe und auffälligen Jacketts.
Da die sowjetische Jugend während Chruschtschows Führung größeren Zugang zu westlicher Kultur erhalten hatte, begannen auch viele andere Subkulturen, wie die Hippies, in der Sowjetunion an Popularität zu gewinnen. Die sowjetischen Hippies seien ihren amerikanischen Pendants auf den ersten Blick sehr ähnlich gewesen, rebellierten jedoch nicht wie diese gegen das westliche Konsumverhalten, sondern boten dem konformistischen Staat die Stirn, schreibt William Jay Risch in seinem Buch „Die Blumenkinder der Sowjetunion“.
Sie ließen oft und gerne englischen Slang sowie Anglizismen in ihre Sprache einfließen und waren stark von Folklore beeinflusst. Oft erzählten sie ihre Lebensgeschichten, die dann als Alternative für Anekdoten genutzt wurden. Diese Lebensgeschichten, auch „telega“ (zu Deutsch „Karren“) genannt, wurden später von Stepan Peschkin in seinem Buch „1001 Party Telega“ gesammelt.
Die sowjetischen Hippies hätten im Allgemeinen eine gelassene Einstellung zur Arbeit gehabt und es oft vorgezogen, sich ihren Lebensunterhalt zu erbetteln, meint der berühmte Künstler Alexander Petlura. Ebenso, fügt er hinzu, hätten sie aktiv den Kleiderstil der amerikanischen Hippies imitiert.
Die Gegenkultur der Biker kam, ebenso wie die der Hippies, aus dem Westen. Da die Menschen in der UdSSR sich oftmals kein Auto leisten konnten, wurden Motorräder zum allgemeinen Autoersatz. Jedoch habe nur eine verschwindende Minderheit der sowjetischen Biker tatsächlich ein Motorrad besessen, meint Petlura.
Viele von ihnen bezeichneten sich als Rocker, so dass beide Begriffe oftmals synonym füreinander gebraucht wurden.
Am liebsten hörte die Biker Rockmusik, die zu jener Zeit in der UdSSR illegal verbreitet wurde, und ahmten ihre westlichen Vorbilder nach. Der Mangel an echten Lederjacken zwang die sowjetischen Biker jedoch dazu, bei ihrem Kleidungsstil zu improvisieren. Manche nähten sich ihre Lederjacken selbst, andere trugen Kunstleder oder einfach schwarzen Stoff.
In Busters Buch, das verschiedene Interviews mit den wichtigsten Vertretern dieser Ära beinhaltet, erinnert sich Feddy Begemot, dass seine “erste Lederjacke von seiner Schwester Anja genäht wurde“. Darüber hinaus trugen die Biker, wie ihre Kollegen aus Übersee, gerne Polster. Von Alkohol und Drogen ließen sie jedoch die Finger, auch wenn sie Flaggen, Schädel, Kreuze und andere typische Symbole mochten.
Der Breakdance war unter sowjetischen Jugendlichen populär, auch wenn er dazu erst einmal den Eisernen Vorhang überwinden musste. Die meisten von ihnen brachten sich die Bewegungen selber bei oder schauten sie sich in westlichen Filmen ab. Mila Maximowa erinnert sich in einem Interview im Buch „Die Hooligans der Achtziger“, dass viele es bevorzugten, Armwellen und Roboterbewegungen zu machen, während nur wenige es tatsächlich schafften, die Drehungen und „Powermoves“ nachzuahmen.
„Wir kannten sie alle beim Namen, da es nur fünf von ihnen in Moskau gab“, fügt sie hinzu. Als die Breakdance-Strömung als Gegenkultur in der Sowjetunion immer mehr an Popularität gewann, entwickelte die sowjetische Jugend dazu auch ihren eigenen Modestil. „Weiße Turnschuhe und Handschuhe waren wichtig“, sagt Maximowa. Dabei grenzte es an ein Ding der Unmöglichkeit, weiße Turnschuhe zu finden, da die meisten erhältlichen Modelle lediglich in schwarz oder braun hergestellt wurden. Die Breakdancer bleichten ihre Schuhe aus diesem Grund oft selbst.
Ebenso mochten sie Hosen, die „keinerlei Ähnlichkeiten mit Jeans“ hatten, und zahlreiche Accessoires wie Ketten, Schweißbänder, Armreifen und Sweatshirts mit ausländischen Firmenzeichen.
Ein besonderes Projekt, das sich der sowjetischen Gegenkultur widmet, ist „Look at Me“ und „Adidas Originals“. Hier sagt man, dass die Tänzer es später tatsächlich schafften, sich „Skateboards und Sprühfarben“ zuzulegen.
Durch das Verbot ausländischer Musik wuchs der Bekanntheitsgrad alternativer Musikrichtungen wie Heavy Metal und wurde unter den sowjetischen Jugendlichen zu einer Mode. Heavy-Metal-Bands wie Black Sabbath, Iron Maiden, Metallica, Judas Priest und Megadeth erfreuten sich unter den rebellierenden Jugendlichen großer Beliebtheit.
Nikolai Korschunow schrieb in einem Artikel für die russische Zeitschrift „Hooligans“, dass die sowjetischen Metalheads ihre Aufgabe als Teil einer Gegenkultur sehr ernst nahmen und Posern das Handwerk zu legen versuchten. Jugendliche, die sich wie Metalheads anzogen, wurden auf der Straße angehalten und bekamen Fragen gestellt, um ihr Heavy-Metal-Wissen zu testen. So mussten zum Beispiel mindestens 15 Heavy-Metal-Bands genannt werden. Viele Fans bestanden diesen Test nicht, ergänzt Korschunow.
Da es, wie schon erwähnt, so gut wie unmöglich war, echte Lederjacken oder Jeans in der Sowjetunion zu kaufen, mussten viele Heavy-Metal-Fans ihre Fantasie spielen lassen. Manchmal fertigten Menschen Schweißbänder aus Handtaschen und verkauften sie an Punks oder Metalheads.
„Wir hatten keine Lust darauf, amerikanische Kleidung zu tragen“, sagt Sergei Okuljar im Buch „Hooligans der Achtziger“. „Wir brauchten etwas Eigenes, dass so furchterregend aussah, wie nur möglich.“
Die sowjetischen Punks hatten keinen einheitlichen Kleidungsstil, da dieser meistens davon abhing, aus welchem Teil der Sowjetunion sie stammten. Sibirische Punks waren eine Art Hippie-„Nachkommen“, die Punks aus Tallinn hingegen konnte man von ihren europäischen Vorbildern kaum unterscheiden. Die Punks aus Sankt Petersburg führten wiederum den Lebensstil eines „Bohemiens“ und die aus Moskau kombinierten die verschiedenen Stile des Landes.
Der innere Nihilismus stand dabei im Kontrast zu ihrem Äußeren, das bunt gefärbte Irokesenschnitte, Piercings, Jacken, Band-T-Shirts sowie handgemachte Nietengürtel beinhaltete.
Mischa Clash erzählt in dem Buch „Hooligans der Achtziger“, dass sich der Kleidungsstil später verändert habe und man „lange Ledermäntel, dunkles Makeup und Brotbeutel als Rucksäcke“ trug.
Ihre Auftritte endeten oftmals in gewaltsamen Auseinandersetzungen und der Zerstörung von Fensterscheiben großer Geschäfte. Das wiederum führte zu Verhaftungen und Sicherheitsverwahrung. Auch gibt es Geschichten über laute Punks, die im betrunkenen Zustand beim Standesamt auftauchten. Es wurde als Teil der Punkkultur angesehen, während dem Heiraten Obszönitäten auszurufen.
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