„Ein Wunder der zeitgenössischen Automobilindustrie. Von seinen Designern kann man nicht mehr verlangen“, schrieb das Moskauer Magazin „Automobilist“ über das Auto von Delaunay-Belleville, das im Jahre 1910 dem russischen Zaren Nikolai dem Zweiten gehörte.
In der Tat glich der Wagen in dieser Epoche einem Wunder. So war es beispielsweise nicht üblich, dass ein Fahrzeug direkt hinter dem Lenkrad und nicht mit Hilfe eines speziellen Anlassers gestartet wurde. Es bewegte sich zudem ungewöhnlich sanft und vibrierte kaum. Die Höhe des Daches wurde der Körpergröße des Zaren entsprechend angepasst.
Das französische Unternehmen Delaunay-Belleville hatte sich damals auf die Produktion von Luxusautos spezialisiert. Der Zar hatte zwei Limousinen dieser Marke, die SMT, „Sa Majesté le Tsar“, also „Seine Majestät der Zar“ genannt wurden.
Seine Garage
Diese zwei Limousinen waren nur ein bescheidener Teil seiner großen Sammlung. Um das Jahr 1910 standen in der königlichen Garage 22 Autos, von denen 17 dem Zarengefolge zur Verfügung standen und fünf der königlichen Familie gehörten. Vier davon wurden von Delaunay-Belleville angefertigt. Nikolai der Zweite selbst bevorzugte Cabriolets, da er dachte, dass er für die Menschen sichtbar sein müsse, während sein Sicherheitsdienst verständlicherweise für geschlossene Fahrzeuge plädierte.
Nach der Revolution wurden die königlichen Wagen der Provisorischen Regierung und dann – nach ihrer Machtergreifung – den Bolschewiki übergeben. Lenin nutzte zwei der königlichen Delaunay-Belleville-Limousinen, von denen die erste bei einem Attentat auf ihn jedoch ruiniert und die zweite gestohlen wurde. Das Fahrzeug wurde dabei einfach mitten auf der Straße angehalten und von den Dieben beschlagnahmt, trotz Lenins Versuchen, mit ihnen zu verhandeln.
Später wechselte Lenin zur Silver-Ghost-Limousine von Rolls-Royce. Es heißt, dass er am Anfang die beschlagnahmte Limousine eines russischen Magnaten benutzt habe und die sowjetische Regierung erst später mehrere Dutzend von ihnen kaufte. Das Staatsoberhaupt erhielt zunächst einen Dienstwagen, den er ab dem Jahr 1923 dann als persönliches Fahrzeug nutzte.
Stalins Lieblingsauto war der Packard Zwölf, den er im Jahr 1935 vom amerikanischen Präsidenten Franklin Roosevelt als Geschenk erhielt und während der Gespräche der Alliierten in Teheran, Jalta und Potsdam benutzte. Gerüchten zufolge sah er sich im Jahr 1945 aus dem Fenster seines Packard die Ruinen des eroberten Berlins an.
Stalins ZIS
Während Stalins Regierungszeit erhielten die sowjetischen Automobilhersteller die Aufgabe, eine sowjetische Limousine zu konstruieren, die von höchsten Funktionären genutzt werden konnte. Während des Zweiten Weltkriegs produzierte ZIS, „Sawod imeni Stalina“ beziehungsweise die „Fabrik namens Stalin“ daraufhin das ZIS-110-Modell. Das wurde wiederum an die Bedürfnisse sowjetischer Führer angepasst und ZIS-115 genannt. Und obwohl Stalin seit dem Jahr 1947 ein neues sowjetisches Auto benutzte, gab er seinen geliebten Packard nie ganz auf.
Man sagt, dass Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow vom Cadillac seines amerikanischen Amtskollegen Dwight Eisenhower so beeindruckt war, dass er darum bat, eine neue sowjetische Limousine, die nicht schlechter als die des US-Präsidenten sein würde, herzustellen. Diese Aufgabe entsprach ganz dem damaligen berühmten Motto Chruschtschows: „Amerika einholen und überholen“. So entstanden das ZIL-111-l und das spätere, abgewandelte ZIL-111G- Modell. Das ZIS-Werk selbst wurde im Jahre 1956 im Zuge der Entstalinisierung in ZIL umbenannt.
Chruschtschows Nachfolger Leonid Breschnew benutzte das darauffolgende ZIL-Modell, den ZIL-114. Da Breschnew moderne Autos mochte, wurde der ZIL-114 während seiner 20-jährigen Amtszeit mehrmals umgestaltet. Breschnew mochte auch ausländische Autos, so dass die erste Version des ZIL-114 dem Lincoln-Continental-Wagen aus dem Jahre 1965 und die neuere Version des sowjetischen Fahrzeugs aus dem Jahr 1977 dem Cadillac-Fleetwood-75 ähnelte. Diese Verweise auf die ausländische Autoproduktion reichten dem Generalsekretär der Sowjetunion jedoch nicht und er ließ mehr als 50 ausländische Fahrzeuge – darunter auch einen ausgefallenen Rolls-Royce und Mercedes – importieren.
Die von Michail Gorbatschow verwendete Limousine war im Wesentlichen eine Weiterentwicklung von Breschnews ZIL-114 und erhielt das Label „41052“. Vor vier Jahren wurde eine dieser Limousinen, Baujahr 1989, zum Verkauf angeboten und konnte für etwa 1,4 Millionen Euro erworben werden. Das Modell gilt als eine der besten gepanzerten Limousinen der Welt und soll laut Tests selbst nach einer schweren Explosion und starkem Beschuss in der Lage sein, weiterzufahren.
Der erste russische Präsident Boris Jelzin verwendete das gleiche ZIL-Modell wie sein politischer Konkurrent Gorbatschow. Es wird jedoch angenommen, dass er das Auto nicht sonderlich mochte, da es für ihn als groß gewachsenen Mann mit Rückenproblemen ziemlich schwer war, in seinen Sitz zu kommen.
Jelzin und der Mercedes
Das unangenehme Einstiegsproblem wurde gelöst, indem Jelzin zur Präsidentenlimousine von Mercedes wechselte. Im Jahr 2017 wurde berichtet, dass Jelzins Mercedes ebenfalls zum Verkauf stünde. Der Mercedes-Benz S 600 Pullman-Limousine Guard war im Übrigen viel billiger als das ZIL-Modell. Der Besitzer verlangte rund 485 000 Euro und behauptete, dass die Limousine ursprünglich für den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl hergestellt worden wäre, die er Jelzin jedoch dann als Geschenk überreichte. Zur gleichen Zeit behaupteten Jelzins Sprecher, dass dieser Vorfall nie stattgefunden hätte. In den offiziellen Quellen wird jedenfalls meist der im Jahr 1994 erworbene Mercedes-Benz-S500 als das Dienstfahrzeug des ersten russischen Präsidenten angegeben.
Der Mercedes war bis zur Einweihung in diesem Jahr auch Putins offizieller Dienstwagen, bis er zum russischen Fahrzeug wechselte. Das Projekt namens „Kortesch“ wurde im Jahr 2012 gestartet und hat bisher rund 170 Millionen Euro gekostet. Mit „Kortesch“ war die mehr als 20 Jahre andauernde Abhängigkeit von ausländischen Limousinen für den russischen Präsidenten vorbei.
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