Selman Waksman, der Erfinder von Streptomyzin, veröffentlichte Irinas Foto in seinem ersten Buch über seinen Durchbruch. Obwohl sie keine Bekannte oder Verwandte des Biochemikers war, reagierte Waksman auf den Hilferuf aus der Sowjetunion, Irinas Leben zu retten. Da die Sowjetregierung damals dringlichere Probleme hatte, mussten ihre Eltern auf eigene Faust handeln.
Selman Waksman
Library of CongressIn der Nachkriegszeit um 1946 war die tuberkulöse Meningitis in der Sowjetunion nicht behandelbar. Dies ist eine Infektion, welche die Membranen, die das Zentralnervensystem direkt umgeben, befällt. Im Grunde genommen war es ein Todesurteil. Als Weniamin Zukerman, ein renommierter sowjetischer Physiker, die Diagnose bekam, dass seine neunjährige Tochter Irina von dieser Krankheit betroffen sei, begriff er, dass er sofort handeln musste. Die Patienten verstarben in der Regel innerhalb von drei Wochen.
Wie viele sowjetische Wissenschaftler hörte Zukerman verbotene ausländische Radiosender und an dem Tag, an dem die Krankheit seiner Tochter diagnostiziert wurde, hörte er über eine Londoner Radiosendung, dass ein neues Medikament namens Streptomyzin erfolgreich für die Behandlung der Krankheit entwickelt worden war. Durch seine Verbindungen erfuhr Zukerman, dass Streptomyzin bereits in Moskau erhältlich war, es gab jedoch nur ein Gramm und niemand kannte die richtige Dosierung.
Weniamin Zukerman, Irinas Vater
ArchivfotoZukermans Freund, Israel Galinker, hatte eine verrückte Idee: Die Praktizierenden in den Vereinigten Staaten von Amerika ausfindig zu machen, welche das Medikament bereits getestet hatten, um sie für die Dosierung zu konsultieren. Damals endete jeder Versuch, der darin bestand einen „feindlichen imperialistischen Staat“ zu kontaktieren mit dem Vorwurf der Spionage. Trotz der Gefahr beschlossen Zukerman und Galinker sofort zu handeln. Der Anruf kam nicht von einer Institution, sondern aus der privaten Wohnung der Familie Zukerman, wo er schwerer zu lokalisieren war. Alles, was sie wussten, war der Name des Krankenhauses: die Mayo Klinik in Minnesota.
Mithilfe der gemeinsamen Bemühungen sowjetischer und amerikanischer Ferngespräche erreichte Galinker Doktor Corwin Hinshaw, den Mann, der die tuberkulöse Meningitis zuerst erfolgreich mit Streptomyzin behandelt hatte. Trotz der schlechten Verbindung hörte Galinker Hinshaws Empfehlung, dem Mädchen alle 24 Stunden einmal 0,1 Gramm der Substanz zu injizieren, aber das eine Gramm reichte nicht aus, um die kleine Irina zu retten.
Doktor Corwin Hinshaw
Smithsonian Institution ArchivesIn den 1940er Jahren galt Streptomyzin in den Vereinigten Staaten von Amerika als „strategische Medizin“ und der Kongress kontrollierte seinen Vertrieb und Export. Es gab keine legale Möglichkeit, das Medikament an die feindliche Sowjetunion zu verkaufen. Glücklicherweise gelang es Lina Stern, einer schweizerisch-sowjetischen Biochemikerin, ihren Bruder, welcher in den Vereinigten Staaten von Amerika lebte, davon zu überzeugen, ihr winzige Packungen des Medikaments zu schicken. Jede Person aus der sowjetischen Welt der Wissenschaft brannte dafür, der kleinen Irina Zukerman zu helfen. Sie war bei Weitem nicht das einzige Kind, das unter der tödlichen Krankheit litt und etliche Familien hofften auf einen Ausweg.
Sechs Monate später wurde Selman Waksman selbst nach Moskau eingeladen. Im Bewusstsein der Situation schmuggelte er 30 Gramm Streptomyzin von den Vereinigten Staaten in die Sowjetunion. Das war genug für Irina, aber auch für andere Kinder. Bald darauf startete die Sowjetunion ihre eigene Streptomyzinproduktion und im Jahr 1948 wurden dank der Medizin über 900 Kinder gerettet.
Galinkers Anruf in die Vereinigten Staaten von Amerika blieb nicht unbemerkt. Alle damaligen sowjetischen Physiker standen unter genauer Beobachtung. Galinker wurde wegen Kontaktaufnahme mit Hinshaw der Spionage beschuldigt und zum Tode verurteilt. Nachdem er 40 Tage im Todestrakt verbracht hatte, wurde seine Strafe in 25 Jahre Gefängnis umgewandelt. Glücklicherweise gelang es seinen einflussreichen Freunden im Jahr 1956, sieben Jahre später, ihn zu befreien. „Ich habe viel für Irinas Leben bezahlt“, sagte Galinker. „Aber es hat sich gelohnt.“
Irina mit ihrem Vater (links) und Israel Galinker (rechts), 1956, Moskau.
Boris Altschuler/UFNNachdem sie geheilt war, verlor Irina ihr Gehör völlig. Geprägt durch ihre wissenschaftliche Familie, absolvierte sie die Staatliche Technische Universität Moskau und verbrachte ihr Leben damit, Kommunikationsmethoden für Gehörlose zu studieren, Hörgeräte zu erfinden, zu testen und an der Anpassung der Morsezeichen für Gehörlose zu arbeiten. Sie starb diesen Oktober in dem Haus, in dem sie und ihre Eltern ihr ganzes Leben lang gelebt hatten.
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