In der neuen Jugendorganisation werden russische Werte gepflegt.
Ria Nowosti/David ScholomowitschGemäß Erlass des russischen Präsidenten vom 29. Oktober wird in Russland die öffentlich-staatliche Kinder- und Jugendorganisation „Russische Schülerbewegung“ (RSB) gegründet. Ziel der RSB ist laut Erlass, „zur Persönlichkeitsbildung auf der Grundlage der die russische Gesellschaft prägenden Werte beizutragen“. Bislang bleibt unklar, wie die neue Organisation in der Praxis funktionieren soll und ob die Mitgliedschaft freiwillig oder verpflichtend sein wird. Ideenstifter des Vorhabens sind Abgeordnete des russischen Parlaments. Wie das russische Online-Magazin „Gazeta.ru“ berichtet, soll das Gerüst der neuen Organisation bis Anfang 2016 stehen.
Unklare Perspektive
In den Medien wurde die RSB bereits mit den sowjetischen Lenin-Pionieren verglichen, bei denen ein Großteil der Kinder und Jugendlichen der Sowjetunion organisiert war. Die Reaktionen in Russland fallen sehr unterschiedlich aus. Viele Eltern wissen noch nicht, was sie von der neuen Organisation halten sollen. Vertreter des öffentlichen Elternvereins von Schülern halten sich mit einer Bewertung bislang zurück. Projektbetreuerin Swetlana Sakajewa vom Elternverein meint, dass russische Jugendliche sich durchaus nach ideologischer Führung sehnten, die Gemeinschaft mit Altersgenossen suchten und an Veranstaltungen teilnehmen möchten: „Sollten diese Bedürfnisse richtig aufgefangen werden, kann das Programm einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung leisten.“
Swetlana Teterina, eine andere Vertreterin des Elternvereins, befürchtet wiederum, dass die neue Pionierorganisation als ideologisches Instrument gebraucht könnte. „Sollte die Russische Schülerbewegung zu einem gesunden Patriotismus erziehen, wird sie eine gute Aufgabe erfüllen. Sollte aber jemand die Organisation zu einer Vorbereitungsplattform für spätere Mitglieder irgendeiner Partei ausbauen, so werde ich strikt dagegen sein und mein Sohn wird wohl kaum so einer Organisation beitreten“, erklärt Teterina.
Pfadfinder mit kommunistischer Ideologie
Die Pionierorganisation wurde in der Sowjetunion Anfang der zwanziger Jahre gegründet, als die Staatsführung sich Gedanken über die Erziehung von Kindern und Jugendlichen im Sinne kommunistischer Ideale machte. Dabei griffen die Machthabenden die Idee der damals im Westen weit verbreiteten Pfadfinder-Bewegung auf. Die Pionierbewegung glich in ihrer Organisation und ihrem Angebot an Aktivitäten den Pfadfindern, war jedoch von der kommunistischen Ideologie geprägt. Die Bewegung eroberte rasch die Massen und wurde zu einem ideologischen Instrument für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Pioniere waren Schüler der Mittelstufen im Alter von zehn bis vierzehn Jahren, danach erfolgte der Beitritt zum Kommunistischen Jugendbund, dem Komsomol.
Zu den Aufgaben der sowjetischen Pionierbewegung gehörte auch die Freizeitgestaltung. Pioniere nahmen an zahlreichen Sportwettkämpfen teil, organisierten Wanderungen, sammelten Altpapier und Altmetall. Die Erinnerungen der Russen an die Pionierorganisation sind unterschiedlich. Während die einen hervorheben, dass die Pionierorganisation Jugendlichen geholfen habe, sich im Leben zurechtzufinden und zu sozialisieren, kritisieren andere die Ideologisierung des Vereins und die geschürte Intoleranz gegenüber allen, die nicht zum kommunistischen System gehörten.
Interessen der Kinder berücksichtigen
Schon vor der Gründung der RSB hat es auch im modernen Russland Vereine gegeben, die die Tradition der sowjetischen Pionierbewegung weiterführten. Manche von ihnen sind mit der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation eng verbunden und erfüllen daher spezifische Aufgaben. Andere wiederum sind weltoffener, zum Beispiel der Verband der Pionierorganisationen – Föderation der Kinderorganisationen (UdP-FdK), ein gemeinnütziger Verein aller Kinder- und Pionierorganisationen in Russland. Der UdP-FdK gilt als Rechtsnachfolger der einstigen Pionierorganisation.
Die stellvertretende Vorsitzende der UdP-FdK Irina Frischman ist der Ansicht, dass der Staat sich durchaus Gedanken machen sollte, wie man Jugendliche organisieren und einbinden könnte. Allerdings sollte das Format der neuen Organisation mit Bedacht gewählt werden. „Bislang ist die Funktionsweise der neuen Organisation völlig unklar. Ich hoffe, dass bei deren Stiftung nicht nur die Meinung von Experten, sondern auch die Wünsche von Kindern mitberücksichtigt werden – ansonsten haben die Kinder daran kein Interesse und nehmen nur formal daran teil“, mahnt Frischman.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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