Der ideologische Graben zwischen den beiden großen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts hätte nicht tiefer sein können. Iwan Turgenew, Autor von „Väter und Söhne“, war ein liberaler Westler, Fjodor Dostojewski hingegen ein konservativer Slawophile. Russland werde vom Liberalismus zersetzt, müsse deshalb seinen eigenen Weg gehen und den orthodoxen Glauben bewahren, predigte er in den Romanen „Der Idiot“ und „Die Dämonen“.
Es ist also kein Wunder, dass sich die beiden Autoren nicht ausstehen konnten. Seit seinen Jugendjahren spottete Turgenew – ein wohlhabender Dandy – über seinen stets mürrischen Kollegen. „Ein Pickel auf der Nase der Literatur“ sei Dostojewski, schrieb er einst in einem Schmähgedicht. Dass diese Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte, versteckte Dostojewski seinerseits nicht. Er keifte zurück: Bei all seinem Reichtum verdiene Turgenew an seinen Publikationen vier Mal so viel wie er.Der Hauptgrund für die Fehde waren aber ideologische Gegensätze. „Über Russland zu schimpfen ist diesen lausigen Liberalen das allererste Vergnügen“, schrieb Dostojewski an einen Freund 1867 in Anspielung auf Turgenews Roman „Rauch“. Turgenew lebte zu jener Zeit in Frankreich. Mit einer gehörigen Portion Sarkasmus riet ihm sein „mürrischer Kollege“, ein Fernrohr zu kaufen, weil Russland sonst schlecht zu erkennen sei. Turgenew war beleidigt.
Was ihn an Dostojewski vor allem aufregte, war dessen Manier, sich in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele hineinzudenken. Dostojewskis Romane würden einem sauer aufstoßen, sie seien nichts als „Krankenhausmief“ und „psychologisches Herumstochern“, kritisierte Turgenew.
/ Grigory Avoyan
„Weißt du, warum ich ein Dichter bin, Majakowski aber nur irgendeinen Beruf ausübt?“, fragte Jessenin. „Weil ich eine Heimat habe“, rief er bei einem Wortgefecht aus. Er stritt mit Majakowski um den Titel des prestigeträchtigsten Dichters des Silbernen Zeitalters. Weil er aus einem Dorf in der russischen Provinz stammte, war Jessenin als „Landdichter“ berühmt, das lyrische Empfinden Russlands mit seiner Natur und Lebensweise war das Leitmotiv seiner Dichtung.
Diese Themen lagen Wladimir Majakowski, dem Dichter der Russischen Revolution, fern. Er verherrlichte die künftige Welt, in der Proletarier und Maschinen triumphieren würden. Seinen Kontrahenten brandmarkte Majakowski als ewiggestrig und klassenfremd. „Das ist doch einer aus dem Dorf-Chor… ein Balalaika-Spieler“, schrieb Majakowski voller Verachtung in einem Gedicht. Leidenschaftlich wie er war, rief Jessenin bei öffentlichen Lesungen oftmals: „Majakowski ist ein Stümper!“Tatsächlich aber erkannten sich die beiden Dichter gegenseitig natürlich an. Der russische Schriftsteller Matwej Rojsman erinnerte sich, wie Majakowski einst Jessenins Gedichte in höchsten Tönen lobte, aber gleichzeitig seinen Kollegen warnte: „Zu Jessenin kein Wort!“ Dieser gab seinerseits zu, Majakowski sei aus der Literatur nicht wegzudenken, und wollte sich gar mit seinem Gegenpart vertragen. Aber dazu kam es nicht mehr: Jessenin erhängte sich 1925.
/ Grigory Avoyan
Der Literaturnobelpreisträger Iwan Bunin war um Beleidigungen seiner Kollegen nie verlegen – besonders jener, die die Russische Revolution unterstützt hatten. Der Aristokrat hielt den Umsturz für das größte Übel und verließ Russland im Jahr 1920. Alle Sowjetautoren waren für Bunin „Diener des Kannibalismus“. Doch auch zu den Kollegen im Exil hatte er ein sehr angespanntes Verhältnis, wie seine Begegnungen mit dem „Lolita“-Autor Wladimir Nabokow zeigten.
Nabokow war 30 Jahre jünger als Bunin und begegnete seinem älteren Kollegen zunächst mit Ehrfurcht. Zu Beginn der 1920er-Jahre schickte er dem damals schon berühmten Bunin Auszüge seiner Werke und verglich dies mit einer Liebeserklärung. Seine Briefe unterschrieb er mit der Widmung: „An den Großmeister von einem tüchtigen Schüler“. Bunin zeigte sich anfangs wohlgesonnen, mit Nabokows zunehmendem Ruhm wuchs jedoch seine Eifersucht; die Stimmung wurde schlechter.Große Skandale brachte dieser Konflikt nicht mit sich, die beiden Schriftsteller stritten leise, kritisierten einander hinter dem Rücken des jeweils anderen. 1951 bezeichnete Bunin seinen Kollegen als Witzblattfigur und erklärte, ein angemessener Gegner sei Nabokow für ihn nicht. Dieser wiederum charakterisierte sein einstiges Vorbild als „alte, dürre Schildkröte“ und weigerte sich, auf Bunins 80. Geburtstag eine Rede zu halten.
/ Grigory Avoyan
Eigentlich hatte auch das Verhältnis dieser beiden russischen Schriftsteller gar nicht so schlecht begonnen. 1965 bemühte sich Jewtuschenko in seiner Rolle als Koryphäe der Sowjetdichtung darum, Brodsky aus dessen Verbannung in den Norden des Landes zurückzuholen. Die beiden lernten sich kennen und wurden Freunde. Lange hielt diese Freundschaft aber nicht.
1972 erklärte der sowjetische Geheimdienst KGB, Brodsky müsse das Land verlassen. In einem Verwaltungsgebäude des KGB stieß Brodsky mit Jewtuschenko zusammen und dachte, dieser habe ihn denunziert und sei für sein Zwangsexil verantwortlich. Jewtuschenko beteuerte immer wieder, er sei an jenem Tag vom KGB wegen der illegalen Einfuhr von Büchern festgenommen worden und habe sich deshalb in dem Gebäude aufgehalten. Die Freundschaft war dennoch vorbei.„Jewtuschenko ist natürlich ein schlechter Dichter. Und ein noch schlechterer Mensch“, sagte Brodsky in einem seiner ersten Interviews im Exil. Mit den Jahren wurden auch diese Gräben immer tiefer. Als Brodsky erfuhr, dass Jewtuschenko gegen die Kolchosen in der Sowjetunion eintrat, sagte er schlicht: „Wenn er dagegen ist, bin ich dafür.“ Alles Sowjetische war Brodsky letztlich verhasst, noch mehr aber hasste er Jewtuschenko.
/ Grigory Avoyan
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