Aiwasowskis Leitmotiv war das Meer. Er öffnete die russische Kunst für die Marinemalerei und hob das Genre auf das Piedestal der Romantik. Der französische Maler Philippe Tanneur – von Nikolai I. nach Petersburg eingeladen – war sein Lehrer; seine Inspiration schöpfte er aus den Arbeiten William Turners und John Martins.
„Die neunte Woge“ ist Aiwasowskis berühmtestes Werk, das er mit 33 Jahren schuf. Der Künstler hat darin seine typischen Elemente verarbeitet: Riesige schäumende Wellen, purpurrot und orange brennender Himmel, Schiffsbrüchige, die dem Tod gerade noch entkommen konnten.
Der Romantiker Aiwasowski war von der Leidenschaft für Sturm- und Schiffbruchmotive ergriffen – ganz in der Tradition, die Théodore Géricault mit der „Flut“ begründet hatte. Menschen zeigte der russische Künstler ohne unnötige Details, dafür malte er das Meer in dessen ganzer Größe und Pracht. Die zart schattierten Nuancen des Himmels sind ein unverkennbares Zeichen dafür, dass er sein Handwerk dank hervorragender künstlerischer Ausbildung perfekt beherrschte. Und dann der dezente, gerade noch sichtbare Regenbogen: ein blasser Hoffnungsschimmer für die Schiffbrüchigen.
Geboren an der Schwarzmeerküste – in Feodossija auf der Krim – erlebte Aiwasowski das Meer unmittelbar. Doch seine Arbeiten malte er im Atelier, aus dem Gedächtnis heraus. Im Freien beschränkte sich Aiwasowski auf Bleistiftskizzen. „Die Woge“ brachte dem Künstler nach einer Pariser Ausstellung in 1890 den Orden der Ehrenlegion ein.
Aiwasowski hatte nicht nur ein fotografisches Gedächtnis, sondern auch eine schöpferische Vorstellungskraft: Seeschlachten konnte er nach Augenzeugenberichten abbilden. Diese Talente stützten sich jedoch auf genaue Sachkenntnis. Das Meer beobachtete er ohnehin seit der Kindheit. Und die Schlachten malte er erst, nachdem er die Schiffsausrüstung und die Manöver genauestens studiert hatte. So konnte der Künstler die meisten Siege der russischen Kriegsmarine darstellen, ohne die Kämpfe miterlebt zu haben.
Im Jahr 1844 wurde Aiwasowski zum „Hofmaler“ des russischen Generalmarinestabs ernannt. Neben dem Recht, eine Marineuniform zu tragen, erhielt er Zugang zu jedem Schiff und jedem Hafen der russischen Flotte.
Die „Zwölf Apostel“ war eines der besten Segelschiffe ihrer Zeit. Schnelligkeit und Feuerkraft zeichneten sie aus: Der Dreimaster war mit 120 Kanonen bewaffnet.
Aiwasowski war der Lieblingsmaler Nikolais I. Im Sommer 1845 begleitete er den 18-jährigen Großfürsten Konstantin – den zweiten Sohn des russischen Zaren – auf dessen erster Reise in die Türkei. Konstantinopel verzauberte den Künstler: „Es gibt nichts Größeres als diese Stadt. Sie lässt mich Neapel und Venedig vergessen“, schrieb Aiwasowski.
Dass Aiwasowski den Triumph russischer Marine über die türkische Flotte verewigt hatte, war für die Führung des Osmanischen Reichs kein Grund, seine Ansichten von Konstantinopel nicht zu erwerben. Der Künstler genießt es offenbar, die Komposition dieses Bildes nach Art einer Theaterinszenierung aufzubauen: Er skizziert den im Wasser zaudernden Mondschein und gießt den Hintergrund vor düsterer Kulisse in gelbliches Purpurrot.
Diese Ansicht von Venedig ist wohl die am meisten wiedererkennbare: Viele europäische Meister haben sie gemalt. Während die Künstler des 18. Jahrhunderts vom Rhythmus des Stadtlebens ergriffen wurden, zogen Licht und Wasser den Romantiker Aiwasowski in ihren Bann. Der Zusammenstoß und die Symbiose dieser Elemente sind das einzige Sujet des Gemäldes – ganz und gar nicht die Menschen im Boot.
Aiwasowski ließ sich vom höfischen Leben in Petersburg nicht betören und kehrte auf die Krim zurück. Hier richtete er eine Werkstatt für sich ein, und baute eine Galerie nach eigenem Entwurf, die nach seinem Tod in den Stadtbesitz überging.
Selbst unter Bibel-Motiven suchte der Künstler jene aus, die das Wasser thematisierten. Von Gottes Zorn getroffen stürzt Mensch und Tier von den Klippen: Bei Aiwasowski erhielt der gewöhnliche Stoff neuen Sinn, und erinnerte zugleich an die biblischen Sujets von Gustav Dürer und die neuzeitige Hölle der Brüder Jake und Dinos Chapman.
>>>Acht Maler, die die Russische Kunst prägten
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