Harvey Weinstein
ReutersWenn Sie bislang nicht von den Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein in Zeitungen und dem Fernsehen gehört haben, müssen Sie sich in der vergangenen Woche wohl in einer anderen Galaxie aufgehalten haben. Der tief gestürzte amerikanische Filmproduzent „ziert“ die Titelseiten und Fernsehbeiträge – und nicht, weil er etwas Gutes getan hat.
Ihm werden sexuelle Nötigung, Belästigung, Vergewaltigung sowie Exhibitionismus gegenüber einer Vielzahl von Schauspielerinnen in den vergangenen drei Jahrzehnten vorgeworfen. Unter den Anklägerinnen sind Größen wie Gwyneth Paltrow, Cara Delevingne und Rose McGowan, die zudem andere Frauen dazu ermutigten, ihre eigenen Erfahrungen mit dem Hollywood-Dino publik zu machen.
“Perversling Weinstein”, “Hollywoods Triebtäter”: Medien halten sich im Umgang mit Harvey Weinstein nicht zurück – ebenso wenig wie die Öffentlichkeit und seine Familie. Seine Frau hat ihn mittlerweile verlassen und in den USA und Großbritannien drohen ihm Strafverfahren. Die Reaktionen in verschiedenen Ländern dieser Welt waren größtenteils vernichtend, und auch Russland ist da keine Ausnahme. Doch hier singen einige Teile der Gesellschaft ein anderes Lied.
„Diese Mädels (die Opfer Weinsteins, Anm. d. Red.) haben bekommen, was sie wollten“, sagte die russische Film- und Theaterschauspielerin Agnia Kusnezowa gegenüber der Website Meduza. Kusnezowa sieht nichts Ungewöhnliches darin, dass Männer in Machtpositionen diese dazu nutzen, Frauen zu belästigen.
Eine weitere russische Schauspielerin, Ljubow Tolkalina, drückte sich gar noch radikaler aus: „Wenn Du eine Rolle bekommst, ist es dann wirklich wichtig, wie du dazu gekommen bist? Wie kann man einen Mann der sexuellen Belästigung beschuldigen? Ist das nicht der Sinn seines Lebens?“ Tolkalina glaubt, dass es nicht falsch sei, wenn Regisseure und Produzenten Affären mit ihren Schauspielerinnen hätten. Offensichtlich trage dies nur zur besonderen Leidenschaft in dieser Kunstform bei.
Ljubow Tolkalina
Natalya Loginova/Global Look PressNatürlich teilen nicht alle Russen diese Meinungen. Viele brachten auch ihren Ekel gegenüber den Weinstein zur Last gelegten Handlungen zum Ausdruck und unterstützen die Frauen, die sich an die Öffentlichkeit gewandt haben. So nannte zum Beispiel Schora Kryschownikow, ein Regisseur russischer Komödien, den Skandal „einen weiteren Kampf um die Rechte der Frauen, den sie gewonnen haben“. Er wünschte ihnen viel Glück in ihrem weiteren Kampf zur Rückeroberung ihrer Würde.
Aljona Popowa, eine Aktivistin für Frauenrechte, rechnete öffentlich mit der Position Tolkalinas ab: Sie schrieb auf ihrer Facebook-Seite, dass Belästigung ein Verbrechen sei – egal von wem sie ausgehe.
Gleichzeitig scherzen aber auch viele russische Internetnutzer über den Skandal und machten aus Weinstein und seinem unangemessenen Verhalten ein weiteres Meme. Grundsätzlich hinkt Russland bei Protesten gegen sexuelle Belästigung und dem Kampf für Frauenrechte dem Westen hinterher. Das Online-Medium gazeta.ru schrieb dazu in einem Editorial, dass „unserem Land noch immer eine Tradition des öffentlichen Protestes gegen häusliche und sexuelle Gewalt fehlt“.
Auch im professionellen Umfeld fehle es an Solidarität, glaubt der russische Filmemacher Roman Wolobuew. „Selbst wenn eine solche Geschichte eine sehr berühmte russische Schauspielerin und eine sehr berühmte Persönlichkeit der Industrie betreffen würde, glaube ich nicht, dass viele Menschen sich auf ihre Seite schlagen würden. Ich vermute, die Reaktion wäre: „Äääähm, ja, ok.““, sagte er der Website Meduza.
Während die russische Öffentlichkeit ihre Polarisierung in Bezug auf Weinsteins Verhalten offenbart, scheint es so, als hätten weite Teile Hollywoods bereits Bescheid gewusst, bevor seine Opfer an die Öffentlichkeit gingen. Der US-Komiker Seth MacFarlane machte gar einen Scherz darüber während der Oscar-Verleihung 2013. Roman Wolobuew bestätigt das: „Es ist unglaublich scheinheilig. Ich habe Los Angeles nur zwei Mal besucht und selbst ich wusste es.“
Schauspielerinnen Valeria Bilello (l.) und Alexandra Roach (r.) mit Harvey Weinstein auf dem 13. Internationalen Filmfestival Marrakesch.
ReutersEinige Kommentatoren wundern sich, warum die Erkenntnisse über Weinsteins Verhalten erst jetzt an die Öffentlichkeit gelangen. Wladimir Tichomirow, ein Journalist des „Life Magazine“, stellte gar die Behauptung in den Raum, dass die Medienkampagne von Harvey Weinsteins Bruder Robert finanziert sein könnte. Die beiden leiteten zusammen das Filmstudio „The Weinstein Company“. Petr Akopow vom Magazin „Vzglоad“ vermutet, dass die Anschuldigungen gegen Weinstein, einem ausgesprochenen Unterstützer der Demokratischen Partei, von der Trump-Administration initiiert worden sein könnten.
Auf jeden Fall steht aber fest, dass die Karriere des Filmproduzenten beendet ist. „Die Zeit Weinsteins und Leute seiner Art ist zu Ende gegangen“, fasst Andrei Plachow, der Filmkritiker des „Kommersant“, die Situation zusammen.
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