Es ist 16:30 Uhr irgendwo im Süden Moskaus. Ich leere einen Kwass, ziehe an meiner Zigarette und bereite mich innerlich darauf vor, durch die mit Aufklebern von Fußball-Fanklubs zugekleisterte Tür vor mir zu gehen. Der Schauplatz? Meine allererste Rjumotschnaja.
Die Rjumotschnaja hat ihre Wurzeln in der Sowjetunion. Das Wort stammt vom russischen „rjumka“, einem kleinem Glas, aus dem man Wodka trinkt. Die Lokale waren als schlichte Orte für Arbeiter ausgelegt, die ohne die Protzigkeit übriger Gasthäuser auskamen. Obwohl sie heute wegen moderner Konkurrenz von Bars und Restaurants weniger beliebt sind, scheint der bescheidene Durst nach Wodka nicht versiegt zu sein.
Wenn ich meinen Freunden Glauben schenken darf, bedeutet der Besuch einer traditionellen Rjumotschnaja Stehtische, fragwürdige Imbisse, Kantinenatmosphäre und einen fast ausschließlich männlichen Kundenstamm. Klingt gut? Zweifelhaft, aber ich habe hier eine edle Mission, die ich nicht missachten darf: mich für so wenig Geld wie möglich zu betrinken, damit Sie es mir gleichtun können.
Danken Sie mir später.
Der Ausflug beginnt mit Erleichterung – als ich es schließlich an den Aufklebern vorbeigeschafft habe, bin ich von zwei Dingen positiv überrascht:
Das ist nicht alles: Tatsächlich ist es eine reizvolle, ungezwungene Kneipe mit Livemusik, Kunst an den Wänden und gestapelten sowjetischen Bierkästen als Dekoration. Der Besitzer erzählt mir, dass hier auch regelmäßig Poetry-Slams stattfinden – offensichtlich haben sie keine Probleme, sich den Kunden aus der aufstrebenden Hipstergeneration anzupassen.
Nachdem wir uns einen drei-Liter-Krug Bier bestellt haben, da man das hier scheinbar so macht, kommen meine Freunde und ich ins Gespräch mit Alexej, der nach eigener Aussage Stammgast ist. Er erzählt uns eine Stunde lang angeregt von seinem kürzlich zu Bruch gegangenen Autofenster – langweilig? Vielleicht, aber es ist eine willkommene Abwechslung, als Vorzeigeausländer in einer russischen Bar über etwas anderes als die Unterschiede zwischen Irland und Russland zu reden.
Kosten: 590 Rubel (rund acht Euro) für drei Liter Bier (also gut 2,60 Euro pro Person) und 55 Rubel (etwa 0,75 Euro) für Pizza.
Gesamtkosten: 3,35 Euro
Ich glaube, ich erkenne langsam ein Muster, wie Rjumotschnajas ihre Namen wählen – es ist ein praktischer Ansatz, gelinde gesagt.
Wie auch immer, bisher hatte ich es leicht mit meiner Pizza und alternativer Musik. Es wird Zeit für Authentizität, und einen klassischeren Schuppen als diesen wird es kaum geben. Ich meine holzvertäfelte Wände und Möbel, gedämpftes Licht, kleine Tische und ein an die Wand gepinntes DIN-A4-Blatt als Speisekarte.
Ich wähle Heringsbrot und einen Wodka, aber der Mann in der Schlange neben mir besteht darauf, dass Wodka ohne Bier „zum Fenster hinausgeworfenes Geld“ sei. Also ein Bier, einen Wodka und ein Heringsbrot.
Als Ire ist mir das Lokal vertraut – es ist eine Altherrenkneipe, in der jeder den Gastwirt persönlich zu kennen scheint und man schräge Blicke erntet, wenn man die Kneipe zum ersten Mal betritt. Es herrscht jedoch eine angenehme Atmosphäre und das Lokal füllt sich rasch mit dem Feierabendpublikum, das in rege Diskussionen vertieft herumsitzt.
Was den Hering angeht – reden wir lieber nicht darüber.
Kosten: 410 Rubel (rund 5,50 Euro) – 120 Rubel (etwa 1,60 Euro) für Wodka, 80 Rubel (knapp 1,10 Euro) für Hering und 210 Rubel (rund 2,80 Euro) für Bier.
Gesamtkosten: 8,85 Euro
Der Laden weiß es vielleicht selbst nicht, aber er ist tatsächlich ziemlich genial.
Wie der Name verrät, gibt sich die Bar keine Mühe, ihre sowjetische Prägung zu verbergen. Auf die bestmögliche Art und Weise erinnert das Lokal an die Kantinenszene in Orwells „1984“, es ist unterirdisch, strikt funktional, leuchtend weiß und vollgepackt bis unter die Decke. Das vielleicht Beste an Tscheburetschnaja Sowjetunion ist das Publikum, das sich aus allen Altersgruppen zusammensetzt.
Ich kam mit einigen belgischen Reisenden ins Gespräch, denen der außergewöhnliche Charakter des Lokals besonders gefiel. Sie hatten einige Plakate aus der Sowjetzeit als Souvenirs erworben. Es ist vielleicht nicht die urigste Kneipe, die ich besucht habe, aber mit Sicherheit die lebendigste.
Kosten: 270 Rubel (knapp 3,70 Euro) – davon 150 Rubel (rund zwei Euro) für Bier und ein Wodka für 120 Rubel (etwa 1,60 Euro).
Gesamtkosten: 12,55 Euro
Während das letzte Lokal vielleicht im sowjetischen Stil gestaltet war, existiert Druschba (zu Deutsch Freundschaft) tatsächlich seit Sowjetzeiten und macht nicht den Eindruck, sich seitdem großartig verändert zu haben.
Trotz der unverfrorenen Schäbigkeit der Rjumotschnajas scheinen sie Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft anzuziehen. Obwohl einige Kunden im Mercedes vorfahren, stehen sie hier in der Schlange neben den Babuschkas und Studenten und knabbern an Tschebureki, den frittierten Fleischklößchen. Genau, wie die Sowjets es gewollt hätten.
Ich hatte in allen Rjumotschnajas lange Tische ohne Bestuhlung erwartet, aber Druschba war die erste, auf die das zutraf. Ich muss zugeben, dass mir das sehr gefiel. Warum bezahlen wir dafür, in geselliger Umgebung zu essen, wenn wir dann doch in unseren eigenen Grüppchen sitzen, abgeschieden von allen anderen Gästen?
Kosten: 190 Rubel (knapp 2,60 Euro), wofür wir einen Tscheburek für 50 Rubel (etwa 0,70 Euro) und eine Flasche Bier für 140 Rubel (knapp zwei Euro) bekamen.
Gesamtkosten: 15,15 Euro
Also gut, sie ist strenggenommen keine Rjumotschnaja, weil sie georgisch ist. Aber warum schließen wir sie nicht im Sinne der Vielfalt ein? Es ist eigentlich sowieso dasselbe: Der Besitzer beschreibt sein Etablissement als eine „günstige und fröhliche Gastwirtschaft mit Schwerpunkt auf georgischem Alkohol“. Lassen Sie uns der Richtigkeit halber Schpinat als „georgische Rjumotschnaja“ bezeichnen.
Ich bitte um Verzeihung, aber was das Essen in Russland betrifft, war ich immer der Meinung, dass die Georgier es besser machen. Nach dem Besuch dieses raffinierten Lokals bin ich der Meinung, diese Theorie trifft auch auf Alkohol zu: Der selbstgebrannte Kognak dort ist wirklich das Beste, was ich je probiert habe. Nach drei himmlischen Kurzen des Getränks entschied der Besitzer, wir hätten uns einen Tschatscha, georgischen Grappa, auf Kosten des Hauses verdient.
Während die anderen Rjumotschnajas im Sowjetstil alle ihren eigenen Charme besitzen, kommen sie jedoch an das einzigartige Flair, das der georgische Einschlag Schpinat verleiht, einfach nicht heran. Erstens ist jeder Zentimeter der Wand bedeckt mit psychedelischer Kunst, bei der man nicht anders kann, als sich zurückzulehnen und sie zu bewundern. Das ganze Erlebnis ist überraschend bewusstseinserweiternd, besonders nach ein paar Kognaks.
Die Bedienung ist erstklassig und außergewöhnlich einladend. Die Russen sind normalerweise nicht für ihre ausgesprochene Expertise auf diesem Gebiet bekannt, um es so zu sagen.
Tommy O'Callaghan
Tommy O'CallaghanSchpinat ist der perfekte Abschluss eines Ausflugs, der nicht nur bewiesen hat, wie günstig Russland sein kann, sondern mir das berüchtigte, aber selten verstandene Wesen der Trinkkultur Russlands offenbarte. Als ich die Einheimischen dabei beobachtete, wie sie Wodka hinunterkippten, fiel mir auf, mit welcher Ernsthaftigkeit sie das taten. In meiner Heimat trifft man sich „auf ein Bier“ und sieht dann weiter, oft mit Gewissensbissen. Wenn man in Russland seine Stigmata überwunden hat, die vielleicht mit Trunkenheit verbunden sind, scheint es geradezu als Affront, seinen Freunden nicht in die Besinnungslosigkeit zu folgen.
Anders gesagt, die Vorstellung von „halbherzigem Rjumotschnaja-Trinken“ ist ebenso absurd wie „ein paar riesige Wodkas leeren und dann nach Hause gehen“.
Kosten: 420 Rubel (rund 5,70 Euro) – dreimal selbstgebrannter Kognak je 140 Rubel (etwa 1,90 Euro)
Gesamtkosten: 20,95 Euro
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