In Zeiten globaler Krisen und Unsicherheiten ist das Internet voll von motivierenden Beiträgen und psychologischen Tutorials, um die schwierigen Zeiten durchzustehen. Dazu tragen auch die Russen selbstverständlich ihren Teil bei.
Es gibt keine Generation in Russland, die nicht schon einmal eine landesweite oder globale Krise erlebt hat. Es gab Finanzkrisen in 2012/2013, 2008 und 1998 nach dem Zusammenbruch der UdSSR. Es gab die Tschernobyl-Katastrophe, die ebenfalls in wirtschaftlich angespannte Zeiten fiel.
Und früher? Da waren die Revolutionen von 1917 und 1905. Und wenn wir noch weiter zurückgehen, dann führte auch die Abschaffung der Leibeigenschaft zum wirtschaftlichen Abschwung.
Fragen Sie irgendeine russische Babuschka, sie wird wissen, wie die Krise überwunden werden kann. Aufgrund ihrer Lebenserfahrung weiß sie Bescheid!
Die bewegte russische Geschichte hat dazu geführt, dass die Mehrheit der Russen noch nie viel hatte oder gar sparen konnte. Infolgedessen liegt ihnen Sparsamkeit in den Genen. Es mag auf den ersten Blick nicht so scheinen, wenn man Bilder von Landsleuten sieht, die Millionen auf Partys oder für Privatjets verprassen. Doch wissen Sie, wer am meisten verschwenderisch ist? Diejenigen, die vorher arm waren.
Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie viele Russen eine Kartoffel so schälen können, dass kein bisschen Fruchtfleisch entfernt wird. Oder wie viele Russen mühelos von zehn Euro pro Woche leben könnten. Wir müssen diese Fähigkeiten nicht einsetzen. Aber es ist gut, sie zu haben. Mal davon abgesehen: wer nichts hat, hat auch nichts zu verlieren.
In der Liste der Länder nach Bevölkerungsdichte belegt Russland den 181. Platz. Fast zwei Drittel des Landes sind schwer zugängliches Gebiet. Es ist eine angeborene russische Fähigkeit, sich auch in dünn besiedelten Gebieten nicht einsam zu fühlen. Sie lernen, wie sie mit ganz wenigen sozialen Kontakten überleben. Ihr Zuhause wird zur Festung und aus der Familie und den Nachbarn wird ein Team.
Im zaristischen Russland lebten einfache Bauern nicht alleine - sie waren immer Teil der Dorfgemeinschaft, genannt Obschtschina („община“, wörtlich „Gemeinschaft“). Wenn manchmal Hunderte von Kilometern zwischen zwei Dörfern liegen, ist es überlebenswichtig, sich mit den anderen Dorfbewohnern zu arrangieren.
Die Wohnungspolitik der Sowjetregierung erinnert seltsamerweise an die Leibeigenschaft. Die Menschen erhielten eine Wohnung und obwohl sie ihnen nicht gehörte, wurden sie dort registriert (das hieß Propiska). Zu Sowjetzeiten gab es keinen Immobilienmarkt. Im Grunde bedeutete Propiska, dass man nicht umziehen konnte.
Grundsätzlich waren viele Russen immer in irgendeiner Form verschuldet. Das Wenige, was wir hatten, mussten wir stabil absichern, mit etwas, was schwer wegzunehmen war. Für viele war das über die Jahrhunderte hinweg ein eigenes Stückchen Land.
Russische Dorfbauern arbeiteten auf dem Land, das Großgrundbesitzern gehörte, doch sie hatten auch ihr eigenes kleines Reich, auf dem sie ihr Haus errichteten und Gemüse anbauten. Mehr als das und die persönlichen Habseligkeiten besaßen die meisten Russen nicht.
Im postsowjetischen Russland bleibt nach der Massenprivatisierung von Häusern und Wohnungen das Wohneigentum die wertstabilste Form des Vermögens. Ungefähr 78,8 Millionen Menschen (rus) sind derzeit direkte Eigentümer von Wohnungen oder Häusern. 46 Prozent der Russen (rus) besitzen auch eine Datscha, ein Haus auf dem Land.
Wie hätten die riesigen Gebiete Russlands erkundet, besiedelt und zivilisiert werden können, wenn jeder Schritt erst von den Behörden hätte genehmigt werden müssen? In der Vergangenheit, als es Monate dauerte, bis die Korrespondenz entlegene Gebiete erreichte, mussten viele Russen auf eigenes Risiko selbst handeln, ihre eigenen Entscheidungen treffen und selbst aktiv werden.
Das war nicht nur ein Zeitvertreib. Eine soziologische Untersuchung (rus) der sogenannten „Garagenwirtschaft“ in den russischen Regionen aus dem Jahr 2016 ergab, dass beispielsweise in der Region Samara 40 Prozent aller Autoteile in privaten Werkstätten hergestellt werden und in der Region Uljanowsk ist die Möbelproduktion zu 80 Prozent in der Hand von Privatleuten.
Anderen Untersuchungen zufolge sind derzeit etwa 25 Prozent (rus) der Erwerbsbevölkerung in Russland (ca. 15-17 Millionen Menschen) selbständig.
Kürzlich hat ein Klempner meine Badewanne repariert, und ich fand, dass er diese schwierige und komplizierte Aufgabe wunderbar gemeistert hat. Wenn ich das nächste Mal Hilfe bei der Installation benötige, rufe ich ihn direkt persönlich an und nicht seine Firma. Er kann mir auch die Nummern seiner Bekannten geben, die meine Fensterrahmen austauschen können oder was auch immer. Dieses „Ich kenne jemanden, der jemanden kennt“-Prinzip geht immer weiter.
In Krisenzeiten würde dieses Netzwerk auch ohne Geld funktionieren.
Aber wie geht das aktuell während der Coronavirus-Epidemie? Laut russischer Analyse nutzen über 80 Prozent (rus) der Russen das Internet, 65 Prozent davon jeden Tag. Vom 23. März bis 12. April sind russische Schulen wegen des Coronavirus geschlossen. Millionen russischer Schulkinder lernen nun online über Co-Study-Plattformen, Video-Streaming, Messenger usw. Alle sind bereits integriert in den Lernprozess. Viele Schüler wechseln auch zum Fernunterricht. Zum gemeinsamen Austausch ist nicht immer körperliche Präsenz notwendig.
Jede Epoche der russischen Geschichte hat ihre eigenen Scherze hervorgebracht. Die Corona-Pandemie bildet keine Ausnahme.
Es ist immer eine gute Idee, sich einer Situation mit Humor zu nähern. Sie müssen nicht übers ganze Gesicht strahlen, es reicht ein Schmunzeln. In Zeiten wie diesen können Sie sich aber auch ein „russisches Gesicht“ zeigen, also gar nicht fröhlich schauen.
Täuschen Sie keine gute Laune vor, wenn Sie in Wahrheit Probleme haben. Ein freundlicher und hilfsbereiter Mensch kann man auch sein, ohne dabei die ganze Zeit ein Lächeln zur Schau zu tragen. Bleiben Sie gelassen!
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