Denis Protsenko
Sergei Wedjaschkin/Moskva AgencyFast alle mutmaßlichen COVID-19-Patienten in Moskau werden in einem kürzlich errichteten Krankenhaus in Kommunarka behandelt. In einem Interview mit „Russia Today“ beantwortet Chefarzt Denis Protsenko einige der am häufigsten gestellten Fragen zum neuartigen Coronavirus.
„Vor allem Fieber, also eine Körpertemperatur über 38 °C, ist symptomatisch. Alle unsere Patienten, die positiv auf COVID-19 getestet wurden, hatten Fieber. Bei einigen lässt das Fieber von selbst nach oder nach einer Einmalgabe von Paracetamol. Wir überwachen diese Patienten. Aber wir behandeln sie nicht, obwohl sie positiv auf COVID getestet wurden. Sie erholen sich auch so.
Ein schwerer Verlauf der Krankheit zeigt sich bei einer Kombination aus Fieber, trockenem Husten ohne Auswurf, Atemnot und einem sehr alarmierenden Zeichen – einer sinkenden Sauerstoffsättigung des Blutes. Letzteres tritt auf, wenn eine große Menge Lungengewebe durch das Virus geschädigt ist und seine Aufgabe, den Sauerstofftransport, nicht mehr erfüllen kann. Wenn dem Körper Sauerstoff fehlt, kommt es zu Kurzatmigkeit.“
„In Moskau ist die Situation in Bezug auf die Berichterstattung sehr transparent. Moskau hat derzeit 141 bestätigte COVID-Fälle [die Gesamtzahl für Russland beträgt 253, Anm. der Red.]. Wir vertuschen nichts.
Die Situation ist angespannt und ich sehe den Trend, dass das Durchschnittsalter der Patienten steigt. Während wir zuvor vor allem junge Patienten, Italienrückkehrer, hatten und deshalb der Krankheitsverlauf wohl meist weniger schwer war, beobachten wir nun einen Anstieg beim Durchschnittsalter. Es steigt von 35 auf 37 bis 39 Jahre. Wir bekommen jetzt auch vermehrt ältere Patienten, derzeit sind es sechs. Keiner wird künstlich beatmet.
Moskau hat ungefähr 5.000 funktionierende Beatmungsgeräte in städtischen Krankenhäusern, private Geräte nicht einberechnet. Ich glaube, Moskau ist bereit für das Virus, aber wir brauchen mehr medizinisches Personal.“
„In Moskau wächst die Zahl der Fälle exponentiell, aber dieses Wachstum ist begrenzt. Es ist nicht wie in Italien, wo sie am Freitag zwei Patienten hatten und am Montag schon 500.
Wir bereiten uns vor. Wir funktionieren die Krankenhäuser um, wir schulen Anästhesisten, wir wissen, wie man sich in dieser Situation verhält und wir haben viele Freiwillige, die nicht danach fragen, wie viel sie verdienen können.
Die geringe Anzahl von Fällen ist kein Wunder, sondern ein Ergebnis der drakonischen Maßnahmen, die in Moskau eingeführt wurden: konsequente Rückverfolgung von Kontakten, Isolation usw. Unsere Bemühungen zeigen gute Erfolge!“
„Ein großer Teil unserer Patienten erholt sich nach einer Einmalgabe von Paracetamol, weil sie jung sind. Wir hatten aber auch schon einen Patienten, der 44 Jahre alt war, d.h. er gehörte zwar nicht zu einer Risikogruppe. Aber er war Raucher, was sich negativ auswirkt. Er verbrachte neun Tage auf der Intensivstation. Wir sind alle unterschiedlich und reagieren dementsprechend auch alle unterschiedlich. Einige Menschen bemerken nicht einmal, wenn ihre Temperatur über 37,5 °C steigt, während andere davon bereits völlig außer Gefecht gesetzt werden.
Wir haben zunächst einen ernsthaft erkrankten Patienten mit Aminopenicillin (Antibiotikum) behandelt. Als das keine Besserung brachte, haben wir andere Antibiotika eingesetzt. Als es noch keine Bestätigung der Viruserkrankung gab, haben wir eine Mischung gegen alle möglichen Arten von Fieber gegeben.
Nach der Bestätigung, dass eine Covid-19-Erkrankung vorliegt, haben wir eine kombinierte antiretrovirale Therapie [die zur Behandlung von HIV angewendet wird] mit Kaletra (Lopinavir + Ritonavir) begonnen. Das Coronavirus ist nicht dasselbe wie ein Retrovirus. Es ist anders, aber wir behandeln es dennoch mit Kaletra, weil das vor allem in China gute Ergebnisse gezeigt hat. Dort haben Ärzte festgestellt, dass sich Patienten erholten nachdem ihnen Kaletra verabreicht wurde. Wir haben den gleichen Behandlungsansatz verfolgt. Kaletra hat einige Nebenwirkungen, wie Durchfall, aber wenn es um Leben oder Tod geht ... Wir haben den schwer erkrankten Patienten nach seiner Behandlung mit Kaletra inzwischen entlassen können.“
„Weil es immer einen Plan B geben muss. Und in diesem Plan B ist es besser, auf Nummer sicher zu gehen. Es ist besser, lächerlich zu erscheinen, wenn man in einem Monat ein Krankenhaus baut, das niemand braucht, als das erleben zu müssen, was gerade in Italien passiert. Darum geht es, es dreht sich um den Schutz der Menschen.“
„Ich denke, das hängt mit den strengen Quarantänemaßnahmen dort zusammen. Aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe mit Experten gesprochen, die in Wuhan waren. Glauben Sie, die Chinesen haben irgendjemandem etwas gezeigt? Nein. Sie müssen sehr strikte, unpopuläre Maßnahmen durchgesetzt haben.
In Moskau wurden die Kontakte der Erkrankten streng überwacht. Die Lage in anderen russischen Städten mit mehr als einer Million Einwohnern ist immer noch relativ entspannt.“
„Ich habe zwei Probleme mit dem britischen Szenario [die Briten wenden keine strikten Maßnahmen an und setzen auf das Prinzip der Herdenimmunität].
Erstens reicht es nicht für alle, insbesondere ältere Menschen, ihnen Lebensmitteln und Toilettenpapier vor die Tür zu stellen und Skype einzurichten. Ältere Patienten sind teils bettlägerig oder Schlaganfallpatienten, die versorgt werden müssen. Was ist mit ihnen?
Zweitens, bis wir wissen, wie es in Italien weitergeht, ob in einigen Monaten das Virus erneut ausbrechen wird, wissen wir auch nicht, ob sich eine Herdenimmunität überhaupt entwickelt. Somit weist das britische Modell gewisse Schwächen auf.
Deshalb erscheint mir der italienische Weg - Isolation bei gleichzeitiger Entwicklung eines Impfstoffs - humaner. Und da ich sehe, was in Italien passiert, sollte Moskau geschlossen werden. Auch Carsharing sollte verboten werden.
Denken Sie an die Spanische Grippe. Wir haben noch keine vergleichbare Sterblichkeitsrate, aber als Notfallarzt gehe ich immer vom schlimmsten Fall aus.“
„Wenn wir dem chinesischen Szenario folgen, hoffe ich, dass dies alles im Mai oder Juni beendet ist. Wenn wir den italienischen Weg gehen und die Anzahl der Fälle explodiert, können wir uns erst im September als ‚glücklich‘ betrachten."
„Um über die Genauigkeit eines Tests sprechen zu können, müssen zunächst umfangreiche Beobachtungen und Berechnungen durchgeführt werden. Derzeit testen wir nur mit der Methode der Polymerasekettenreaktion (PCR). Wir testen noch nicht auf Antikörper. Deshalb können wir nicht sicher sagen, ob dieser Test genau ist. Aber wir können auch nicht das Gegenteil sagen. Wir machen den Test dreimal. Wir hatten noch keine Fälle, in denen der erste Test positiv war und die folgenden negativ.“
„Nicht in Panik ausbrechen! Befolgen Sie die Anweisungen der Gesundheitsbehörden. Kümmern Sie sich um ältere Mitbürger. Getestet werden sollten nur Risikopatienten. Wenn Sie durch die Stadt zu reisen, um einen Test zu machen, bringen Sie unter Umständen andere in Gefahr.“
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