In Russland ist, wie in vielen anderen Ländern, das öffentliche Leben nahezu zum Stillstand gekommen. Seit dem 17. März sind alle Schulen und Universitäten geschlossen. Alle öffentlichen Veranstaltungen wurden abgesagt und vielen Arbeitnehmern wurde geraten, von zu Hause aus zu arbeiten.
Wenn ich während meiner Selbstisolation von meinem Homeoffice in Moskau aus, einen Blick aus dem Fenster werfe, sehe ich draußen den Frühling. Massen von Menschen gehen spazieren, Kinder toben auf den Spielplätzen, andere kommen vollgepackt mit riesigen Einkaufstaschen aus den Supermärkten. Und ich frage mich, ob DAS Selbstisolation ist?
Nach dem ersten Tag Homeoffice verlasse ich meine Wohnung und bin sehr vorsichtig. Ich versuche, eine Begegnung mit den Nachbarn zu vermeiden, ich vergewissere mich, dass der Aufzug leer ist, bevor ich ihn betrete.
Draußen erwarte ich so etwas wie eine postapokalyptische Landschaft. Doch das sehe ich nicht. Es ist ein normaler Abend, wie sonst auch. Ich überwinde meine eigene Angst und das Gefühl von Gefahr und betrete ein Lebensmittelgeschäft.
Es ist rappelvoll und niemand trägt eine Maske. Ich kaufe das einzige, was ich vergessen habe, um mich auf die Selbstisolierung vorzubereiten (und es ist kein Buchweizen - nur ein paar Dosen mit Bohnen und Fisch).
Dann überlege ich, ob ich eine Maniküre machen lasse. Ich habe einen Termin und will meine langen Gelnägel loswerden, da sie ein richtiges Händewaschen nicht erlauben, wie dieses Bild zeigt.
Als ich den Schönheitssalon in der Nachbarschaft betrete, sitzen dort mehrere Mädchen in angemessenem Abstand voneinander. Die Angestellten tragen Masken. Mir wird ein abgelegener Platz zugewiesen und ich entspanne mich ein wenig.
„Schneiden Sie sie bitte ab“, sage ich und ernte einen entsetzen Ausruf.
„Oh nein, Warum?“
„Wegen des Coronavirus“, versuche ich zu scherzen.
„Ah, das ist lächerlich. Scheint, als hätten die Menschen alle nichts gelernt in der Schule. Es gibt kein Coronavirus. Wir werden nur alle verrückt gemacht!“
Ich öffne den Mund, um ein wenig zu diskutieren, da ich seit einigen Wochen über Covid-19 berichte, viel über das Virus gelesen und es ausführlich mit Journalisten aus der ganzen Welt diskutiert habe.
„Ah, das ist Blödsinn, das Virus ist genau wie die gewöhnliche Grippe!“ Die Nageldesignerin glaubt fest an das, was sie sagt, also mache ich den Mund wieder zu und gebe den Versuch auf, sie vom Gegenteil überzeugen zu wollen.
Mit einer Mischung aus Belustigung und Zweifel schreibe ich meiner Freundin eine SMS über das Gespräch mit der Nageldesignerin und frage sie, ob sie von zu Hause aus arbeitet.
„Ich bin zu Hause, aber das liegt daran, dass ich wirklich krank bin“, antwortet sie. Sie sagt, sie habe sich erkältet. Einen Arzt habe sie nicht angerufen. „Ich habe eine laufende Nase und kein Fieber. Ich habe gelesen, dass dies keine Anzeichen für ein Coronavirus sind. Das ist sicher nur SARS!“ Und sie kündigt an, dass sie morgen wieder zur Arbeit gehen werde.
Ich versuche, ihr einen Vortrag über die Wichtigkeit der Selbstisolation zu halten und dass sie eine milde Form des Coronavirus haben und andere infizieren könnte, einschließlich ihrer Großeltern und der Großeltern ihrer Kollegen.
Sie sagt, das sei kein Problem, sie werde ihre Großeltern eine Weile nicht sehen … Zur Arbeit gehe sie trotzdem, denn ihr Chef halte jeden, der Vorsichtsmaßnahmen gegen das Coronavirus treffe, für einen dummen Idioten.
„Ha, in Russland sind nur 114 Menschen [Stand 17. März] infiziert - nicht einmal annähernd das, was in Italien passiert - und bedenke, wie viel größer unser Land ist“, schreibt eine andere meiner Freundinnen, bei der ich über die vorherige geklagt habe.
Ich gebe nicht auf: „Ja, aber ich bin mir sicher, dass es viele wie sie gibt, die sich einfach nicht melden und nicht getestet werden.“
Doch diese Freundin hört mir auch nicht richtig zu. Sie schickt mir nur lustige Memes und Bilder über Leute, die Toilettenpapier hamstern und sagt, dass sie Idioten seien: „Warum kaufen sie es? Ich meine, sie können immer online bestellen oder sich einfach waschen!“
Ich frage, ob sie von zu Hause aus arbeitet. Sie sagt nein. Sie hätte leicht zu Hause bleiben können, geht aber trotzdem zur Arbeit. „Nun, ich habe meinen Eltern gesagt, sie sollen nicht nach draußen gehen, aber sie tun es trotzdem - und es scheint, als ob es ihnen vorerst gut geht. Nein, wirklich, ich möchte bei der Panik nicht mitmachen“, klagt sie.
Ich frage bei meinen Verwandten, ob sie sich bereits selbst isoliert haben oder zumindest nicht mehr den öffentlichen Raum betreten. Meine Tante ist überrascht zu hören, dass ich von zu Hause aus arbeite. „Lol, haben sie Dir einen Mikrochip implantiert und beobachten dich?“, schreibt sie. „Nein, Tante! Es liegt in meiner eigenen Verantwortung, das Virus nicht weiter zu verbreiten!“ Ich schreie es buchstäblich. „Aha ok. Aber wirklich - es scheint eine Paranoia zu sein. Glaubst du wirklich, dass das so ernst ist?“
Alle meine Freunde, die in den Frühlingsferien Reisen nach Europa planten, mussten ihre Flüge stornieren. Russland schließt auch die Grenzen für ankommende Ausländer.
Aber dann höre ich, dass die Kollegen einer Verwandten gerade aus Spanien zurückgekommen sind und nicht zu Hause sitzen wollten. Doch sie musste in Quarantäne.
Hier und da auf Facebook stoße ich auf Smartasses - so nenne ich sie jetzt. Viele von ihnen posten, dass alle anderen dumm seien und in Panik ausbrechen, während sie ganz gelassen blieben und überzeugt seien, dass ihnen nichts passieren werde.
Gleichzeitig sehe ich zu meiner Freude mehrere Posts, die dazu aufrufen, Hände zu waschen, Desinfektionsmittel zu verwenden und auf die Großeltern aufzupassen - aber das sind nur sehr wenige!
Nun, die Leute glauben vielleicht nicht an das Coronavirus, aber sie mussten an die Selbstisolation glauben. Deshalb kaufen sie Vorräte - wie überall in diesen Zeiten.
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