Der russische Premierminister Michail Mischustin beauftragte das Ministerium für Kommunikation und Massenmedien am 23. März, ein System zu schaffen, das die Bürger, die in Kontakt mit Coronavirus-Patienten gekommen sind, aufspürt und ihnen SMS-Nachrichten sendet, um sie über die Notwendigkeit der Selbstisolierung zu informieren. Das System sollte binnen kürzester Zeit entwickelt werden – bis zum 27. März 2020.
Technisch sei es möglich, ein solches System zu schaffen, wurde die Zeitung Kommersant vom Pressedienst des russischen Mobilfunkbetreibers MegaFon informiert. Eine ähnliche Lösung wird beispielsweise vom Katastrophenschutzministerium Russlands verwendet, um die Bürger vor Notsituationen zu warnen. „Der vom Kommunikationsministerium vorgeschlagene Mechanismus zur Realisierung des Projekts ist jedoch noch nicht ganz klar. Möglicherweise sind Anpassungen im Regulierungsbereich erforderlich“, erklärte MegaFon.
Ein Mitarbeiter eines der russischen Mobilfunkbetreiber bestätigte anonym, dass es in Siedlungen mit dichter Bebauung möglich sei, den Standort eines Teilnehmers zu verfolgen, die Genauigkeit werde jedoch nur etwa 50 Meter betragen. Auf dem Land wird die Abweichung noch höher sein, ist der nicht genannt werden wollende Mitarbeiter des Betreibers sich sicher.
Dmitri Peskow, Sprecher des Präsidenten Wladimir Putin, versicherte Reportern, dass das Trackingsystem die Rechte der Bürger nicht verletze.
Der Anwalt der Menschenrechtsorganisation Agora ist ebenfalls der Meinung, dass die Erfassung der Bewegungsprofile der Bürger legal sei, aber nur, wenn der am Coronavirus Erkrankte seine Zustimmung gibt. Falls die infizierte Person sich weigere, nachverfolgt zu werden, sei es nur auf gerichtliche Anordnung möglich, ihre Bewegungen zu verfolgen – entweder im Rahmen eines Untersuchungs- oder eines Strafverfahrens.
Eine Nachverfolgung würde auch illegal sein, wenn die Geolokalisierung mit Namen, Telefonnummer und Adresse von Personen, die mit dem Erkrankten in Kontakt stehen, verknüpft und diese von einer Rettungsmannschaft aufgesucht werden. Das würde bereits in die Privatsphäre eingreifen, versichert der Anwalt.
Am 24. März veröffentlichte der Telegram-Kanal Mash eine Karte mit der Verbreitung des Coronavirus in Moskau. Sie zeigt die Adressen aller Häuser, aus denen Coronavirus-Infizierte in Quarantäne überführt wurden.
„Warum denkt niemand daran, dass wir Verwandte und eine Privatsphäre haben? Niemand hat mich um die Erlaubnis gefragt, dass meine Adresse in sozialen Netzwerken veröffentlicht wird. Ich möchte nicht, dass meine Mutter belästigt wird oder irgendjemand Angst vor ihr hat. Ich werde mich an Menschenrechtsorganisationen wenden!“, erklärte Maria Muchina, deren Adresse ebenfalls auf der Liste stand.
Aus diesem Grund hat die Menschenrechtsorganisation Agora am 19. März eine Stelle für Rechtsbeistand im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie eingerichtet.
„Bis zum 23. März haben mehr als 100 Personen an die Beratungsstelle von Agora gewandt“, schrieb der Leiter der Organisation, Pawel Tschikow, auf seiner Facebook-Seite. Seiner Meinung nach seien die größten Probleme die Zwangseinweisung ins Krankenhaus und die Unmöglichkeit, eine Bescheinigung über das Ergebnis des Coronavirus-Tests zu erhalten.
Die Leute beschweren sich auch darüber, dass Bürgern mit einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung die Rückreise nach Russland verwehrt sei und sie keinen Anspruch auf eine Rückerstattung der Flugkosten haben.
„Die Mitarbeiter der Beratungsstellen werden auch zu Fragen einer Krankschreibung, der Arbeit im Home-Office und vorübergehender Ausfallzeiten konsultiert. Die Juristen von Agora haben bisher jeden Erschienenen beraten und die Beratungsstellen werde ihre Arbeit fortsetzen“, schrieb der Leiter der Organisation.
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