Die eiskalte Arktis ist ein heiß begehrter Landstrich.
Alamy/Legion-MediaDer Klimawandel schreitet voran, die nordpolare Eisschicht schmilzt kontinuierlich. Und Russland schleift an seiner Rolle im fernen Norden. Nach 14 Jahren unternimmt das Land einen erneuten Versuch, weite Teile des an die Außenbereiche des russischen Festlands angrenzenden arktischen Kontinentalsockels für sich zu beanspruchen.
Im August hat Russland einen entsprechenden überarbeiteten Antrag bei den Vereinten Nationen eingereicht, wie es in einer Mitteilung des russischen Außenministeriums heißt. Demnach beansprucht Russland Anrechte auf 1,2 Millionen Quadratkilometer Unterwasserfläche, die sich auf über 350 Seemeilen vor der Küste Russlands erstreckt. „Als Grundlage zieht Russland eine umfassende wissenschaftliche Datensammlung heran, die im Verlauf jahrelanger Arktisforschung erhoben wurde“, heißt es beim Außenministerium.
Der potenzielle wirtschaftliche Nutzen, der sich aus diesem territorialen Besitz erschließen würde, lässt sich praktisch nicht beziffern. „Wie bereits feststeht, verläuft unter der Laptewsee, auf der Oberfläche des Schelfs eine Diamantenader, die es Russland ermöglichen würde, gegenüber anderen Edelsteinproduzenten noch wettbewerbsfähiger zu werden“, bemerkt Vera Smortschkowa, Professorin für Arbeits- und Sozialpolitik an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst. Auch die profitablen Strecken des Nördlichen Seewegs führen durch dieses Gebiet. Zudem weisen geologische Befunde im Meeresgrund auf Öl- und Gasvorkommen hin: Rund 30 Prozent der weltweiten Erdgas- und 15 Prozent der Erdölreserven lagern dort.
Es ist nicht das erste Mal, dass Russland versucht, seine Territorialansprüche durchzusetzen. „2001 beantragte das Land die Übernahme eines kleineren Teils des Lomonossow-Rückens, konnte allerdings nicht nachweisen, dass das Gebiet eine Erweiterung des russischen Festlands ist“, erinnert Smortschkowa.
Die UN-Seerechtskonvention aus dem Jahr 1982 erlaubt es Ländern, ihre Wirtschaftszonen über die sichtbare Küstenlinie hinaus auszuweiten – vorausgesetzt, der über ihre Landesgrenzen hinausreichende Meeresgrund ist eine natürliche Erweiterung des Kontinentalrands. In seinem Antrag erhebt Russland den Anspruch auf den Lomonossow-Rücken, den Alpha-Rücken, das Tschuktschi-Plateau und einige weitere Teile des Meeresgrunds.
Politisches Echo
„Die Entscheidung, die Schelfgrenzen auszuweiten, ist nicht nur eine geografische oder wirtschaftliche. Sie birgt auch das Risiko, zu einem politischen Thema zu werden“, betont Alexej Kozlow, Chefanalyst der Investmentgesellschaft UFS. Kanada, Norwegen und Dänemark könnten nämlich ebenfalls Ansprüche erheben. Auch die USA könnten Forderungen stellen.
Unlängst hat Ed Royce, Abgeordneter aus Kalifornien und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses, die US-Regierung aufgerufen, Russland in dieser Angelegenheit Paroli zu bieten. „Russland treibt seine Ansprüche in der Arktis aggressiv voran, besonders hinsichtlich des ressourcenreichen Kontinentalschelfs. Es hat inzwischen eine Arktis-Einsatztruppe, um die militärische Präsenz in der Region zu verstärken“, mahnte Royce im August bei einer Anhörung zum Thema. „Die USA und andere arktische Anrainerstaaten müssen eine gemeinsame Front gegen Moskaus aggressive Ambitionen in dieser lebenswichtigen Region schaffen“, forderte er.
Lebensräume schützen
Umweltschützer fürchten hingegen, dass die politischen Ambitionen der wetteifernden Länder den besonderen Lebensraum der Arktis bedrohen könnten, wo einzigartige Tierarten wie Walrösser und Eisbären leben. Sie fordern daher die Einrichtung einer internationalen Sonderschutzzone. „Die Eisschmelze legt ungeheure Flächen in den nördlichen Meeren frei und macht sie verwundbar“, sagt Wladimir Tschuprow, Direktor des Energieprogramms von Greenpeace Russia. „Millionen von Menschen rufen die Regierungen deshalb dazu auf, ein internationales Naturreservat rund um den Nordpol einzurichten. So kann diese Wasserlandschaft von der Industrie freigehalten werden und ihre Natur unberührt bleiben.“
Der Aktivist hält eine Ölförderung in der Arktis zudem für wirtschaftlich nicht sinnvoll. „Es existiert schlicht noch keine Technologie, mit der man im Frost, Eis und in ungeheurer Tiefe bohren könnte. Ökonomen und Geologen sagen das immer deutlicher, auch in Russland“, betont Tschuprow.
Die russische Botschaft in Washington versucht zu beschwichtigen. Auf Anfrage von RBTH ließ sie wissen, dass Russland die Arktis als Gebiet des Dialogs und der Kooperation sehe: „Wir respektieren, dass unser gesamtes Vorgehen in der Region sich innerhalb völkerrechtlicher Rahmenbedingungen bewegen muss. Russland lehnt die Politisierung der internationalen Kooperation in der Arktis vehement ab. Erfolg ist nur dann zu erzielen, wenn die Arktisanrainer vereint sind und gemeinsam handeln. Die Zukunft der Region, die Implementierung von Umweltschutzmaßnahmen und die Verbesserung der Bedingungen für die Residenten des fernen Nordens sollten nicht von außerregionalen Ereignissen abhängen.“
Der russische Antrag wird aus Verfahrensgründen nicht so bald geprüft werden. Aber das Thema werde auf die vorläufige Agenda der Sitzung der UN-Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels im Februar oder März kommenden Jahres gesetzt, versprach der stellvertretende UN-Sprecher Farhan Haq.
Russische Ingenieure des Staatlichen Krylow-Forschungszentrums in Sankt Petersburg tüfteln an einem neuen Atomeisbrecher, der das ganze Jahr hindurch im Einsatz sein kann. Der Grundentwurf steht bereits, aktuell werden Konstruktionspläne ausgearbeitet. Das Schiff soll bis zu 20 Meter dicke Eisschichten durchbrechen können.
Erst in diesem Jahr lief die „Ilja Muromez“, das Flaggschiff der russischen Eisbrecher-Flotte, vom Stapel. Es ist das erste von insgesamt vier dieselelektrischen Schiffen dieser Art, die zur Versorgung in der Arktis eingesetzt werden sollen. Mit 40 Einheiten besitzt Russland gegenwärtig die weltgrößte Eismeerflotte.
Die Größe und die Ausgereiftheit der russischen Flotte waren entscheidend für die Einbeziehung Russlands in die neue Arktische Küstenwache, die am 30. Oktober ins Leben gerufen wurde. Acht Länder stellen die dafür notwendigen Schiffe bereit. Bei der Verkündung erklärte der General der US-Küstenwache Paul Zukunft, Russland verfüge in der Arktis über eine Vormacht an Ressourcen. Daher sei es entscheidend, das Land mit ins Boot zu holen.
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