Wahlen in Russland: Mit wem tritt die Opposition an?

Der Gründer von Jabloko und der erste Präsidentschaftskandidat Grigorij Jawlinskij ist ein kompromissloser Kremlkritiker.

Der Gründer von Jabloko und der erste Präsidentschaftskandidat Grigorij Jawlinskij ist ein kompromissloser Kremlkritiker.

Kommersant
Die systemferne Opposition hat den Wahlkampf für die Parlamentswahlen aufgenommen und den ersten Präsidentschaftskandidaten vorgestellt. Der russische liberale Flügel kämpft um jede Stimme, aber auch mit sich selbst.

Ein Reformprogramm, das man in seiner Auswirkung mit der Aufhebung der Leibeigenschaft, dem europäischen Entwicklungsweg und dem Ausmisten des „Augiasstalles“ der Regierung vergleichen könne – mit solchen Ankündigungen ist die systemferne Opposition in den Wahlkampf gezogen. Ziel sind die Parlamentswahlen am 18. September 2016 und die Präsidentschaftswahlen am 11. März 2018.

Der erste Präsidentschaftskandidat steht bereits fest: Grigorij Jawlinskij, der Gründer von Jabloko, der ältesten demokratischen Partei des Landes, und zum vierten Mal am Start im Kampf um den Präsidentenposten. "Bei den Wahlen gewinne ich gegen Putin", sagte er im Interview mit der Nachrichtenagentur "Interfax".

Die aktiven Zeiten sind vorbei

Der Wirtschaftsexperte Jawlinskij ist ein kompromissloser Kremlkritiker. 1991 trat er gegen die sogenannte „Souveränitätsparade“ auf, die die Gesetzgebung der Republiken über die der Union stellte, was letztlich zum Zusammenbruch der UdSSR führte. Später bekämpfte er die Reformen der Jelzin-Regierung und die Privatisierung. 1998, im Jahr des Staatsbankrotts, verweigerte er die Zusammenarbeit mit der Regierung und lehnte den ihm angebotenen Posten des ersten Vize-Ministerpräsidenten ab. 

Als dann Wladimir Putin die Bühne betrat, wurde Jawlinskij gleich zu dessen politischem Gegner. Er verlor die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 – mit 5,8 Prozent der Stimmen belegte er den dritten Platz. Es war zu erwarten, dass die 1993 gegründete Partei Jabloko die erste demokratische Partei im Lande sein würde, die sich konsequent und offen vom politischen Machtzentrum distanziert.

Es scheint, dass Konsequenz generell die Haupteigenschaft sowohl Jawlinskijs als auch seiner Partei ist. Einziges Problem: Die Zeiten Jablokos sind längst vorbei. Jawlinskij ist seit sechs Jahren nicht mehr im Fernsehen aufgetaucht – er hat die Partei in andere Hände übergeben und sich in den Hintergrund zurückgezogen, wo er den Platz eines grauen Kardinals eingenommen hat.

Die Partei selbst ist seit 2003 nicht mehr über eine Fraktion im Parlament vertreten. Die Reaktion in den sozialen Netzwerken auf die Mitteilung über Jawlinskijs Aufstellung als Kandidat waren bezeichnend: „Ach, der lebt noch?“, wunderte sich die Netzgemeinde. Politologen prognostizieren ihm gegenwärtig höchstens ein bis zwei Prozent der Stimmen.

Starke Opposition – einige Opposition?

Seit den letzten Duma-Wahlen im Dezember 2011 wird das russische Parlament alle fünf Jahre gewählt. 1995 bis 2011 fanden die Wahlen im Vier-Jahres-Turnus statt.

Kurz vor seiner Aufstellung zum Präsidentschaftskandidaten hatte die liberale Öffentlichkeit sich an die Liberalen des anderen Lagers – die Partei Parnas – gewandt und zur Fusion mit der Partei Jabloko aufgerufen, zur „Rettung des Landes“. Parnas schien dazu bereit zu sein, Jabloko dagegen nicht besonders. Die Partei schlug den „Parnasern“ stattdessen vor, überzutreten und Jawlinskij zu unterstützen.

Jabloko hat eigentlich schon immer weder die Taktik noch das politische Programm ihrer Konkurrenten im eigenen Lager unterstützt. Im Unterschied zur Partei Parnas, die es liebt, die Menschen auf die Straße zu holen, glauben die „Jablotschniki“, wie sie im Volksmund genannt werden, nicht daran, dass das politische System in Russland durch öffentliche Aktionen und Kundgebungen verändert werden kann.

„Wenn man die westlichen Modelle an die russische Realität anpassen würde, so zählte Jabloko am ehesten zum linken Flügel sozial-liberaler Parteien. Parnas dagegen ist eine konservative Partei im Sinne von Reaganomics und Thatcherismus“, erklärt Igor Bunin, Direktor des Zentrums für politische Technologien. Kurz gesagt jene, die die politischen und wirtschaftlichen Reformen in den Neunzigerjahren – die den „Jablotschniki“ so verhasst waren – zu verantworten haben.

Heute steht Parnas der ehemalige zweite Mann in Russland, der frühere Ministerpräsident der Putin-Regierung, Michail Kasjanow, vor. Der ist auch als „Mischa-zwei-Prozent“ bekannt. Diesen Spitznamen hatte Kasjanow noch vor seiner Zeit als Premier verpasst bekommen, als er dem Finanzminister vorstand. Es wird kolportiert, dass dies die Höhe des Anteils war, mit dem Minister Kasjanow sich schmieren ließ. 

Nach seinem Abtritt im Jahr 2004 wurde Kasjanow zum Oppositionellen. Im Januar dieses Jahres versprach er, der Ukraine die Krim zurückzugeben, woraufhin ihm in einem Moskauer Restaurant mit dem Ausruf „Du Verräter!“ eine Torte ins Gesicht geworfen wurde. „Kasjanow hat sich in letzter Zeit in einen gewöhnlichen Politiker verwandelt – aktiv, ambitioniert, charismatisch. Aber ihm hängen die Neunzigerjahre immer noch an, alle halten ihn für korrupt, obwohl sich niemand öffentlich dazu äußern will“, bemerkt Bunin. 

Jeder für sich allein

Jawlinskij und Kasjanow sind ganz offensichtlich politische Schwergewichte im Lager der Liberalen, wenn sie auch beide nicht sonderlich populär sind. Aber andere Kandidaten mit wenigstens einer minimalen landesweiten Bekanntheit gibt es bei den Liberalen nicht. Außer vielleicht Alexej Nawalny, aber der darf aufgrund seiner Vorstrafe nicht bei den Wahlen antreten.

Alexey Nawalny (l.), Vorsitzender der Fortschrittspartei, und Michail Kasjanow (r.), Chef von Parnas, entschieden im April 2015, gemeinsam mit der Oppositionspartei Demokratische Wahl als Bündnis bei den Duma-Wahlen 2016 anzutreten. Aufgrund seiner Vorstrafe darf Nawalny jedoch nicht kandidieren. Foto: Tass

„Für Parnas stimmen Menschen, die es gerne sähen, wenn das ganze System zum Teufel gehen würde. Wer vorsichtiger ist, zieht Jawlinskij vor“, sagt Bunin. Aber im Großen und Ganzen verfügten sie über annähernd die gleiche Wählerschaft, sind sich Politologen einig.

Es scheint, als sei die Frage der Fusion lediglich für die Parteiführung von prinzipieller Bedeutung. Höchstwahrscheinlich wird es dazu aber nicht kommen. Laut der Februar-Meinungsumfrage des Lewada-Zentrums würden alle systemfernen liberalen Parteien bei den Parlamentswahlen gerade einmal auf einen Prozent der Stimmen kommen.

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